Stand: 06.02.2015 09:35 Uhr

Mit Transparenten gegen die Staatssicherheit

So gelangten die Proteste auch nach Crivitz. Die Bürgerinitiative um Heinrich Rathke und Gerhard Apelt wandte sich direkt an die DDR-Regierung und schickte ein Telegramm an Hans Modrow, damals Vorsitzender des Ministerrates der DDR:

"Wir sind empört, dass bei einem dieser Großobjekte beim Waldschlösschen bis heute die Stasi die Befehlsgewalt innehat und offenbar noch Schießübungen durchführt."

Sie verlangte die sofortige Übergabe des Geländes an glaubwürdige Volksvertreter. Am 13. Januar 1990 begann eine Mahnwache, um das Wegschaffen von Akten und Inventar zu verhindern. Bis zu 500 Menschen wechselten sich nach Schichtplan ab. Helmuth Schröder war einer davon:

"Es war eine besondere Atmosphäre, es brannte Lagerfeuer, es waren überall Kerzen aufgestellt, es waren die Transparente zu sehen und die innere Stimme hatte gesagt: Hier musst du dich dazustellen.“

Übergabe des Bunkers

Nach drei Tagen gaben die Stasi-Leute auf und das Objekt "Am Waldschlösschen" wurde an die noch bestehende Nationale Volksarmee übergeben. Als Vertreter der Bürgerinitiative war auch Heinrich Rathke dabei:

"Es war interessant, wie die hier so eingerichtet waren, einschließlich ihrer etwas luxuriösen Küche, oder Bar muss man fast sagen."

1.400 Quadratmeter war die geheime Kommando- und Nachrichtenzentrale groß - samt Fernschreibern, Funkgeräten und Luftfilteranlagen. Die atombombensicheren Räume sollten im Kriegsfall 100 Mann versorgen und der Bezirksverwaltung in Schwerin als sogenannte Ausweichführungsstelle dienen. In einem Nebengebäude gab es sogar ein Schwimmbad mit Sauna.

Spontane Bürgerkomitees in der ganzen DDR

Zwei Männer stehen mit Transparenten vor einem Waldstück.
So wie hier in Crivitz wollten Bürger mit friedlichen Mahnwachen verhindern, dass Beweismittel der Stasiüberwachung durch den Geheimdienst vernichtet werden.

In der ganzen DDR konnten zahlreiche Bürgerkomitees immer mehr Standorte besetzen und Beweismittel sichern, Crivitz war einer der letzten. Doch selbst in Berlin konnte erst am 15. Januar die MfS-Zentrale in der Normannenstraße besetzt werden. Die Stasi, mittlerweile in "Amt für Nationale Sicherheit" umbenannt, sollte aus Sicht der Regierung in einen klassischen Geheimdienst mit Verfassungsschutz überführt werden. Doch die Bürger befürchteten, dass bald keine Beweise mehr vorliegen würden, um die Täter gerecht zu bestrafen. Noch im Februar 1990 konnten massenhaft elektronische Datenträger vernichtet werden. Die Auflösung der Einrichtung zog sich über Monate hin und endete de facto erst mit der Bildung eines Sonderausschusses "Auflösung des MfS". Daraus entwickelte sich später die sogenannte Gauck-Behörde zur Verwaltung aller Stasi-Unterlagen.

Erfüllte Träume in Crivitz

Erst mit der Erforschung und Aufarbeitung der Unterlagen erschloss sich das ganze Ausmaß des Überwachungsstaates. Das wurde auch den Bürgern von Crivitz bewusst, als sie zum ersten Mal in den Stasi-Bunker herabstiegen.

"Ich habe manchmal davon geträumt, man müsste eigentlich mal heimlich denen in die Akten gucken können, wie und wo sie was planen.“ Auch Heinrich Rathke konnte sich nie vorstellen, „dass man eines Tages in die Lage kommt, nicht nur da rein zu gucken, sondern das Ganze am Ende außer Kraft setzt.“

Heute ist der Bunker heruntergekommen und verlassen, er wurde nie wieder genutzt.

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 06.02.2015 | 19:30 Uhr

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