"Hitler-Tagebücher": Die Recherchen und Hintergründe
Kujaus "Hitler-Tagebücher" waren kein einzigartiges Projekt. Der gescheiterte Künstler und Militaria-Händler betrieb schon vor der Zusammenarbeit mit Heidemann und dem "Stern" ein florierendes Geschäft mit Hitler-Devotionalien. Er fälschte und verkaufte Gemälde mit Hitlers Unterschrift, aber auch Zeichnungen mit Texten von Hitler. Er verdiente Geld mit der Reproduktion von Hitler-Fotografien samt gefälschten Widmungen. Er stellte Postkarten, Briefe, Entwürfe von Seiten aus Hitlers Buch "Mein Kampf", angebliche Hitler-Gedichte und -Liebesbriefe sowie andere Fake-Dokumente her. Die "Tagebücher" waren nur eines der Produkte dieser professionell betriebenen Werkstatt, mit denen Kujau einen lukrativen Markt bediente.
Obwohl die verfügbaren Beweise nur bruchstückhaft sind, ergibt sich aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen Kujau und Heidemann und anderen Dokumenten das Bild eines Gespanns von Männern, die sich in den 1970er-Jahren um Konrad Kujau versammelten, um gemeinsam verschiedene Arten von Hitler-Devotionalien zu produzieren und zu vermarkten.
Ausgedehnte Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Nach dem "Stern"-Skandal ermittelte die Staatsanwaltschaft von Oktober 1983 bis März 1984 nicht nur gegen Konrad Kujau als Urheber der "Tagebücher" und Gerd Heidemann, sondern auch gegen einen Mann namens Lothar Zaulich. Er stand im Verdacht, Kujau bei der Herstellung und dem Verkauf von Fälschungen aus der NS-Zeit unterstützt zu haben. Bei der Durchsuchung der Geschäftsräume von Kujau fanden die Ermittlungsbehörden sechs Porträts von Adolf Hitler, die mit Zaulichs persönlichem Stempel versehen waren. Zaulich gab später gegenüber der Polizei zu, dass es sich um seine Werke handelte. Außerdem fanden die Ermittler bei der Durchsuchung ein Buch, das Kujau vermutlich für seine Fälscher-Werkstatt verwendet hatte: den "Großen Bildband über die Waffen-SS". Das Buch war an drei Stellen mit Zaulichs Stempel versehen.
Am 13. Oktober 1983 wurde auch Zaulichs Wohnung in einem dreistöckigen Wohnhaus in der Gablenberger Hauptstraße in Stuttgart, nicht weit von Kujaus Geschäft entfernt, durchsucht.
Wer war Lothar Zaulich?
Wer war Lothar Zaulich und in welcher Beziehung stand er zu Konrad Kujau? Als er Kujau 1977 kennenlernte, war Zaulich 51 Jahre alt, zwölf Jahre älter als Kujau. Im Polizeiverhör gab er an, dass er Kujau bei seiner Arbeit als Parkhauskassierer im Stuttgarter Schlossgartenpark kennengelernt habe.
Ende 1977 gründete Michael Kühnen, damals der einflussreichste Neonazi-Anführer in der Bundesrepublik, die rechtsradikale Organisation Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS). Kühnens politisches Programm war unmissverständlich: "Ich war, bin und bleibe Nationalsozialist." Zaulich war zur Zeit seiner Bekanntschaft mit Kujau in engem Kontakt mit Michael Kühnen. Er trat als Kühnens Pressesprecher auf und war "Sonderführer" der Stuttgarter ANS-Gruppe. Zaulich war also ein Funktionär einer der damals führenden neonazistischen Organisationen, die 1983 vom Bundesinnenminister verboten wurden. Zaulichs politische Haltung blieb auch in den folgenden Jahrzehnten eindeutig. "Ich würde es natürlich begrüßen, wenn nach Wahlkämpfen die NDSAP wieder an die Regierung käme", erklärte er etwa 1992.
ANS-Aktion von 1978: Leugnen des Holocaust
Eine der ersten, besonders abstoßenden und spektakulären Aktionen der ANS 1978 war eine Demonstration, die den Holocaust leugnete. ANS-Aktivisten marschierten mit Eselsmasken und hielten Schilder mit der Aufschrift "Ich Esel glaube noch, daß in deutschen KZs Juden 'vergast' wurden." Die Aktion sorgte in der gesamten Bundesrepublik für Schlagzeilen und verschaffte der kleinen Gruppe eine gewisse Bekanntheit.
Kooperation mit rechtsradikalem Verlag
Bis zu ihrem Verbot Ende 1983 war Zaulich Vorsitzender des baden-württembergischen Landesverbandes der Aktion Ausländerrückführung - Volksbewegung gegen Überfremdung und Umweltzerstörung (AAR), einer rechtsradikalen Organisation, die sich Kühnen und den Zielen seiner ANS verpflichtet fühlte und mit ihnen verbunden war. Zaulich arbeitete mit dem wichtigsten Verlag für deutschsprachige Nazi-Literatur in den Vereinigten Staaten zusammen, Liberty Bell Publications. Bei der Hausdurchsuchung fand die Polizei bei Zaulich einen von Liberty Press Publications auf seinen Namen ausgestellten Presseausweis. Odfried Hepp, ein ehemaliger Neonazi, der in den 1980er-Jahren im rechtsradikalen Milieu der Bundesrepublik bestens vernetzt war, hat uns bestätigt, dass Zaulich eng mit dem rechtsradikalen Verlag kooperierte.
In unserem Zusammenhang ist interessant, dass Liberty Bell in dieser Zeit ein Buch mit dem Titel "The Hitler We Love and Why" und eine Neuausgabe der berüchtigten antisemitischen Hetzschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" veröffentlichte - wie die "Hitler-Tagebücher" ein vermeintliches historisches Dokument und eine Fälschung.
"Vagabund" Zaulich war selbst im KZ
Im Gegensatz zu Kujau hatte Zaulich, Jahrgang 1926, die NS-Zeit als junger Erwachsener erlebt und war als schwer erziehbarer Jugendlicher offenbar einige Zeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern interniert. Nachdem er seinen Eltern in Hamburg davongelaufen war, sperrten die Behörden Zaulich "wegen Vagabundentums" in verschiedene Lager, in Bremen und später in Neuengamme. Seine KZ-Erfahrungen machten ihn in der Bundesrepublik zu einem interessanten "Zeugen" für rechte Holocaust-Leugner. Anfang 1981 wurde Zaulich in der antisemitischen Zeitschrift "Die Bauernschaft" (gegründet von dem Holocaust-Leugner Thies Christophersen, der als SS-Sonderführer im Konzentrationslager Auschwitz tätig war) mit der Aussage zitiert, er habe in seinen drei Jahren in verschiedenen Konzentrationslagern nie einen "staatlich organisierten Völkermord" gesehen oder davon gehört. "Ich glaube kein Wort von der Holocaust-Geschichte, weil ich so etwas nie erlebt habe. Denn ich habe so etwas nie gesehen und nie davon gehört", erklärte Zaulich auch 1992.
Verbindung zwischen Kujau und Zaulich nicht öffentlich bekannt
Der Holocaust-Leugner und Neonazi-Funktionär Zaulich war ein Geschäftspartner und persönlicher Freund von Konrad Kujau. Diese Verbindung Kujaus zum zeitweiligen Pressesprecher von Michael Kühnen ist bisher, soweit wir wissen, nicht öffentlich bekannt. Die Ermittlungsakten gegen ihn gehören zu den Quellen, die für die bisherigen Untersuchungen des "Stern"-Skandals nicht genutzt worden sind.
In den Verhören nach dem "Stern"-Skandal (gegen ihn wurde wegen Urkundenfälschung ermittelt) berichtete Zaulich, wie seine Zusammenarbeit mit Kujau begann: mit einer Diskussion darüber, wie einfach es sei, historische Dokumente zu fälschen. Zaulichs Beispiel dafür war die angebliche "Vergasungslüge", also die Behauptung, die Dokumente, die den Holocaust belegen, seien Fälschungen. "So habe er vor einigen Jahren dem Kujau gezeigt, wie Fotoreproduktionen verfälscht werden können. Er habe in Beisein des Kujau eine Fotomontage hergestellt, um zu beweisen, wie einfach es sei, dokumentarisch mit der Vergasungslüge zu arbeiten", heißt es in den Ermittlungsakten.
Wohnung von Zaulich durchgesucht
Die Durchsuchung von Zaulichs Wohnung fand am 13. Oktober 1983 statt, fünf Monate nachdem der Fake der "Hitler-Tagebücher" aufgeflogen war. Auf dem Dachboden fanden die Polizisten ein professionelles Fotolabor, darunter drei Minolta-Kameras und eine Konica, sowie eine Werkstatt zur Herstellung von Reproduktionen. In Zaulichs Wohnung stießen sie auch auf „Das Buch der NSDAP“ mit "fertigen Bildelementen von bekannten Kujau-Fälschungen". In der Wohnung entdeckten die Polizisten außerdem einen Fotokopierer, Nazi-Devotionalien, einen Zettelkasten mit den Namen der ANS-Mitglieder und Fotos der Anführer der Organisation - die Büroausstattung eines Neonazi-Kaders. Sie fanden einen Leitfaden für den Umgang mit Sprengstoff, Tonaufnahmen von Michael Kühnen und Neonazi-Musik auf Kassetten. Dazu stapelten sich bei Zaulich über hundert Plakate der Kühnen-Zaulich-Organisation AAR. Alles wurde beschlagnahmt und der Staatsanwaltschaft als Beweismittel für eine mögliche Anklage nach Paragraf 130, "Volksverhetzung", übergeben.
Auf die Frage nach den in Kujaus Wohnung gefundenen Hitler-Porträts mit seinem Stempel bestritt Zaulich, dass sie von ihm stammten. Der Polizeibeamte, der die Vernehmung durchführte, schrieb in einem Vermerk: "Diese großen Hitler-Portraitaufnahmen … sind in der Ausfertigung so markant, dass sich Herr Zaulich nach Ansicht des Unterzeichners und Vernehmenden an diese seine Arbeit hätte erinnern müssen. Nach meiner 2. Aufforderung, die für Kujau gefertigten Fotoarbeiten darzulegen, war Herr Zaulich nicht mehr bereit, weitere Angaben zur Sache zu machen. In diesem Punkt entstand der Eindruck, dass Herr Zaulich bewusst wichtige Tatsachen verschwieg."
- Teil 1: Zahlreiche bisher unbeachtete Quellen gefunden
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- Teil 4: Frage: Wer wollte Hitler freisprechen?
- Teil 5: Eine Werkstatt für Hitler-Fälschungen
- Teil 6: Projektion von Hitler-Unterschrift hilft Kujau
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- Teil 12: Männer der Fälscher-Werkstatt vom "Dritten Reich" fasziniert