Elbphilharmonie ruft zur Wahl auf: "Bekenntnis zur Vielfalt"
Mit der Aktionswoche GoVote möchten zahlreiche Hamburger Museen, Konzerthäuser, Clubs und Stiftungen möglichst viele Menschen dazu animieren, am 9. Juni an der Bezirks- und Europawahl teilzunehmen.
Im Gespräch mit NDR Kultur erläutert Martin Andris, Sprecher der Elbphilharmonie, warum sich Kultureinrichtungen immer für den demokratischen Diskurs einsetzen sollten.
Warum beteiligt sich die Elbphilharmonie an so einem Wahlaufruf?
Martin Andris: Als Konzerthaus ist die Elbphilharmonie Teil dieser Gesellschaft. Es ist die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, konsequent gegen Hass und Hetze vorzugehen - gerade mit Blick auf die Bezirks- und Europawahlen am Sonntag. Deswegen haben wir das Bündnis GoVote mitinitiiert und die Aktionswoche mit einem Konzert im Großen Saal eröffnet. Unsere Botschaft ist: Alle Menschen, denen unsere offene Gesellschaft am Herzen liegt, sollten jetzt laut sein und am Wahltag für eine demokratische Partei stimmen. Die Reaktionen auf die Correctiv-Recherche rund um das Geheimtreffen zu Beginn des Jahres - da ging es um mögliche Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland - haben gezeigt, wie groß die Mitte der Gesellschaft immer noch ist. Die Demonstrationen im Januar können es allerdings nicht gewesen sein - wir müssen uns weiter engagieren.
Warum sollten sich Kultureinrichtungen so deutlich positionieren?
Andris: Auch wir spüren eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und ein Infragestellen von Werten, die wir eigentlich als selbstverständlich angesehen haben. Das trifft die Elbphilharmonie im Kern, denn wir stehen für ein weltoffenes Programm: In den vergangenen Wochen fand hier zum Beispiel das internationale Musikfest Hamburg unter dem Motto "Krieg und Frieden" statt - mit Ensembles aus Armenien, der Ukraine oder Südkorea, mit ganz neuer und sehr alter Musik. Unser Publikum liebt es, sich auf diese für viele von ihnen neuen Klänge einzulassen. Diese Vielfalt findet aber nicht im luftleeren Raum statt. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen müssen stimmen.
Wie politisch sollten Kultureinrichtungen Ihrer Meinung nach sein?
Andris: GoVote ist überparteilich und es kommen Akteure aus der Kulturlandschaft zusammen, die sehr unterschiedlich sind: Museen, Theater, Stadtteilkulturvereine, Gedenkstätten, dazu viele weitere Vertreter der Zivilgesellschaft. Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsfreiheit sind die Grundlage unserer Arbeit als Institutionen. Insofern kann Kultur auch nie ganz unpolitisch sein. Als Konzerthaus sind wir sicher keine Lehranstalt. Aber wir bieten die Möglichkeit, sich hier für ein paar Stunden gemeinsam auf etwas einzulassen und gegebenenfalls auch die Uneindeutigkeiten auszuhalten, die Musik mit sich bringt und so faszinierend macht. Nach dem Konzert merke ich vielleicht, dass mein Sitznachbar etwas ganz anderes herausgehört hat und trotzdem verbindet uns das gemeinsam Erlebte! Das ist eine Kultur des Zuhörens, von der heute auch der politische Diskurs an der einen oder anderen Stelle profitieren kann.
Gibt es auch kritische Stimmen zu Ihrem Engagement?
Andris: Die Reaktionen sind ganz überwiegend positiv und bestärkend. Das wäre sicher anders, wenn wir Wahlempfehlungen geben würden, aber das tun wir ausdrücklich nicht. Uns geht es um die Grundwerte einer freiheitlichen Gesellschaft.
Warum haben Sie sich mit Ihrer Auftaktveranstaltung in der Elbphilharmonie an ein junges Publikum gewandt?
Andris: Studien zeigen, dass junge Menschen überdurchschnittlich europäisch denken, ihre Wahlbereitschaft aber geringer ist als bei der älteren Bevölkerung. Wir haben die Hälfte der Tickets gemeinsam mit der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. und der Lieselotte-Klein-Stiftung verschenkt. An der Hochschule für Musik und Theater gab es eine Projektgruppe, die sich genau angeschaut hat, wo bei der letzten Europawahl wenig gewählt wurde. Dann wurden in den entsprechenden Bezirken Vereine angesprochen, um gezielt Tickets zu vergeben.
Was hatten Sie sich von der Veranstaltung erhofft und konnten Sie Ihre Ziele erreichen?
Andris: Wir wollten unsere Reichweite als kulturelles Wahrzeichen nutzen. Die Stimmung beim Konzert war großartig. Wir hatten tatsächlich auch einige Gäste, die das erste Mal im Haus waren. Das Programm hat mit Künstlerinnen und Künstlern von Jeremias bis Anna Depenbusch und Balbina sehr unterschiedliche Menschen angesprochen. Es ging darum, gemeinsam die Wahlen am 9. Juni zum Stadtgespräch zu machen und das ist durchaus gelungen.
Wie verfolgen Sie Ihren Anspruch, gegen Hass und Hetze vorzugehen - auch über diese Aktionswoche hinaus?
Andris: Das Programm der Elbphilharmonie ist immer ein Bekenntnis zu Vielfalt und es gibt regelmäßig künstlerische Auseinandersetzungen mit den drängenden Fragen unserer Zeit. Natürlich gehen wir immer wieder in die Stadt und versuchen, als Ort offen und zugänglich zu sein. Ich denke auch an unser Musikvermittlungsprogramm mit allein über 1.000 Veranstaltungen pro Saison. Mit den Mitteln, die wir haben - und das ist in erster Linie die Musik - wird gezeigt, dass man sich zuhören kann, dass man sich engagieren, gemeinsam kreativ sein und Dinge auf die Beine stellen kann. Anfang Juni konnte man sich bei uns den Abschluss des Community-Projekts "Imagine Freedom" anschauen. Da haben sich junge Menschen Gedanken darüber gemacht, was Frieden und Freiheit für sie bedeutet und eine Performance mit Gesang, Schauspiel und Tanz entwickelt. Viele solcher Projekte gibt es selbstverständlich auch in der kommenden Saison und darüber hinaus.
Das Gespräch führte Anina Pommerenke. Die Elbphilharmonie ist Kulturpartner von NDR Kultur.