Schauspieler Luis Brandt: "Ich will alles spielen - außer Dachdecker"
Der Hamburger Schauspieler Luis Brandt sitzt im Rollstuhl - und bekommt ausschließlich Rollen angeboten, die explizit für Rollstuhlfahrer geschrieben wurden. Im Interview erklärt er, warum er das traurig findet.
Luis, Du sitzt im Rollstuhl - gibt es da irgendeine Einschränkung, irgendeine Rolle, die Du als Schauspieler nicht spielen kannst?
Luis Brandt: Ich sage immer: Ich will alles spielen, was geht - alles außer Dachdecker, weil das so ein bisschen unvorstellbar ist. Aber wer sagt eigentlich, dass es nicht auch Dachdecker im Büro gibt, die im Rollstuhl sitzen und koordinieren? Das muss ja nicht immer zur Handlung gehören. Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, muss es nicht bedeutsam sein.
Wer sagt eigentlich, dass irgendetwas nicht geht? Kriegst Du Anfragen oder bewirbst Du Dich für alle möglichen Rollen oder gezielt für solche, von denen du glaubst, dass da ein Rollstuhlfahrer passt?
Brandt: Bis jetzt habe ich immer Rollen gekriegt, wo es explizit Rollstuhlfahrer waren, die ich spielen sollte. Aber meine Agentin und ich schlagen auch vor, wenn es nicht explizit ausgeschrieben ist, dass es ein Rollstuhlfahrer sein soll.
Wenn Du eine Bewerbung für so eine Produktion verschickst, wie reagieren die Menschen, die hinter diesem Filmprojekt oder dieser Serie stecken?
Brandt: Oftmals ist es eine Überraschung, dass man selber daran denkt, dass es doch keine Barriere ist, dass man das doch probieren kann. Dann ist es ein recht offenes Gespräch. Es muss aber auch ihr Mindset passen, dass sie sich vorstellen können, die Geschichte da herum zu schreiben. Dass es nicht explizit darum geht, dass man im Rollstuhl sitzt, sondern dass es einfach dazugehört. Da sind wir in der Filmbranche oder generell in unserer Gesellschaft noch nicht so weit, dass wir das ohne darüber groß nachzudenken machen.
Wie sehr ärgert Dich das, dass insbesondere die Filmbranche noch nicht soweit ist?
Brandt: Das ist eine Sache, die mich nicht ärgert, aber es macht mich traurig, weil es nicht das Bild der Gesellschaft widerspiegelt, was wir haben. Wir sind total verschieden, divers, und was im Film gezeigt wird, ist oft sowieso nicht Realität, aber auch von den Charakteren her nicht immer das, was wirklich da ist. Und das ist blöd.
Welche Rollen hast Du bisher gespielt?
Brandt: In meinem ersten Film habe ich einen Jungen im Rollstuhl gespielt, der auch Krampfanfälle hatte. Dann wurde ich mal als Passant zusammengeschlagen, Und jetzt habe ich bei einem Projekt im ZDF mitgespielt, was ich früher auch sehr gerne mitverfolgt habe: "Hallo Spencer". Das war das Größte, was ich bisher gemacht habe.
Wie ist das bei den Dreharbeiten, wenn Du zum Set kommst: Ist da alles eingestellt auf den Rollstuhlfahrer oder gibt es viele Probleme?
Brandt: Es ist unterschiedlich. Ich habe Sachen erlebt, da wurde ich vorher gefragt, was ich so benötige - und am Set war danach gar nichts da. Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass es gerade bei größeren Produktionsfirmen, die vorher Recherchen anstellen, logisch ist, dass man auch auf so etwas wie barrierefreie Toiletten achtet. Meine Freundin hat als meine Assistentin viele Sachen übernommen, die eigentlich von jemandem gemacht werden müssen, der dafür bezahlt wird. Sie hat dafür, glaube ich, 1.000 Euro bekommen, und ich habe für den ganzen Dreh - das waren acht Tage - 11.000 Euro gekriegt. Eigentlich sollte es klar sein, dass, wenn es Barrieren am Set gibt, diese ausgeglichen werden müssten - und zwar nicht von den Menschen mit Behinderung, sondern von denen, die mich am Set haben wollen. Und das passiert noch relativ wenig.
Warum sitzt Du eigentlich im Rollstuhl?
Brandt: Ich habe eine Zerebralparese, also eine Spastik. Ich kenne das von Geburt an nicht anders. Meine Muskeln arbeiten gegeneinander, und darum kann ich nicht gerade stehen und sitze deshalb im Rollstuhl. Aber dadurch, dass ich das nicht anders kenne, habe ich auch keine Sehnsucht, laufen zu wollen. Samuel Koch ist mir bis heute traumatisch in Erinnerung geblieben, der kannte das anders. Der war Extremsportler - ist jetzt übrigens auch Schauspieler -, und für den war das von einer Sekunde auf die andere ein Schicksalsschlag. So etwas habe ich nicht erlebt.
Ich finde es wirklich beeindruckend, wie Du damit umgehst und wie Du Deinen Weg machst als Schauspieler. Aber Du hast Dich entschieden, nicht mehr nur auf die Schauspielerei zu setzen, sondern auch in die Beratung zu gehen, richtig?
Brandt: Genau, im Prinzip das, was wir gerade angesprochen haben. Das, was am Set noch nicht so läuft oder in der Branche noch nicht so angekommen ist, das will ich zugänglich machen. Ich will zeigen, wie das geht und wie man das aufbauen kann. Ich möchte Produktionsfirmen, Agenturen und Schauspielende bei den Themen Barrierefreiheit, Inklusion, Diversität und Co. beraten.
Das Interview führte Keno Bergholz.