Undercover bei der "Letzten Generation"
Die Klimaschutzaktivisten der "Letzten Generation" gehen radikal vor. Die Sozialpsychologin Maria-Christina Nimmerfroh von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg hat die "Letzte Generation" von innen erforscht: Undercover unter falschem Namen.
Woher kam ihr Antrieb, sich in die "Letzte Generation" einzuschleusen, Frau Nimmerfroh?
Maria-Christina Nimmerfroh: Ich beschäftige mich schon seit sehr vielen Jahren mit allen Arten von Non-Profit-Organisationen - von der Mobilisierung bis zum Marketing bis zur Wirkung in der Öffentlichkeit. Mein Thema ist die Wirkung von diesen Organisationen auf die Gesellschaft. Aus den öffentlichen Quellen, die mir zur Verfügung standen, bin ich nicht richtig darauf gekommen, was diese Gruppe im Inneren zusammenhält, was zu diesen sehr radikalen Formen führt. Deswegen habe ich gedacht: Ich muss tatsächlich erfahren, wie sich die Menschen fühlen.
Sie haben sich unter falschem Namen Zugang verschafft und an Seminaren der "Letzten Generation" teilgenommen. Wie sind Sie denn dort aufgenommen worden?
Nimmerfroh: Diese Gruppierung geht extrem freundlich, extrem wertschätzend und extrem offen mit allen Menschen um, die neu dazukommen. Also ich habe wirklich sehr viel Herzlichkeit erfahren. Das ist aber auch ein Stück weit dem Ziel geschuldet. Die Idee ist, dass man sich mit möglichst viel Zeit und möglichst viel Engagement dieser Gruppe verschreibt. Das Idealbild für die Gruppe sind Vollzeitaktivisten, die ihr bisheriges Leben hinter sich lassen. Also auf der einen Seite eine sehr große Wertschätzung und Freundlichkeit, die aber schon ein Stück weit kalkuliert ist, weil man eben eine sehr, sehr enge Bindung möchte. Und das hängt natürlich auch mit den Handlungen zusammen, die da erwartet werden.
Was haben Sie als erste Emotion wahrgenommen? Ist das ein absoluter Alarmismus oder auch ein gut gelauntes "Wir können endlich was tun"?
Nimmerfroh: Es ist eher Alarmismus. Die Idee der Krisensitzung - also der Einstiegsveranstaltungen, die man besuchen sollte - ist eine starke Emotionalisierung. Die basiert darauf, dass man den Menschen mit den Folgen der Klimaveränderungen Angst macht. Das ist sicherlich auch zum großen Teil inhaltlich begründet. Aber die Emotionalisierung steht im Vordergrund. Aus dieser Angst heraus und dem Protest gegen diejenigen, die zu wenig tun, soll sich die Motivation ergeben: "Jetzt muss endlich was getan werden". Die logische Folge aus Sicht der Organisation ist dann: genau das zu tun, was wir heute erleben.
Wie haben Sie das empfunden? Als Mittel zum Zweck oder nötig?
Nimmerfroh: Die Plausibilität und die Kausalkette, die zweifele ich persönlich an. Ob man mit dieser Art des Widerstands, wie sie das nennen, politische Entscheidungen grundlegend verändern kann? Ich persönlich habe da Zweifel. Das war aber nicht der Kern meiner Analyse. Ich wollte wissen, wie bringt man viele Menschen dazu, dass auch tatsächlich zu tun - und auch ganz extrem zu tun, bis hin zu Inhaftierungen. Ich habe eine Organisation kennengelernt, die das extrem gut plant. Von der Frage: Wie mischt man das Fake-Öl zusammen, um das an das Grundgesetz-Denkmal zu werfen? Wie geht man vor, wenn man eine Blockade plant? Wie verhält man sich in solchen Situationen? Wie laufen Rekrutierungen ab? Das ist sehr minutiös vorbereitet. Das hab ich in anderen Organisationen in dieser Detail-Treue nicht erlebt.
Es gibt regelrechte Schulungen: Seminare für diese Aktionen, die Sie auch mitgemacht haben. Was haben Sie da erlebt?
Nimmerfroh: In den Schulungen für die Blockade-Aktionen lernt man vor allem, wie man sich in dieser Blockade-Situationen verhält. Das ist ja eine extreme Situation, sich da in den fließenden Verkehr zu begeben, sich hinzusetzen und sich körperlich festzukleben. Und vor allem wird auch der Umgang mit Autofahrern trainiert - die sind ja schon mal aggressiv und wütend. Auch die Polizei erwartet eine bestimmte Kommunikation: Es wird auch körperlich trainiert, wie das Wegtragen durch Polizisten oder Zivilpersonen am besten erfolgt. Und zwar unter den beiden Aspekten: Eigenschutz und gute Bilder für die Öffentlichkeit. Man soll immer daran denken: Wie sieht das nachher in den Medien und Sozialen Medien aus? Dazu gibt's auch Rechtsberatung und Verhaltenstraining. Insgesamt ist das Fortbildungsangebot der "Letzten Generation" extrem ausgefeilt. Es gibt die beiden Basismodule: Krisensitzung und Training. Und dann gibt es einen kompletten Fortbildungskalender, der eben Prozesstraining umfasst, Medientraining, Mut und Vertrauen, aber auch den Aspekt der seelischen Gesundheit. Also der Fortbildungskalender ist tatsächlich etwas Besonderes für eine NGO dieser Art.
Zum Teil wird hier zum Normalfall erklärt, dass man von der Polizei festgenommen wird: Wie stehen Sie dazu?
Nimmerfroh: Das ist etwas, das ich sehr kritisch sehe: Weil die individuelle Belastungssituation aus meiner Sicht da sehr stark heruntergespielt wird. Auch in den aktuellen internen Sitzungen wird dieses Verhalten und die Inhaftierung heroisiert. Es wird als inspirierend dargestellt. Bereits inhaftierte Personen treten auf in Online-Konferenzen und berichten von ihren erhellenden Erfahrungen - und wie bewusstseinserweiternd diese Aspekte sind. Das halte ich persönlich für gefährlich, denn wir reden über Haftstrafen, die unter Umständen auch länger dauern können. Und der Freiheitsentzug ist die stärkste Sanktion, die dieser Staat gegenüber seinen Bürgern hat. Das wird so dargestellt, als wäre das ein Mittel der Durchsetzung und es wäre angenehm und erhellend, das zu erleben. Dazu gibt es dann auch weitere Aspekte wie zum Beispiel die dauerhafte Verarmung, also das dauerhafte Leben unter der Pfändungsgrenze. Das wird von Vollzeitaktivisten erwartet und man wird gezielt darauf vorbereitet. Das von jungen Menschen zu erwarten, halte ich persönlich für gefährlich.
Es gibt ja insbesondere in Bayern - bei der CSU - viele, die sagen, dass da eine Radikalisierung stattfindet, und das gehe jetzt immer weiter, Schritt für Schritt. Wie stehen Sie dazu?
Nimmerfroh: Schritt für Schritt in Richtung einer Radikalisierung und einer weiteren Gewaltanwendung sehe ich das nicht. Es gibt einen sehr klaren Kodex dieser Organisation und auch des weltweiten Netzwerks, die tatsächlich Gewaltverzicht propagieren. Mit Gewalt ist hier gemeint: Gewalt gegen Personen. Ich halte das für sehr plausibel. Ich glaube, dass diese Verhaltensweisen durchaus extremer werden können. Dabei orientiert sich die "Letzte Generation" stark an der Mutterorganisation. Das ist das A22-Netzwerk, von der auch die meisten Aktionsformen kommen. Vieles, was wir hier in Deutschland erleben, sind schlichte Übersetzungen und Adaptionen von Vorgaben des weltweiten Netzwerkes. Von dem kommt auch ein Großteil der Finanzmittel. Insofern kann man so ein bisschen nach vorne gucken. Was machen die als Nächstes? Und da teile ich die Befürchtungen einiger Politiker nicht. Dass eine Radikalisierung auch zu irgendeiner Form von Gewaltanwendung führt: Das passt nicht in das Konzept und zur Ideologie.
Es gibt erste Studien zu dem Thema - von Kolleginnen und Kollegen - die vorsichtig bestätigen, dass das dauerhafte Anheizen des Themas die Reihen hinter der Bewegung schließt. Wie stehen Sie dazu?
Nimmerfroh: Man ist durch die Polarisierung gezwungen, sich einer Seite anzunähern. Da gibt es die, die sagen: 'Das sind merkwürdige Menschen - das lehne ich ab'. Aber diese Menschen propagieren ein Ziel, das durchaus breit in der Bevölkerung verankert ist: Der Klimaschutz und die Sorge um die Natur. Da ist es sehr wahrscheinlich, dass zwar vordergründig die Aktionen kritisch gesehen werden, aber im tiefsten Innern viele Menschen denken, 'irgendwo haben die auch recht'. Das ist auch das, wo der große gesellschaftliche Einfluss dieser Gruppierungen liegt. Ich glaube nicht, dass diese Gruppe sich zahlenmäßig extrem vergrößern wird. Das liegt auch an diesem sehr eingeschränkten Handlungsrahmen, der vorgeschlagen wird. Aber ich glaube, dass der implizite Einfluss auf die Gesellschaft im Moment unterschätzt wird. Denn durch die radikalen Formen wird die öffentliche Meinung weiter in diese Richtung gedrängt. Und das ist für die Organisation sicherlich ein großer Erfolg. Ich glaube, wir müssen die Wirkung dieser Organisation auf verschiedenen Ebenen betrachten.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.