Pastorin Josephine Teske: "Ich bin kein Einhorn in der Kirche"
Die Hamburger Pastorin Josephine Teske erreicht auf ihrem Instagram-Kanal "Seligkeitsdinge" mehr als 40.000 Followerinnen und Follower. Sie spricht sich für Weltoffenheit und sexuelle Selbstbestimmung aus. Viele Kirchenmitglieder würden sich eine modernere Kirche wünschen, sagt sie im Gespräch mit NDR Kultur.
Wegen ihres Social-Media-Erfolgs ist Josephine Teske 2021 in den Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands gewählt worden. Im Gespräch mit NDR Kultur spricht sie über die Kirche der Zukunft, radikale Offenheit und Feminismus. Einen Auszug des Gesprächs lesen Sie hier. Die vollen 30 Minuten können Sie in der ARD Audiothek oder als Podcast hören.
Vergangenes Jahr ist in Deutschland zum ersten Mal seit Jahrhunderten der Anteil der Kirchenmitglieder auf unter 50 Prozent gefallen. Die Mehrheit der Menschen ist mittlerweile weder römisch-katholisch noch evangelisch. Einige sprechen von einer historischen Zäsur. Besorgt Sie diese Entwicklung?
Josephine Teske: Ja und Nein. Ja, weil da natürlich auch Kirchensteuergelder mit dranhängen. Das besorgt mich insofern, als dass mit diesem Geld viel Gutes getan wird. Damit wird zum Beispiel die Diakonie finanziert, viele ehrenamtliche Projekte für Kinder oder die Tafel gefördert. Mit diesen Mitteln wird vieles finanziert, das wichtig ist, um unsere Gesellschaft zu stärken, um auch Demokratie zu stärken. Von daher bin ich schon traurig, wenn das zurückgeht. Ich mache mir natürlich auch Gedanken darüber, warum Menschen überhaupt aus der Kirche austreten und habe so meine Ideen.
Zum Beispiel?
Teske: Zum Beispiel natürlich, um Geld zu sparen. Zum anderen sind es auch die Missbrauchsskandale. Den Vertrauensverlust in die Institution Kirche kann ich nachvollziehen. Zum anderen gibt es in unserer Gesellschaft eine Vielzahl von Angeboten, in denen man Sinn findet oder Sinnfragen auch stellen kann. Es ist so viel Angebot da, dass man sich als junger Mensch fragt: Was kann mir die Kirche jetzt noch geben? Mit der Kirche sind viele verstaubte Vorurteile verbunden. Ich höre ganz oft: Wenn ich gewusst hätte, dass Kirche auch was mit meinem Leben zu tun hat, dann wäre ich ja schon viel öfter in die Kirche gegangen. Das sagen Menschen mir und denken, ich bin ein Einhorn in der Kirche. Aber das bin ich überhaupt nicht. Es gibt so viele Kirchengemeinden, so viele Haupt- und Ehrenamtliche in der Kirche, die sich das gleiche wünschen. Dass Kirche modern ist, unsere Sprache dort gesprochen wird. Dass das was mit unseren Lebenswelten zu tun hat, was da in der Kirchengemeinde geschieht.
Wenn Sie sagen, es gebe viele frische Gemeinden, dann ist es vielleicht ein Imageproblem. Wer so viele Followerinnen und Follower hat wie Sie, der gilt als Influencerin. Spüren Sie den Einfluss, den Sie haben?
Teske: Ich spreche viele verschiedene Themen an. Ich nehme die Menschen mit durch meinen Alltag: als Pastorin, als alleinerziehende Mutter, als Frau, die lange Single war. Das sind natürlich alles Themen, mit denen man sich identifizieren kann. Ich stelle viele Fragen. Ich habe eigentlich gar nicht so viele Antworten, auch für mich selbst nicht. Ich bin eher so eine Suchende und eine fragende Frau. Das ist auch meine Art, Pastorin zu sein. Fragen zu stellen und die Menschen dazu zu befähigen, sich ihre eigenen Fragen zu stellen und sie dazu befähigen, auf die Suche nach ganz eigenen Antworten zu gehen. Da beeinflusse ich schon. Ich bekomme Rückmeldungen darüber, dass sich gerade was verändert hat oder jemand Mut hatte, etwas gewagt hat.
Was beim Lesen Ihrer Einträge besonders auffällt, ist eine radikale Offenheit. Sie brechen mit vermeintlichen Tabus. Sie sprechen offen über die Periode, den weiblichen Körper nach der Schwangerschaft. Sie zeigen sich auch mal auf Fotos weinend. Sie beschreiben Ihre tiefsten Täler. Zum Beispiel Ihre Fehlgeburt oder die Wut auf Ihren eigenen Vater, der vor Ihrer Geburt gegangen ist. Wie viel Mut gehört dazu?
Teske: Für mich tatsächlich nicht viel Mut. Ich trage mein Herz auf der Zunge. Ich bin ein sehr reflektierter Mensch und was ich poste, das ist schon alles von mir durchdacht und bearbeitet. Das ist keine frische Wunde, die man da lesen kann. Ich glaube, dann wäre es anders. Dann würde ich mich auch angreifbar fühlen. So bin ich mit dem, was ich da zeige, im Reinen mit mir selbst. Im Frieden mit dem, was ich da geschrieben habe. Und sehe das dann eher als Angebot für die Lesenden. Ich möchte gerne die Möglichkeit geben, dass sich Menschen darin wiederfinden. Sich darüber selbst ihre Gedanken machen. Aber vielleicht auch einfach abgrenzen und sagen: Das ist überhaupt gar nicht mein Thema. Das sind sehr persönliche Themen, wo ich zwischen Privatem und Persönlichem unterscheide. Am Anfang habe ich noch viel Privates gezeigt, und dann habe ich irgendwann natürlich auch damit aufgehört. Mittlerweile sieht niemand mehr meine Kinder mit einem Gesicht. Niemand weiß, wie meine Kinder heißen, es sei denn, sie folgen mir schon Jahre. Ich zeige nicht mehr so viel aus meinem Alltag. Mit dieser Trennung von Privatem und Persönlichen kann ich total gut leben und deswegen macht es mir nichts, etwas Persönliches zu zeigen, weil das hat ja nur etwas mit mir zu tun.
Sie hadern auf Instagram auch viel mit der Institution Kirche. Statt um Gott gehe es oft um Macht. Sie haben 2020 geschrieben: Die Kirche hätte oft vergessen, für wen sie eigentlich da sei. Wie ist Ihr Blick auf Kirche heute? Hat sich da was verändert?
Teske: Ich glaube, es geht viel um Macht - auch in der Kirche. Mein Blick hat sich insofern ein bisschen verändert, als dass ich jetzt gesettelter bin. Ich stehe mit beiden Füßen ganz fest in dieser Institution. Ich habe mir mittlerweile einen Ruf erarbeitet und werde ernst genommen. Ich bin Pastorin, da leite ich. Ich habe Macht, ob ich will oder nicht. Ich habe Macht im Internet, das ist viel Verantwortung, die möchte ich nicht missbrauchen. Und ich bin ein Mitglied im Rat der EKD, also im höchsten Leitungsgremium der Evangelischen Kirchen in Deutschland. Das ist auch eine Machtposition, von der ich, ehrlich gesagt, noch gar nicht weiß, wie ich die richtig ausfüllen kann.
In den Rat der EKD wurden Sie als "digitale Stimme der Kirche" gewählt, weil Sie so einen Social-Media-Erfolg haben. Wir bringen Sie sich da denn ein? Was ist Ihre Vision?
Teske: Ich habe im Rat verschiedene Aufgaben. Zum einen arbeite ich mit dem Team der Digitalisierung der EKD zusammen. Zum anderen bin ich Schirmherrin des Evangelischen Familie Gütesiegels. Da geht es darum: Wie kann Kirche und Diakonie als Arbeitgeberin für Familien gute Strukturen schaffen? Damit Familien, Mütter, Väter und Menschen, die ihre Eltern pflegen, gut arbeiten können - ohne ausgebrannt zu sein oder ohne zu viel von ihrem Familienleben hergeben zu müssen. Im Rat selbst wird sehr viel über Finanzen entschieden. Darüber, wie wir Kirche in Zukunft sehen. Ich glaube, da bringe ich einfach immer meinen Blick auf diese Welt mit ein und sage meine Meinung.
Sie sprechen sich für Toleranz, für Weltoffenheit, für sexuelle Selbstbestimmung und auch Geschlechtergerechtigkeit aus. Das Ganze ist sehr politisch und sehr feministisch. Gibt es da Gegenwind von Kolleginnen und Kollegen oder von der Gemeinde?
Teske: Nein, zum Glück gar nicht. Es gibt schon von anderen Christinnen und Christen, die andere Einstellung haben, Gegenwind. Aber wir leben auch in einer pluralen Gesellschaft. Jeder darf eine eigene Meinung haben. Gerade weil ich so viel Einfluss im Netz habe, möchte ich den für die gute Sache nutzen. Menschen stärken. Menschen sagen: 'Du bist richtig. Du lebst hier keine Sünde, weil du homosexuell bist, mach dir keine Sorgen'. Ich möchte auch zeigen: Kirche ist ein sicherer Ort für alle Menschen.
Da sind nicht alle einverstandenen. In einem Instagram-Beitrag sprechen Sie sich für offenes Reden über Menstruation aus und darunter schreibt jemand die Kritik: 'Ein Tritt ins Gesicht für den Herrn und jeden echten Gläubigen'. Wie gehen Sie mit solchen Kommentaren um?
Teske: Mittlerweile belächele ich das und ehrlich gesagt: Es prallt an mir ab. Ich musste oft so etwas hören wie: 'Frauen wie Du sind der Grund, warum es eigentlich keine Priesterin geben darf'. Mir wurde auch schon abgesprochen, Christin zu sein. Das hat mich damals lange beschäftigt. Wer hat eigentlich das Recht, mir zu sagen, dass ich keine Christin bin? Am Ende nur Gott, vielleicht noch ich, aber doch sonst niemand. Nur weil ich anders glaube oder eine andere Frömmigkeit habe. Mich stört es nicht. Mir zeigt das eher: Es braucht solche Stimmen wie meine.
Sie bezeichnen sich selbst als Feministin. Wie würden Sie das definieren?
Teske: Ich wünsche mir, dass alle Menschen gleichbehandelt werden und die gleichen Chancen haben. Ich weiß, dass wir gerade in der Kirche ein patriarchal geprägter Haufen sind. Diese Strukturen wirken nach - in der Katholischen Kirche noch viel mehr als in der Evangelischen Kirche. Aber Gleichberechtigung gilt nicht nur für diese zwei Geschlechter Mann und Frau. Sondern ich möchte auch, dass People of Color in unserer Institution die gleichen Rechte haben. Ich möchte, dass Menschen, die auf Inklusion angewiesen sind, die gleichen Voraussetzungen in unserer Kirche haben.
Die Fragen stellte Juliane Bergmann. Das vollständige 30-minütige Gespräch können Sie als Podcast und in der ARD Audiothek hören. Am 16. April läuft es ab 13 Uhr im Radio bei NDR Kultur.