Menschen mit Behinderung: So gelingt der Weg in reguläre Jobs
Nur selten schafft ein Mensch mit Behinderung den Wechsel von einer Werkstatt in einen regulären Job. Die Stiftung Mensch bietet ein spezielles Jobcoaching, das diesen Wechsel erleichtern soll.
Als Yesim Kayacaner die ersten Male zu ihrer Arbeit in der Hofküche des Gemüse-Anbaubetriebs "Westhof" in Friedrichsgabekoog (Kreis Dithmarschen) aufbrach, lief das wie folgt: Die 27-Jährige stieg bei sich in Wesselburen in den Bus und Oliver Kleemann fuhr im Auto hinterher. Kleemann ist Jobcoach bei der Stiftung Mensch in Meldorf und ging sicher, dass Kayacaner auch an der richtigen Haltestelle aussteigt.
Die junge Frau hat eine Merk- und Lernschwäche, wegen der sie oft Probleme mit der Orientierung hat. Als Jugendliche besuchte sie ein Förderzentrum, danach startete sie im Berufsbildungsbereich der Stiftung Mensch in Meldorf (Kreis Dithmarschen). Sie machte ein Langzeitpraktikum in einem Bistro der Stiftung und hatte damit im Grunde einen Werkstatt-Job wie viele andere Menschen mit Behinderungen auch. Der soll eigentlich auf den "normalen", ersten Arbeitsmarkt vorbereiten. Doch der Wechsel in reguläre Jobs - er gelingt in den seltensten Fällen.
Die Arbeit macht sie selbstbewusst
Yesim Kayacaner gelang er. Traute sie sich anfangs kaum, ein Wort zu sprechen, blühte sie bei der Arbeit im Bistro auf. Sie orientierte sich im Job und im Alltag immer besser - und traf bald auf Oliver Kleemann. Der fragte sie, ob sie nicht ein Praktikum außerhalb der Werkstätten machen möchte. "Erst habe ich Nein gesagt", erzählt die 27-Jährige. "Ich traute mir das noch nicht zu und wollte noch warten." Dann entschloss sie sich doch dazu - und fing in der Hofküche des Westhofs, die die Angestellten versorgt, als Hilfskraft an. 2021 war das.
Yesim Kayacaner sitzt im modern eingerichteten Speisesaal der Hofküche, in der immer 60 bis 70 Angestellte zu Mittag essen. Bis gerade hat sie geholfen, das Hauptgericht vorzubereiten: Puten-Gyros mit Djuvec-Reis und Tzatziki. Sie putzt und schneidet zum Beispiel Gemüse, schält Kartoffeln, macht den Abwasch und hält die Küche sauber. "Ich bin immer selbstbewusster geworden", sagt Kayacaner mit Blick auf die vergangenen drei Jahre. Seit Februar ist sie in der Hofküche fest angestellt und sehr stolz darauf.
Werkstatt-Jobs werden in Betriebe verlagert
Davor arbeitete die 27-Jährige auf einem sogenannten Außenarbeitsplatz der Stiftung. Das ist nämlich der Clou beim Jobcoaching-Ansatz der Stiftung: Stellen werden im Grunde aus den Werkstätten in Betriebe verlagert. "Erst, wenn für beide Seiten alles passt, wechselt der Mitarbeitende ganz ins Unternehmen", erklärt Jens Waller, der bei der Stiftung Mensch in Meldorf den Berufsbildungsbereich leitet und das Jobcoaching eingeführt hat. Im Schnitt vergehen zwei Jahre, bis der Arbeitsvertrag mit dem Betrieb gemacht werde.
Kleemann unterstützt bei Fragen und Problemen
War in dem Werkstatt-Job eine Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung zuständig, kümmerten sich jetzt zwei Personen um Yesim Kayacaner: Küchenchef Marcel Evers und Jobcoach Oliver Kleemann, der einmal in der Woche standardmäßig und außerdem immer dann vorbeikam, wenn es Fragen oder Probleme gab. "Am Anfang bin ich eine Art Rollstuhl und unterstütze viel", beschreibt der seine Rolle. "Mit der Zeit bin ich dann nur noch so etwas wie ein Gehstock - und irgendwann gar nicht mehr da."
Küchenchef Marcel Evers sagt, dass es für ihn selbstverständlich sei zu versuchen, Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben zu integrieren. "Natürlich bringt das Herausforderungen mit sich. Aber die gibt es immer, wenn Menschen zusammenarbeiten", sagt er. Die Defizite, die Yesim Kayacaner vielleicht habe, gleiche sie an anderer Stelle aus: "Sie ist zum Beispiel super pünktlich, arbeitet extrem gewissenhaft und ist immer motiviert", erzählt Evers.
Gesellschaft muss sich ändern
Die Stiftung Mensch in Meldorf betreut gut 650 Menschen mit Behinderungen in ihren Werkstätten. 35 davon auf solchen Außenarbeitsplätzen bei Unternehmen, die der von der Stiftung gegründeten "Sozialen Allianz" angehören. So wie der Westhof, der alleine drei Außenarbeitsplätze bietet - neben dem in der Hofküche noch einen in der Hausmeisterei und einen im Bereich Garten- und Landschaftsbau.
Acht bis zehn Menschen werden pro Jahr vermittelt
Auf diese Weise vermittelt die Stiftung mittlerweile acht bis zehn Menschen mit Behinderung pro Jahr in den normalen Arbeitsmarkt - insgesamt sind es mehr als 60 gewesen, seit sie mit dem "Jobcoaching" 2012 begonnen hat. "Diese Zahl klingt mickrig, aber mit einer Vermittlungsquote von aktuell mehr als einem Prozent sind wir im Vergleich sehr erfolgreich", sagt Jens Waller. "Natürlich gehen damit zu wenige in reguläre Jobs, aber das ist nicht das Problem der Werkstätten, sondern der Gesellschaft", meint Waller.
Jens Waller: Viele Betriebe zahlen lieber Strafe
Zum Beispiel würden viele Betriebe, die eigentlich Menschen mit Behinderungen beschäftigen müssten, lieber eine Art Strafe zahlen, um das zu umgehen. Jens Waller findet das falsch. Er nutzt jede Gelegenheit, um bei Unternehmen aufzuklären und ihnen Hilfe anzubieten. "Mein Traum von Inklusion wäre", sagt Waller, "dass die wenigsten Menschen in Werkstätten arbeiten und die meisten in Unternehmen - unterstützt von den Kollegen und Kolleginnen, die sie heute in den Werkstätten betreuen."