Inklusion: Zu wenige Firmen stellen schwerbehinderte Menschen ein
Zwei Drittel der Firmen im Norden verfehlen die gesetzliche Vorgabe zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen. Eine NDR Analyse zeigt: Am besten schneidet Mecklenburg-Vorpommern ab, am schlechtesten Hamburg.
Menschen mit Behinderungen kämpfen täglich mit vielen Hürden - auch auf dem Arbeitsmarkt. Um sie besser beruflich zu integrieren, gibt es verschiedene gesetzliche Hebel. Einer davon ist die Beschäftigungspflicht. Danach müssen Firmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen fünf Prozent ihrer regulären Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Auszubildende und Referendare sind davon ausgenommen. Machen die Firmen das nicht, zahlen sie monatlich einen bestimmten Betrag.
Nur 40 Prozent der norddeutschen Firmen erfüllen die Quote
Eine Analyse von NDR Data zeigt: Gut ein Viertel hat keinen einzigen schwerbehinderten Mitarbeiter eingestellt. Der Rest der Unternehmen erfüllt die Vorgabe nur teilweise.
Mecklenburg-Vorpommern top - Hamburg Schlusslicht
Schaut man auf die norddeutschen Bundesländer im Einzelnen, werden deutliche Unterschiede sichtbar: So gelingt es in Mecklenburg-Vorpommern knapp der Hälfte der Unternehmen, die gesetzliche Quote zu erfüllen. In Hamburg hingegen schafft es nur gut ein Viertel der Firmen, genügend Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegen im Mittelfeld.
MV: Mehr ältere Beschäftigte heißt auch mehr Schwerbehinderte
Besonders auffällig ist der große Unterschied zwischen dem ländlichen, dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern und der Metropole Hamburg. Felix Welti, Professor für Sozialrecht an der Universität Kassel, erklärt ihn mit der Altersstruktur: "Die Flucht der jungen Leute aus Mecklenburg-Vorpommern führt dazu, dass dort viele ältere Menschen beschäftigt werden. Und viele ältere Menschen, also auch viele ältere Beschäftigte, sind schwerbehindert."
Ein Blick in die Statistik bestätigt: In der Gruppe der Schwerbehinderten sind ältere Menschen stärker vertreten. So ist etwa die Hälfte (45 Prozent) zwischen 55 und 74 Jahre alt. Ein Drittel (34 Prozent) ist noch älter. Nur knapp drei Prozent sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Neun von zehn schweren Behinderungen werden im Laufe des Lebens durch eine Krankheit ausgelöst. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts.
Nur langsame Fortschritte bei der Inklusion
Verbessert hat sich die Situation in den vergangenen zehn Jahren kaum: So bleibt die Zahl der Unternehmen, die die Quote nicht erfüllen, seit Jahren konstant. Experte Welti erklärt das mit den vielfältigen Prozessen, die es für eine gelungene Inklusion in den Arbeitsmarkt braucht: "Um Menschen mit Behinderung einstellen zu können, braucht es an vielen Stellen Veränderung. Technische und architektonische, aber auch mentale Veränderung. Das braucht Zeit. Deshalb geht es nur langsam voran."
Ausgleichsabgabe kann mehrere Tausend Euro betragen
Erfüllt ein Unternehmen die gesetzliche Beschäftigungspflicht nicht, muss es monatlich die sogenannte Ausgleichsabgabe entrichten. Diese kann einige Hundert Euro betragen oder sich auf mehrere Tausend Euro belaufen - je nach Größe des Unternehmens.
Die Ausgleichsabgabe soll zum einen Arbeitgeber dazu motivieren, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Zum anderen soll durch diese Ausgleichszahlung die Teilhabe schwerbehinderter Menschen gefördert werden. So werden von den Geldern Projekte finanziert, die Menschen mit Behinderung auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt unterstützen. Und auch Betriebe, die schwerbehinderte Menschen beschäftigten, profitieren.
Private Unternehmen schneiden deutlich schlechter ab
Die Unterschiede sind allerdings nicht nur regional. So zeigen die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: Arbeitgeber, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden, erfüllen die gesetzliche Beschäftigungsquote deutlich häufiger. Private Firmen hingegen stellen wesentlich weniger schwerbehinderte Menschen ein und zahlen somit eine höhere Abgabe.
Die Gründe dafür sind laut Rechtswissenschaftler Welti unterschiedlich: "Zum einen gibt es bei den öffentlichen Arbeitgebern grundsätzlich eine größere Regelkonformität. Zum anderen spielt die Größe eine Rolle: Öffentliche Arbeitgeber sind häufiger größere Arbeitgeber und die Beschäftigungsquote wird insgesamt in größeren Betrieben häufiger erfüllt als in kleineren."
Zudem seien Menschen bei öffentlichen Arbeitgebern häufig über eine lange Zeit beschäftigt. Wenn sie dann - beispielsweise durch eine Krankheit - behindert werden, verbleiben sie eher im Betrieb.
Ausgleichsabgabe wird ab 2024 deutlich erhöht
Um den Druck auf die Unternehmen weiter zu erhöhen, steigen die Sätze der Ausgleichsabgabe zum Jahreswechsel an. Dabei wird eine zusätzliche Stufe eingeführt. Große Firmen, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, müssen ab dem 1. Januar 2024 monatlich 720 Euro für jeden Arbeitsplatz zahlen, der laut Gesetz mit einem Schwerbehinderten besetzt sein müsste.
Rechtswissenschaftler Welti findet das sinnvoll: "Wer nie Erfahrungen mit Schwerbehinderten sammelt, wird seine Vorurteile bewahren - und nicht anfangen, die Barrieren in seinem Betrieb abzubauen." Für den Forscher ist klar: "Je mehr Anreize ein Arbeitgeber hat, es mit der Inklusion zu versuchen, desto besser".