Sawsan Chebli © imago
Sawsan Chebli © imago
Sawsan Chebli © imago
AUDIO: Sawsan Chebli: "Hass im Netz ist nichts anderes als digitale Gewalt" (7 Min)

Sawsan Chebli: "Hass im Netz ist nichts anderes als digitale Gewalt"

Stand: 28.03.2023 17:43 Uhr

Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli nutzt Twitter für ihre politische Arbeit, und viele Male sind bereits Shitstorms über sie hereingebrochen. Nun hat sie das Buch "Laut - Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können" geschrieben.

Frau Chebli, Sie haben viel Hass in Online-Medien erlebt - was waren für Sie diesbezüglich die schlimmsten Erlebnisse?

Sawsan Chebli: Mein erster Shitstorm war ein Ereignis, das mich schon erschüttert hat, weil es so unvorbereitet kam. Das war kurze Zeit, nachdem ich begonnen habe, Soziale Medien zu nutzen und auf Twitter unterwegs war. Da hatte ich über einen sexistischen Vorfall gesprochen und dazu einen Facebook-Post gemacht. Wenn man unvorbereitet ist, dann trifft es einen schon ziemlich brutal. Heute habe ich aufgehört, meine Shitstorms zu zählen - das waren inzwischen etliche.

Für das Buch, das morgen erscheint, haben Sie die Mechanismen dahinter analysiert. Welche Regeln haben Sie in Hate Speech erkannt?

Chebli: Ich weiß inzwischen, dass der Hass nicht gegen einzelne Personen gerichtet ist, sondern die Menschen haten gegen die Werte, für die ich stehe: eine diverse, plurale Gesellschaft, in der Menschen unabhängig von Herkunft, Kultur und Religion einen Platz haben. Vieles von dem Hass ist nicht zufällig, sondern organisiert. Teilweise sind es Trolle, die da unterwegs sind, die ein ganz klares Ziel haben: sichtbare, laute Frauen, Politikerinnen, Aktivistinnen mundtot zu machen. Das hat System. Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Mehrheitsgesellschaft, die Demokratinnen und Demokraten erkennen, dass der Hass gegen Einzelne auch sie etwas angeht, dass es um unsere Demokratie geht und dass sie deshalb Zivilcourage zeigen mit den Opfern, auch online.

Verbale Gewalt im Netz hat sich mit der Sozialisierung des Internets sehr stark vermehrt. Waren diese Tendenzen in unseren Gesellschaften vorher präsent, aber unsichtbar? Werden sie durch Social-Media-Kanäle verstärkt?

Chebli: Auf jeden Fall hat Social-Media Hass und Hetze im Netz um ein deutliches vervielfacht. Fakt ist, dass die deutsche Rechtsprechung gegen Hate Speech im internationalen Vergleich sehr streng ist und schon immer war. In den USA beispielsweise wird Hassrede als Meinungsfreiheit gedeckt. Diese strengere Gesetzgebung, die wir haben, ist den schrecklichen Erfahrungen mit der NationalSozialismus-Propaganda geschuldet. Hassrede gab es also auch schon früher, nur haben die Soziale Medien die Hassrede vervielfältigt. Es ist heute wie ein Brandbeschleuniger.

Das Problem ist, dass die Algorithmen das Mehr-Polarisierende, das Krassere bevorzugen. Wie geht man damit um?

Chebli: Deswegen ist es auch wichtig, dass die Politik reagiert hat mit Instrumenten wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland oder dem Digital Services Act in Brüssel. Das sind zwei Instrumente, die Soziale Plattformen regulieren sollen. Es geht darum, dass wir es schaffen, dass diese Unternehmen nicht mehr durch Traffic Profit machen. Heute ist es so, dass Hass und Emotionen Traffic erzeugen, und das ist das Ziel Sozialer Netzwerke. Wir müssen es schaffen, diese Sozialen Netzwerke besser zu regulieren. Daran müssen sich auch die Sozialen Netzwerke wie Meta, Twitter und andere halten.

Sind Sie optimistisch, dass das gelingt? Beim NDR werden zum Beispiel reihenweise Bilder, wo jemand nackte Schultern hat, gesperrt - aber es ist schwierig, bei vielen Konzernen gegen Hass vorzugehen. Wie können wir das schaffen in Europa?

Buchcover: LAUT - Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können © Goldmann Verlag
"LAUT - Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können" erscheint am 29. März im Goldmann Verlag.

Chebli: Es ist eine Mammutaufgabe, aber ich möchte dem auch nicht kampflos hingeben. Das, was wir mit dem Digital Services Act (DSA) geschaffen haben, das ist schon ein Meilenstein in dem Versuch, Soziale Netzwerke zu demokratisieren. Zum Beispiel gibt es jetzt die Möglichkeit, dass Forschung Zugriff auf Algorithmen hat. Ich habe für das Buch mit Meta gesprochen, und die sagen: Wir haben ein Interesse an Regulierung, wir wollen nicht, dass da Hass gestreut wird, wir haben auch kein Interesse an Desinformation. Aber so jemand wie Donald Trump durfte ganz häufig die Regeln von Facebook verlassen, und die haben nichts getan. Das hatte auch System, weil die keine Lust hatten, sich mit dem anzulegen. Aber mit dem DSA und eigentlich auch mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz darf es in Deutschland so etwas nicht geben. Der Fall Renate Künast zeigt, dass wir auch eine Handhabe haben.

Die Grünen-Politikerin, die mehrfach geklagt hat und auch Recht bekommen hat.

Chebli: Absolut. Der Rechtsweg lohnt sich. Es ist schwer, aber wir sind nicht ohnmächtig.

Empfinden Sie selber manchmal Hass? Das ist ein sehr hartes Wort in der deutschen Sprache.

Chebli: Ich glaube, es ist menschlich zu lieben und auch zu hassen. Aber ich gehe damit anders um. Es ist wichtig, dass diese Hater, die so brutal im Netz agieren und Menschen kleinmachen und mundtot machen wollen, nicht das Gefühl haben, dass sie das können, weil sie nicht dafür belangt werden. Hass ist ein menschliches Phänomen. Aber vor allem darf Hass niemals darin münden, dass daraus Gewalt entsteht. Das ist es, was ich im Buch auch beschreibe. Hass im Netz ist nichts anderes als digitale Gewalt. Das ist etwas anderes, als wenn ich einem Menschen gegenüber Hassgefühle empfinde. Solange es bei mir bleibt, ist das kein Problem. Ein Problem wird es, wenn es im Netz einfach so verbreitet werden kann, ohne dass es dafür Konsequenzen gibt.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

Weitere Informationen
Şeyda Kurt © picture alliance/dpa Foto: Jens Kalaene

Şeyda Kurt: "Hass kann Menschen aus der Ohnmacht holen"

Şeyda Kurt zeigt in ihrem neuen Buch, wie die vermeintlich destruktive Emotion Hass auch eine Kategorie der Ermächtigung sein kann. mehr

Ein Wütend-Button bei Facebook wird mit einem Mauspfeil angeklickt © picture alliance / photothek Foto: Thomas Trutschel
30 Min

Hass im Netz: Eine tote Ärztin und was bleibt

Monatelang wurde die österreichischen Hausärztin Lisa-Maria Kellermayr von Corona-Leugner:innen bedroht, bis sie sich das Leben nahm. Wir rekonstruieren, wie kam es dazu und fragen, welche Konsequenzen Politik und Behörden aus dem Tod der Ärztin ziehen. 30 Min

Eine Frau sitzt vor einem Laptop und hält sich die Hand vor die Augen. © dpa/picture alliance Foto: Dominic Lipinski
4 Min

Wissenschaftlerinnen leiden unter Hass im Netz

Hass-Botschaften in den sozialen Medien sind dabei oft sexualisiert. Außerdem wird die Angst vor körperlichen Angriffen geschürt. 4 Min

Idil Baydar. © NDR
21 Min

Bodyshaming in den Medien: Zu fett, zu mager, zu hässlich?

Was für ein Körperbild sehen wir eigentlich immer auf den Bildschirmen? Alle superdünn, faltenfrei und wenig divers. 21 Min

Florian Balkau
19 Min

Shitstorm statt Debatte: Wie Medien die Stimmung anheizen

Bei vielen Themen ist die Stimmung in den sozialen Netzwerken schnell aufgeheizt. Warum wird so stark polarisiert? Und wie finden wir zurück zu einer besseren Streitkultur? 19 Min

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli steht auf der
Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg. © picture alliance Foto: Bernd von Jutrczenka
8 Min

Chebli über Jugendgewalt: Verbal abrüsten, nicht stigmatisieren

Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli sieht Angriffe auf die staatliche Ordnung nicht als migrationsspezifisches Phänomen und kritisiert die Debatte als oberflächlich. 8 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 28.03.2023 | 17:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Netzpolitik

Social Media

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Die Schauspielerin Katharina Thalbach sitzt auf einem Sofa. © Screenshot

Katharina Thalbach mit "Ein Wintermärchen" wieder in der Elphi

"Ein Wintermärchen" mit Katharina Thalbach in der Elbphilharmonie ist fast ein Klassiker. Heute ist die erste von neun Aufführungen. mehr