Inklusion in der Kultur: Pilotprojekt in Ottersberg
Am Diversity-Tag geht es um kulturelle Teilhabe und um Vielfalt. Wie sieht es in der Wirklichkeit aus? Ein Hamburger Verein möchte jungen Menschen mit Behinderung ein reguläres Kunststudium ermöglichen. Ein Erfahrungsbericht.
Amelie Gerdes und Ole Bramstedt stehen im Kostümfundus und probieren ein paar Outfits an. Die Welt des Theaters, des Films und der Bühne - ein großer Traum der beiden. Seit zwei Jahren studieren beide ganz offiziell an der Kunsthochschule in Ottersberg. "Es fühlt sich für mich gut an und wenn es sich für mich nicht so gut angefühlt hätte, wäre ich auch gar nicht so lange hier gewesen", sagt Ole Bramstedt. Amelie Gerdes ergänzt: "Immer, wenn ich über den Campus laufe, dann spüre ich diese Dankbarkeit, aber auch bin total stolz und glücklich, dass ich hier bin und dass ich hier studieren kann." Keine Selbstverständlichkeit. In Deutschland endet Inklusion meist noch vor dem Hörsaal.
Echte Teilhabe: Dank Talent und ihrem hartnäckigen Willen
Ole Bramstedt lernt schwieriger als andere Menschen und Amelie Gerdes lebt mit Trisomie 21. Dass beide studieren, verdanken sie ihrem Talent und ihrem hartnäckigen Willen und dem Hamburger Verein Eucrea. Es hat das Projekt "ARTplus" gestartet – Leiterin Angela Müller-Giannetti erklärt, was dahinter steckt: "Es geht in erster Linie darum, unseren Ausbildungsbetrieb zu öffnen. Wir müssen ja keinen neuen oder parallelen finden, sondern wir haben einen großen künstlerischen Ausbildungsbetrieb in Deutschland. Und es geht einfach darum, den zugänglich zu machen."
Dass Amelie Gerdes und Ole Bramstedt das Zeug zum Schauspielen haben, konnten beide längst unter Beweis stellen. Bramstedt spielte schon im Bremer Tatort mit und Gerdes in ARD-Fernsehfilmen. An der Hochschule in Ottersberg bestanden sie die Begabtenprüfung zum Bachelorstudium. Sie wollen echte Teilhabe.
Vergleichbarkeit muss gewährleistet sein
Nur wie kann echte Teilhabe an der Hochschule aussehen? "ARTplus" versucht die Hochschulen zu überzeugen, Aufnahmebedingungen und Nachteilsausgleiche zu ändern. Professor Hans-Joachim Reich erklärt wie das an der Hochschule in Ottersberg funktioniert: "Zum Beispiel bei einer Hausarbeit, die ist normalerweise 15 Seiten, dass man sagt, man macht die Hälfte sieben Seiten und es gibt ein Referat dazu. Oder Amelie schreibt jetzt eine Arbeit, die nicht so literaturbasiert ist, was halt sehr mühselig ist, sondern viel mit Interview-Fragen arbeitet und die auswertet."
Eine Assistentin ist während des Seminars immer dabei und hilft während der vorlesungsfreien Zeit beim schriftlichen Arbeiten. Denn Vergleichbarkeit muss gewährleistet sein. Inklusion erfordert Kooperation auch von den Kommilitonen, findet Amelie Gerdes: "Klar, manchmal gibt es Leute, die sagen: 'Boah, ist doch langsam. Sie wollen das schneller haben'. Aber jeder hat seinen Rhythmus, jeder hat sein Tempo beim Lernen und das finde ich einfach wichtig, dass man das in der Gruppe auch mitberücksichtigt."
Jeder lernt hier in seinem Tempo
Aber an der Hochschule Ottersberg lernen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam. Alle erbringen hier besondere Leistungen - nur lernt jeder ein bisschen anders, wie Ole Bramstedt verdeutlicht: "Wie lerne ich einen Text? Gute Frage. In dem Sinne, dass ich entweder eine Sprachdatei von diesem Text bekomme und den dann auswendig lerne."
Inzwischen sind beide im Vierten Semester. An der Hochschule gehen sie davon aus, dass beide ein bisschen länger studieren. Jeder darf hier nach seinem Tempo lernen - und kann trotzdem über sich hinaus wachsen. Auch Professor Reich ist mit seinen beiden Studierenden zufrieden: "Ich muss wirklich sagen, das ist wirklich großartig, wie die sich entwickelt haben. Jeder hat so eine unterschiedliche Qualität sich einzubringen."