Papst und Pilger sein: Was bleibt von Franziskus?
Mehr als zwölf Jahre stand Papst Franziskus an der Spitze der katholischen Kirche. Ein Mann, der gern die Blicke auf diejenigen an den Rändern der Gesellschaft gelenkt hat. Was hat er erreicht? Ein Kommentar.
Er war ein Papst der Überraschungen: Ein Jesuit vom anderen Ende der Welt - erster Nichteuropäer auf dem Stuhle Petri seit über 1.200 Jahren. Ein Papst, der sich Franziskus nannte und gleich zu Beginn seines Pontifikats eine spirituelle Kampfansage an die Kurie macht: Klerikalismus anprangert, Gier und Geldsucht geißelt, den einzelnen Menschen sehen will, das Gesicht und nicht den Gesetzestext. Gewählt von den Kardinälen auch um den moralischen Zerfall der römischen Zentrale zu stoppen, die Selbstbezogenheit des Apparats zu beenden.
Franziskus versucht es mit einer Kurienreform, die unvollendet wirkt, auch weil er als Papst weniger Strukturen radikal verändern, als vielmehr Prozesse anstoßen wollte. Einen Plan strategisch schmieden und entschieden umsetzen, war seine Sache nie. Bewegung in starre Verhältnisse zu bringen, war ihm gleichwohl wichtig: rausgehen an die sozialen, politischen und theologischen Ränder. "Geht vorwärts", rief er den Gläubigen zu.
Papst Franziskus: Mal mitreißend, mal zaudernd
Ein Papst der Nähe, der immer wieder den Kontakt suchte zu den Armen, Schwachen und Ausgegrenzten. All das, weil für ihn nur eine Kirche in Bewegung eine vitale Kirche ist. Das war sein Credo, dafür stand er ein. Päpstliche Passivität war seine Sache nicht. Das stimmt. Und auch wieder nicht. Denn Schwarz-Weiß-Bilder lassen sich von diesem Franziskus eben nicht zeichnen. Mal schillernd und mitreißend, dann wieder zaudernd und unentschieden in Reformfragen.
Keine radikalen Veränderungen
Die tiefgreifende Krise der Institution beendete er nicht. Dafür fehlte ihm der Mut, kraftvoll durch einmal mühsam geöffnete Türen hindurchzugehen. Bei Franziskus war am Ende die Sorge vor einem Auseinanderbrechen der Weltkirche größer als der feste Wille, das Momentum seiner überraschenden Wahl 2013 für radikale Veränderungen zu nutzen.
Im Reformstau seiner Kirche drückte er verbal voll auf das Gaspedal und stand zugleich kraftvoll auf der Bremse. Allerdings: Franziskus hat eine Kurienreform nicht gescheut, hat Frauen in verantwortungsvolle Positionen der Vatikanverwaltung gebracht und das Prinzip von Beratungen mit seinem Herzensprogramm der Synodalität auf eine Ebene gehoben, die ein Nachfolger nicht einfach wird zurückdrehen können.
Franziskus stellte Menschen vor Buchstabentreue
Franziskus war überzeugt: Autoritäre Systeme wie die katholische Kirche verändern sich nachhaltig nicht durch autoritäre Schritte eines Papstes. Er hat das Amt in der öffentlichen Wahrnehmung sympathischer und in theologischer Hinsicht humaner gemacht, weil für ihn die Verletzlichkeit der menschlichen Existenz im Mittelpunkt stand und nicht die Buchstabentreue und Gesetzeserfüllung. Das Individuum hatte für ihn immer Vorrang vor der Institution.
Sein Tod am Ostermontag, dem Tag, an dem sich Christinnen und Christen an die Geschichte der Emmaus-Jünger auf ihrem Weg erinnern, passt zu diesem Papst: Ein Pilger sein, Seite an Seite mit den Menschen, zuhören, sprechen, Zeugnis geben bis zuletzt. Am Ende eines 88-jährigen Lebens so nah bei sich und seinem Glauben sein zu können, das ist wohl auch eine Gnade.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Porträt
