Bunter kann Schwarz nicht sein - M’era Luna 2022
Nach zwei Jahren Corona-Pause trifft sich die schwarze Szene auf dem M’era Luna in Hildesheim. Gothics, Cyber-Punks, Mittelalter-Fans - kaum ein Festival ist vielfältiger.
Ketten-Schlüpfer, Ledermasken, blutverschmierte Unterhemden? Willkommen auf dem M’era Luna 2022 - eines der wichtigsten Treffen der Schwarzen Szene. Und eines der schillerndsten: Denn wer beim Gang über das Festival-Gelände nicht bei offenem Mund ins Staunen gerät, der braucht dringend einen Termin beim Optiker des Vertrauens. Daran hat sich auch nach zwei Jahren Festival-Pause durch Corona-Pandemie nichts geändert.
Rebellen mit Schweißerbrille
"Es ist einfach nur fantastisch wieder hier zu sein", sagen Steffi Heusgen und Inga Baum aus Wuppertal. Beide sind treue M’era Luna-Besucherinnen, kommen seit Jahren hierher. Nicht, dass man das mit einem Blick nicht schon erahnen würde: Rüschen-Hemden mit darauf montierten Fake-Zahnrädern, bronzierter Zylinder, Schweißer-Brille auf dem Kopf - sie sind "Steam Punks". Ihre Outfits orientieren sich also grob an der Zeit von Nikola Tesla, als Elektrizität und die Dampfmaschine - daher "Steam"- Menschen zugleich faszinierten und ängstigten. Mit Punk haben sie zwar weniger am Hut, rebellisch sind die beiden Frauen mittleren Alters aber trotzdem: "Wir kleiden uns, wie wir wollen, mixen dies und das", sagen sie mit einem trotzigen Grinsen.
"Ich mag es, wenn Leute Angst vor mir haben"
Moment Grinsen? Ist doch ein Gothic-Festival, oder? Müssen da nicht alle mit Totengräber-Gesicht und gesenkten Schultern herumwandeln? Fern davon. Das Beste Beispiel ist Ratana Thapthai. Spricht man die Hamburgerin auf ihr Outfit an - eine Art Hörner-Kopfaufsatz mit weißem Totenkopf in der Mitte - bekommt sie sofort ein fröhliches Blitzen in die Augen. "Ich mag es ein bisschen, wenn die Leute erst Angst vor mir haben", sagt die Frau mit thailändischen Wurzeln. Die Freude hat noch einen Grund: Seit zehn Jahren habe sie immer auf’s M’era Luna gewollt i-mmer aber seien die Karten zu schnell ausverkauft gewesen.
Das Ticket für 2022 war ein Geburstagseschenk - "das beste ever", versichert sie. Was ihr am meisten gefalle am M’era Luna, abgesehen von der Musik? "Die Stimmung hier", sagt sie ohne groß zu überlegen. Die sei so friedlich und ausgelassen. Und tatsächlich: Auch wenn es hier, wie bei jedem Festival, Security und Polizei gibt, haben die offenbar kaum Grund zum Einschreiten. Betrunkene Pöbeler, Schlägereien - sowas scheint auf dem M’era Luna Fehlanzeige zu sein. Auch ein Sprecher des Veranstalters Scorpio bestätigt: "Das M’era Luna ist eines der friedlichsten Festivals überhaupt."
Bikinis und Softeis - Hauptsache in Schwarz!
Und es ist eines der buntesten. Nicht sprichwörtlich, natürlich: Wenn es hier eine Hauptfarbe gibt, dann ist es Schwarz. Schwarze Shirts, schwarze Hosen, schwarze Schuhe, ja sogar schwarze Bikinis - und selbst das Softeis, das auf dem Gelände verkauft wird, ist pechschwarz. Aber die Bandbreite der Kleidungen und Verkleidungen auf dem Festival ist gigantisch: Steam-Punks, Cyber-Punks, Vampire, Wikinger, Horror-Clowns und morbide Geishas - keiner soll den M’era Luna-Besuchern nachsagen können, sie würden sich nichts einfallen lassen.
Mit Koffern im Festival-Zelt
Wie zum Beispiel die Gruppe von Chrissi Leibing und Christian Baum aus Hamburg. Jedes Jahr nehmen sie sich für das Festival ein Motto vor. Und weil an diesem Wochenende auch CSD in ihrer Heimatstadt steigt, lautet es eben: "Regenbogen". Alle haben sich deshalb mit einer jeweils anderen Farbe geschmückt: Pinke Netzstrumpfhose, grüne Haare, unter einem Rock blitzt etwas Blau hervor. Manches Kostüm ist derart aufwendig, dass das Komplett-Styling samt Einkleiden schon mal Stunden dauerte. "Wir haben tatsächlich das ganze Zelt voller Taschen und Koffer", sagt Christian Baum. Das M’era Luna - ein Festival der Kostüme, bei dem die Musik fast schon Beiwerk erscheint.
Zuckende Körper im Nebel
Aber auch nur fast. Natürlich gibt es sie auch hier: Die Hände, die durch die Luft fliegen, die Nebelschwaden von der Bühne, die Körper, die zu treibenden Beats zucken und Schreie nach "meeeeehr!" Musik. Und auch die ist – genau wie das Publikum – abwechslungsreicher, als man glauben mag: Dicke Gitarren, sphärische Piano-Sounds, Techno-Stampfen - Herrgott, sogar mongolischer Kehlkopfgesang ist von der Bühne zu hören! Der erste Tag auf dem M’era Luna: Er hat deutlich gemacht, warum so viele hier sich zwei Jahre nach ihrem Festival gesehnt haben: Kaum eines ist ästhetischer, wilder und vielfältiger. Oder wie eine Besucherin auf den Punkt gebracht hat: "Ich bin zwar schwarz gekleidet - aber meine Seele ist bunt!"