Sawsan Chebli: "Hass im Netz ist nichts anderes als digitale Gewalt"
Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli nutzt Twitter für ihre politische Arbeit, und viele Male sind bereits Shitstorms über sie hereingebrochen. Nun hat sie das Buch "Laut - Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können" geschrieben.
Frau Chebli, Sie haben viel Hass in Online-Medien erlebt - was waren für Sie diesbezüglich die schlimmsten Erlebnisse?
Sawsan Chebli: Mein erster Shitstorm war ein Ereignis, das mich schon erschüttert hat, weil es so unvorbereitet kam. Das war kurze Zeit, nachdem ich begonnen habe, Soziale Medien zu nutzen und auf Twitter unterwegs war. Da hatte ich über einen sexistischen Vorfall gesprochen und dazu einen Facebook-Post gemacht. Wenn man unvorbereitet ist, dann trifft es einen schon ziemlich brutal. Heute habe ich aufgehört, meine Shitstorms zu zählen - das waren inzwischen etliche.
Für das Buch, das morgen erscheint, haben Sie die Mechanismen dahinter analysiert. Welche Regeln haben Sie in Hate Speech erkannt?
Chebli: Ich weiß inzwischen, dass der Hass nicht gegen einzelne Personen gerichtet ist, sondern die Menschen haten gegen die Werte, für die ich stehe: eine diverse, plurale Gesellschaft, in der Menschen unabhängig von Herkunft, Kultur und Religion einen Platz haben. Vieles von dem Hass ist nicht zufällig, sondern organisiert. Teilweise sind es Trolle, die da unterwegs sind, die ein ganz klares Ziel haben: sichtbare, laute Frauen, Politikerinnen, Aktivistinnen mundtot zu machen. Das hat System. Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Mehrheitsgesellschaft, die Demokratinnen und Demokraten erkennen, dass der Hass gegen Einzelne auch sie etwas angeht, dass es um unsere Demokratie geht und dass sie deshalb Zivilcourage zeigen mit den Opfern, auch online.
Verbale Gewalt im Netz hat sich mit der Sozialisierung des Internets sehr stark vermehrt. Waren diese Tendenzen in unseren Gesellschaften vorher präsent, aber unsichtbar? Werden sie durch Social-Media-Kanäle verstärkt?
Chebli: Auf jeden Fall hat Social-Media Hass und Hetze im Netz um ein deutliches vervielfacht. Fakt ist, dass die deutsche Rechtsprechung gegen Hate Speech im internationalen Vergleich sehr streng ist und schon immer war. In den USA beispielsweise wird Hassrede als Meinungsfreiheit gedeckt. Diese strengere Gesetzgebung, die wir haben, ist den schrecklichen Erfahrungen mit der NationalSozialismus-Propaganda geschuldet. Hassrede gab es also auch schon früher, nur haben die Soziale Medien die Hassrede vervielfältigt. Es ist heute wie ein Brandbeschleuniger.
Das Problem ist, dass die Algorithmen das Mehr-Polarisierende, das Krassere bevorzugen. Wie geht man damit um?
Chebli: Deswegen ist es auch wichtig, dass die Politik reagiert hat mit Instrumenten wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland oder dem Digital Services Act in Brüssel. Das sind zwei Instrumente, die Soziale Plattformen regulieren sollen. Es geht darum, dass wir es schaffen, dass diese Unternehmen nicht mehr durch Traffic Profit machen. Heute ist es so, dass Hass und Emotionen Traffic erzeugen, und das ist das Ziel Sozialer Netzwerke. Wir müssen es schaffen, diese Sozialen Netzwerke besser zu regulieren. Daran müssen sich auch die Sozialen Netzwerke wie Meta, Twitter und andere halten.
Sind Sie optimistisch, dass das gelingt? Beim NDR werden zum Beispiel reihenweise Bilder, wo jemand nackte Schultern hat, gesperrt - aber es ist schwierig, bei vielen Konzernen gegen Hass vorzugehen. Wie können wir das schaffen in Europa?
Chebli: Es ist eine Mammutaufgabe, aber ich möchte dem auch nicht kampflos hingeben. Das, was wir mit dem Digital Services Act (DSA) geschaffen haben, das ist schon ein Meilenstein in dem Versuch, Soziale Netzwerke zu demokratisieren. Zum Beispiel gibt es jetzt die Möglichkeit, dass Forschung Zugriff auf Algorithmen hat. Ich habe für das Buch mit Meta gesprochen, und die sagen: Wir haben ein Interesse an Regulierung, wir wollen nicht, dass da Hass gestreut wird, wir haben auch kein Interesse an Desinformation. Aber so jemand wie Donald Trump durfte ganz häufig die Regeln von Facebook verlassen, und die haben nichts getan. Das hatte auch System, weil die keine Lust hatten, sich mit dem anzulegen. Aber mit dem DSA und eigentlich auch mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz darf es in Deutschland so etwas nicht geben. Der Fall Renate Künast zeigt, dass wir auch eine Handhabe haben.
Die Grünen-Politikerin, die mehrfach geklagt hat und auch Recht bekommen hat.
Chebli: Absolut. Der Rechtsweg lohnt sich. Es ist schwer, aber wir sind nicht ohnmächtig.
Empfinden Sie selber manchmal Hass? Das ist ein sehr hartes Wort in der deutschen Sprache.
Chebli: Ich glaube, es ist menschlich zu lieben und auch zu hassen. Aber ich gehe damit anders um. Es ist wichtig, dass diese Hater, die so brutal im Netz agieren und Menschen kleinmachen und mundtot machen wollen, nicht das Gefühl haben, dass sie das können, weil sie nicht dafür belangt werden. Hass ist ein menschliches Phänomen. Aber vor allem darf Hass niemals darin münden, dass daraus Gewalt entsteht. Das ist es, was ich im Buch auch beschreibe. Hass im Netz ist nichts anderes als digitale Gewalt. Das ist etwas anderes, als wenn ich einem Menschen gegenüber Hassgefühle empfinde. Solange es bei mir bleibt, ist das kein Problem. Ein Problem wird es, wenn es im Netz einfach so verbreitet werden kann, ohne dass es dafür Konsequenzen gibt.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.