Wie ein Faustschlag: Corinna Harfouchs Kriegstext-Lesung
Corinna Harfouch hat im Schauspiel Hannover aus Etel Adnans kraftvollem, zeitlosen Text "In einer Kriegszeit leben" gelesen. Die Musik spielte Harfouchs Sohn, Tonkünstler Hannes Gwisdek. Ein bewegender Abend, wie ein Faustschlag - mit einem Wermutstropfen.
Die Schauspielerin Corinna Harfouch war mit einer eigenen Produktion in Hannover zu Gast. Viele sind in erster Linie ihretwegen gekommen. Sie las aus einem Text der libanesisch-amerikanischen Künstlerin und Schriftstellerin Etel Adnan. Diese schrieb ihn 2003, kurz nach Kriegsausbruch im Irak. Die Lesung von Corinna Harfouch wurde musikalisch begleitet von Sohn und Tonkünstler Hannes Gwisdek. Das gebannte Publikum hat genau hingeschaut und hingehört.
Text von Etel Adnan über Kriegszeiten ist zeitlos
Corinna Harfouch liest Zeilen wie "Nichts sagen, nichts tun. Auf der Stelle treten, sich bücken, sich aufrichten. Sich Vorwürfe machen, stehen." Die Schauspielerin ist dabei unruhig: Kurz am Stuhl festhalten. Die nackten Füße aufeinanderpressen. Anspannung halten. Atmen. Mit den Zehen zappeln.
Harfouch liest diesen ungewöhnlichen, zeitlosen, kraftvollen Text. Eine Folge von Sätzen, alle mit Verben im Infinitiv. "Sie stellt ihre Füße auf und fängt irgendwann an zu zittern, weil man das gar nicht so lange hält. Das ist im Grunde genommen so wenig - trotzdem drückt es etwas aus", kommentiert eine Besucherin. "Wir hätten es nicht länger ausgehalten, es bereitete körperliche Schmerzen. Aber so ist es wahrscheinlich, wenn man im Krieg lebt, oder im Geiste im Krieg mitlebt," meint eine weitere Besucherin.
Zum Mittagessen. Ein Bier verlangen, seine Bestellung aufgeben, trinken, essen und zahlen, aufbrechen, nach Hause kommen. Den Schlüssel finden, eintreten.
Stakkato-Form des Textes "In einer Kriegszeit leben"
Diese stakkatohafte Form sei die einzig denkbare gewesen, sagte Autorin Etel Adnan. Sie schrieb den Text 2003, nach der Invasion der US-amerikanischen Armee im Irak. Geboren 1925 in Beirut, als Tochter einer griechischen Mutter und eines vom Exil geprägten syrischen Vaters, studierte Adnan im Libanon, in Frankreich und Kalifornien.
Den Krieg im Irak verfolgte die Künstlerin aus den USA. In ihrem Text "In einer Kriegszeit leben" stellt sie erschreckend Banales neben poetisch Beobachtendes und politisch Kommentierendes. Gefühle, Erinnerungen, Alltagsbeobachtungen, Fragen nach Glauben und Gerechtigkeit. Sie vermischt, was uns Menschen beschäftigt - auch in Kriegszeiten.
Versuchen, den eisernen Ring zu durchbrechen. Wenigstens in die Stadt fahren. Zu Fuß am Wasser entlang gehen. Mit ungläubigen Augen den Mast eines außergewöhnlich schönen Segelboots messen.
Schweres Atmen macht Zerrissenheit der Autorin spürbar
Allein Corinna Harfouchs schweres Atmen zwischen zwei Absätzen ist wie ein Faustschlag in die Magengrube. Sie macht die Zerrissenheit der Autorin spürbar. Der Verweis auf aktuelle Kriege - in der Ukraine, im Nahen Osten - schwingt mit. Eine Besucherin bemerkt: ""Wir sind heute sicher sensibler für diesen Text, als wir es vor zehn Jahren gewesen wären."
Bedrückende Soundcollage von Hannes Gwisdek
Die Soundcollage von Multiinstumentalist Hannes Gwisdek klingt dumpf und bedrückend. Sie passt zu manchen Passagen, wirkt aber oft auch beliebig. Das Spiel mit absoluter Stille fehlt und hätte dem Text noch mehr Spannung und Wucht verliehen.
Schade auch, dass der Abend unkommentiert geblieben ist. Ziemlich zu Beginn der Lesung gab es nämlich eine kleine Interaktion mit dem Publikum: Die Schauspielerin ging auf einen hustenden Gast zu und ermunterte ihn, einfach alles rauszulassen.
Warum liest Corinna Harfouch den Text genau jetzt?
Diese kleine, nahbare Szene weckte die Hoffnung auf mehr Persönliches: Warum liest Corinna Harfouch diesen Text genau jetzt? Was gibt er ihr in dieser Zeit? Welche Beziehung hat oder hatte sie zu Etel Adnan, mit der sie sich lange beschäftigt und die sie auch persönlich kannte? Trotzdem wühlte der Abend auf - das Publikum hier hustend, einer Schauspielerin zuhörend, nach Hause fahrend, ruhig schlafend, während anderswo der Krieg tobt.
