"Hitler-Tagebücher": Die Recherchen und Hintergründe

Stand: 23.02.2023 18:00 Uhr

von John Goetz

Ein weiteres Mitglied des Hitler-Fälscher-Teams ist vielleicht der zwielichtigste Mann im Umfeld Konrad Kujaus. Sein Name ist Medardus "Peter" Klapper. Tonbandaufzeichnungen von Klapper belegen, dass er sich sowohl antisemitisch als auch Holocaust-leugnend geäußert hat, aber als früheres Mitglied einer SS-Division, der "Leibstandarte SS Adolf Hitler", genießt er bei Heidemann besondere Glaubwürdigkeit. Klapper behauptet, ein wichtiges Mitglied der SS-Veteranenorganisation HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS e.V.) zu sein, ein Netzwerk früherer SS-Männer, die sich in der Bundesrepublik seit den 1950er-Jahren tatkräftig gegenseitig unterstützen.

Frage um Standort des berühmten "Bernsteinzimmers"

Klapper verdient sein Geld als Waffenhändler, er betreibt zur Zeit der Hitler-Fälscher-Werkstatt ein Waffen- und Militaria-Geschäft. Aber seine eigentliche Profession ist die eines Hochstaplers. Er ist in verschiedene Betrügereien mit angeblichen Nazi-Schätzen verwickelt und behauptet sogar, den Standort des berühmten "Bernsteinzimmers" zu kennen.

Peter Klapper sorgt für falsche Tatsachenbehauptungen

Wir können zeigen, dass er im "Stern"-Skandal eine Schlüsselrolle einnimmt. Klapper hat Gerd Heidemann, den Reporter auf Hitler-Suche, im raffinierten Zusammenspiel mit Kujau in eine trickreich konstruierte Falle gelockt. Klapper ist es, der Heidemann wichtige Details der fiktiven Heß-"Friedensmission" und viele andere, in den "Tagebüchern" verbreitete falsche Tatsachenbehauptungen "bestätigt". Im Fall der Heß-Geschichte liefert er sogar "Unterlagen". Seine Lügen tragen zumindest in den Augen Heidemanns und anderer "Stern"-Redakteure offenbar zur Glaubwürdigkeit der intimen Aufzeichnungen aus dem Führerhauptquartier bei.

Dank Gerd Heidemann konnten wir in vielen Stunden die zahlreichen Tonaufzeichnungen anhören, die Heidemann in dieser Zeit von seinen Gesprächen gemacht hat, auch von seinen Gesprächen mit Klapper. Diese Dokumente sind eine wichtige Quelle, um Klappers Rolle bei dem Fälschungsbetrug zu verstehen. Der zeitliche Ablauf zeigt, dass sich die Lügen von Klapper und Kujau so perfekt ergänzen, dass man vermuten kann, dass sie sorgfältig aufeinander abgestimmt sind.

Erfundungsreiche Angebote von Kujau

Kujau macht in seinen "Tagebüchern" Schleichwerbung und schafft so Interesse für weitere frei erfundene Dokumente, die die Betrüger an Heidemann verkaufen wollen. Darunter sind vermeintliche Überlegungen Hitlers zur "Judenfrage" und fiktive "Beweise" dafür, dass Nazi-Deutschland eine Atombombe entwickelt habe, die von den USA gestohlen und in Hiroshima eingesetzt wurde. In den "Tagebüchern" wird ein imaginäres Parteiabzeichen mit Brillanten erwähnt, dessen Existenz Klapper gegenüber Heidenmann "bestätigt". Dank Malte Herwig wissen wir aus einem Telefongespräch, dass Kujau plante, das angebliche Material an Heidemann zu verkaufen. Es ist schwer zu unterscheiden, ob Kujaus erfindungsreiche Angebote von Nazi-Devotionalien Heidemanns Nachfrage stimulieren, oder ob nicht auch umgekehrt Heidemanns unersättliche Nachfragen samt den offenbar unbegrenzten Mitteln aus der "Stern"-Kasse Kujaus Fälscherbande zu immer neuen Angeboten inspirieren.

Schwindler manipuliert "Stern"-Redakteure

Klapper ist ein begabter Schwindler, der den "Stern"-Reporter und seine Redaktionskollegen ebenso geschickt zu manipulieren versteht, wie Kujau die Handschrift Hitlers fälschen kann. Klapper behauptet gegenüber Heidemann, er sei in Kontakt mit einer Gruppe in Spanien und Lateinamerika lebender, ehemals hochrangiger NS-Führungsfiguren aus dem unmittelbaren Umfeld Hitlers. Klapper, der Mann mit den geheimnisvollen Kontakten, erzählt Heidemann, die ominöse Gruppe der Exil-Nazis werde von Martin Bormann selbst, Hitlers engstem Mitarbeiter, geleitet. Sie erhält in der "Stern"-Redaktion den Namen "Bormann-Gruppe".

Den "Stern"-Verantwortlichen ist sehr wohl bewusst, dass diese "Bormann-Gruppe" ein politisches Ziel verfolgen dürfte. Es ist nicht schwer zu erraten, dass die einstigen NSDAP-Funktionäre die Geschichtsschreibung in ihrem Sinn korrigieren wollen, indem sie exklusive Dokumente aus ihrem Archiv zur Verfügung stellen (oder andere Dokumente in ihrer Authentizität "beglaubigen"), um die Art und Weise, wie die Welt über den Nationalsozialismus denkt, zu beeinflussen.

"Stern" bezahlt Klapper für falsche Informationen

Die "Stern"-Redakteure, die an dieser Geschichte arbeiten, glauben nicht nur, dass diese von Klapper erfundene "Bormann-Gruppe" real ist. Sie haben sich offenbar auch keine Illusionen über deren Intentionen gemacht: Die alten Nazis wollen die Geschichte neu schreiben. Die "Stern"-Verantwortlichen stören sich daran offenbar nicht weiter. Offenkundig begrüßen sie die Gelegenheit, mit Leuten, die sie für die Überlebenden aus Hitlers "inner circle" halten, die Geschichtsschreibung zu revidieren. Sie bezahlen Klapper, der ihr Kontakt zu dieser Gruppe alter Nazis ist (oder das zumindest glaubhaft behauptet), mehrere Hunderttausend D-Mark, um mit seiner Hilfe an Dokumente aus dem Archiv der imaginären "Bormann-Gruppe" zu gelangen.

Wilfried Sorge, einer der Top-Manager von Gruner + Jahr, gibt später gegenüber der Staatsanwaltschaft Hamburg zu Protokoll:

"Da über das Dritte Reich nach Ansicht der Bormann Gruppe viel Falsches berichtet worden ist, wollte man mit Hilfe des STERNs Dokumente aus diesem Archiv veröffentlichen, um diese Dinge richtigzustellen." G+J-Manager Wilfried Sorge zur Staatsanwaltschaft

Von Existenz der "Bormann-Gruppe" überzeugt

Die "Stern"-Verantwortlichen sind von der Glaubwürdigkeit und der Existenz der "Bormann-Gruppe" so überzeugt, dass sie am 2. März 1982 einen Vertrag mit einem angeblichen Vertreter von Martin Bormann unterzeichnen, indem sie dem Kriegsverbrecher und Holocaust-Treiber garantieren, dass sie die Dokumente aus seinem Archiv nicht bearbeiten werden:

"Der Stern verpflichtet sich, den Sinn der zur Veröffentlichung ausgewählten Dokumente weder durch Hinzufügung noch durch Kürzung zu verändern. Die Stern-Veröffentlichung soll ausschließlich im Interesse der historischen Wahrheit erfolgen." Auszug aus dem Vertrag

Gemeinsames Ziel: "Historische Wahrheit"

Die "Stern"-Verantwortlichen und die von dem früheren SS-Mann Klapper erfundene "Bormann-Gruppe" haben offenbar ein gemeinsames Ziel: In vertrauensvoller Zusammenarbeit wollen sie "im Interesse der historischen Wahrheit" korrigieren, was in ihren Augen "Falsches" über den Nationalsozialismus und seine Massenverbrechen berichtet worden ist.

Wie weit dieses Einverständnis geht, wird in den von Heidemann aufgezeichneten Gesprächen deutlich. Im Februar 1983 erzählt der Reporter seinem Vertrauten und Informanten Klapper von seinen Plänen für die anstehenden Veröffentlichungen der "Hitler-Tagebücher". Heidemann macht deutlich, dass er kein Befürworter des nationalsozialistischen Systems sei. Seine Begründung ist atemberaubend: Ein System, das eine Million Menschen töte, ohne dass "der Chef" davon wisse, sei kein anständiges System. Offenbar ist zumindest Heidemann nach Lektüre der "Tagebücher" von Hitlers Unschuld am Holocaust überzeugt. Wir zitieren aus Heidemanns Gesprächsaufzeichnung:

"Man kann nur eins erreichen, Peter, Hitler einigermaßen freizuwaschen. Alle anderen waren eher Verbrecher. Das System, das darf nicht wieder kommen, weil ein System, das erlaubt, dass eine Million ermordet werden ohne dass der Chef das weiß, dann ist das System nicht gut. (Bormann) hat nicht nur gewusst, er hat die Judenmorde gedeckt vor Hitler." Gesprächsaufzeichnung von Gerd Heidemann

Entlarvend groteske Logik von Heidemann

Das Zitat ist in seiner grotesken Logik entlarvend: Der "Stern"-Reporter Heidemann ist bereit, die Holocaust-Fälschungen von Hitlers Unschuld zu akzeptieren und zu verbreiten, ohne dass ihn irgendein "Stern"-Verantwortlicher daran gehindert hätte. Und er ist bereit, Hitler "freizuwaschen", schließlich sind in seinen Augen die anderen hohen Nazis "eher Verbrecher".

Dank Recherchen des Reporters Volkmar Kabisch wissen wir, dass ein IM-Bericht der DDR-Staatssicherheit Monate vor der "Stern"-Veröffentlichung behauptet, auch Henri Nannen habe zu dieser Zeit an Klappers ominöse Bormann-Kontakte und ein durch dessen Dokumente revidiertes Hitler-Bild geglaubt:

"(Name geschwärzt) führte u.a. gegenüber der Quelle an, daß er durch den Herausgeber des Nachrichtenmagazins "Stern" N a n n e n, Henri Kenntnis erhielt, daß selbiger beabsichtigt, umfangreiche ehemalige Geheimdokumente aus der NS-Zeit im "Stern" zu veröffentlichen. Weiterhin informierte Nannen den (Name geschwärzt) darüber, daß die bevorstehende Veröffentlichung dieser Dokumente ein angeblich neues Geschichtsbild zur NS-Zeit und politisches Persönlichkeitsbild über Hitler herbeiführen wird. (…) So soll er u.a. persönliche Verbindungen zu einer offiziell für tot erklärten, aber noch lebenden Person haben, die die angeführten NS-Dokumente bisher verwaltete. Die Quelle äußerte spekulativ, daß es sich bei der todgesagten Person möglicherweise um den ehemaligen Privatsekretär Hitlers und Leiter der Parteikanzlei der NSDAP B o r m a n n, Martin handeln könnte (…)" Behörde des/ der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, 000199–000200, Abteilung XXII/1, Operativer Hinweis, 28. April 1983

Nannen: Bormann musste noch am Leben sein

Nachdem der Schwindel aufgeflogen war, schildert Henri Nannen den Ermittlern, warum die "Stern"-Verantwortlichen von der Existenz der "Bormann-Gruppe" überzeugt waren. Wir zitieren aus den Ermittlungsakten aus der Vernehmung Nannens:

"Diese Fragen habe ihm der 'Bormann-Kumpan' richtig und zwar im Sinne der 'Hitler-Tagebücher', richtig beantwortet. Heidemann schloss daraus, dass dieser Mittelsmann zu Bormann über Dinge Bescheid wisse, die eigentlich nur Hitler und Bormann kannten. Gelegentlich habe sich der Mittelsmann noch erkundigen müssen. Da er zu Hitler keine Verbindung mehr hatte, musste also Bormann noch am Leben sein. Umgekehrt hatte er mit dem angeblichen Bormann-Freund Fragen erörtert, die wieder in den Tagebüchern ihre Entsprechung fanden, so dass Heidemann durch dieses Cross-Checking - Gegenfragen - von der Echtheit beider überzeugt war." Auszug aus den Ermittlungsakten

Beleg für Klappers aktive Mitarbeit bei den Fälschungen

Damit beschreibt Nannen präzise den Grund für Klappers Erfolg mit seinem Bluff: Er kennt die Details der erfundenen "Tagebücher". Wie kann er die Details kennen, wenn er nicht Teil des Fälscherteams ist? Als Außenstehender hätte er kaum so detaillierte Einblicke in das umfangreiche Material erlangen können. Das ist nicht der einzige Grund, weshalb wir von Klappers aktiver Mitarbeit bei den Fälschungen überzeugt sind.

Anwalt wird 1980 Zeuge von Absprachen

Sein damaliger Anwalt Teja Chowanecz, dessen Korrespondenz wir einsehen konnten, berichtet nach Klappers Tod, dass er selbst im November 1980 Zeuge eines Gesprächs Klappers mit Kujau gewesen sei, bei dem sich Klapper und Kujau über die Aufteilung der Erlöse aus dem Verkauf der "Hitler-Tagebücher" verständigt hätten. Bei dieser Gelegenheit hätten, so Teja Chowanecz, er selbst und Klapper drei der "Tagebuch"-Bände einsehen können.

Das von Chowanecz genannte Datum des Treffens Klappers mit Kujau, der 23. November 1980, ist ein entscheidender Moment in der "Hitler-Tagebuch"-Saga. Nur wenige Wochen zuvor hatte sich der "Stern"-Reporter Heidemann mit Klapper getroffen und sich nach einem "Stuttgarter Sammler" erkundigt. Heidemann war der lang gesuchten Quelle der "Tagebücher" nähergekommen. Kurz vor dem Treffen von Klapper mit Kujau, von dem Chowanecz berichtet, erhält Kujau einen Brief mit der Mitteilung, der "Stern"-Reporter Heidemann werde ihn bald mit einem Angebot über zwei Millionen D-Mark besuchen. Die Chronologie der Ereignisse legt die Vermutung nah, dass es im Gespräch zwischen Klapper und Kujau um die Aufteilung dieser Beute gegangen ist.

Interessante Zeugenaussage

Chowanecz ist vor einigen Jahren gestorben, wir können ihn nicht mehr fragen. Aber in den Akten der Staatsanwaltschaft Hamburg findet sich eine interessante Zeugenaussage von einem Mitarbeiter Klappers, mit dem er nach versteckten Wertgegenständen gesucht hatte, einem Mann namens Rainer Hess.

"Außerdem sagte Klapper mir etwa zwei Monate vor der Veröffentlichung der Tagebücher im STERN, daß in Kürze die Bombe platzen würde. Es wäre eine Riesensensation. Es sei nämlich so wie es heute dargestellt wird, nicht gewesen. Churchill sei der wirkliche Kriegstreiber gewesen. Mit der Vergasung der Juden würde auch nicht stimmen."

Klapper, der frühere SS-Mann aus der "Leibstandarte Adolf Hitler", war mehr als ein Vermittler. Alle Indizien sprechen dafür, dass er eng und aktiv in Kujaus Hitler-Fälscher-Werkstatt involviert war.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Reschke Fernsehen | 23.02.2023 | 23:35 Uhr

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