Niebüll als Tor zu den Inseln - dank der Eisenbahn
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
von Lukas Knauer
Neuneinhalb Stunden am Tag sind sie unten, die rot-weiß gestreiften Schranken am Bahnübergang in der Gather Landstraße in Niebüll. Und wir stehen im Auto davor. "Jetzt heißt es warten - mindestens zehn Minuten", sagt Wolfgang Jandt, ganz ohne Groll: "An die Warterei haben wir uns als Niebüller bereits gewöhnt."
Zusammen mit Ehefrau Beate sitzt er auf der Rückbank des Wagens. Wohl kaum jemand in der Stadt kennt die Geschichte Niebülls so gut wie diese beiden. Wolfgang Jandt ist pensionierter Lehrer und Historiker, seine Frau hat 35 Jahre im Niebüller Krankenhaus gearbeitet, neun Jahre war sie als Bürgervorsteherin in der Kommunalpolitik aktiv.
Heute engagieren sie sich im Verein für Niebüller Stadtgeschichte. Sie wissen, welch wichtige Rolle die Stadt im Tourismus allgemein und für Urlauber auf den nordfriesischen Inseln im Besonderen spielt - vor allem durch die Eisenbahn.
In den 1950er-Jahren wurden Autos noch direkt am Niebüller Bahnhof auf Flachwagen verladen. Bereits damals wurden etwa 20.000 Fahrzeuge über den Hindenburgdamm befördert. Heute liegt die Autoverladestelle etwas außerhalb der Stadt. Der Niebüller Bahnhof wird nun vor allem von Urlaubern und Sylt-Pendlern genutzt.
Urlauber tuckern quer durch die Marsch nach Dagebüll
"Für die Bahnreisenden, die nach Föhr oder Amrum wollen, beginnt der Urlaub spätestens hier in Niebüll", sagt Wolfgang Jandt und deutet in Richtung Bahnhof. "Die Leute kommen mit dem Zug an, steigen in die Kleinbahn Richtung Dagebüll, queren dann die Schranke hier und tuckern quer durch die Marsch bis zum Fähranleger."
Eine weitere Verbindung fährt nach Dänemark, über Tondern und Ribe, bis nach Esbjerg. Mit "Kleinbahn" meint Jandt die Züge der Norddeutschen Eisenbahn Niebüll GmbH (NEG), die etwa alle vierzig Minuten zwischen dem Hauptbahnhof und der zwölf Kilometer entfernt liegenden Dagebüller Mole pendeln.
Der Blick vom Rathausplatz in Richtung Hauptstraße verrät: In der Niebüller Innenstadt hat sich an manchen Stellen viel verändert. Niebüll ist deutlich dichter bebaut als noch vor 80 Jahren.
Alles begann mit dem Bau der Marschbahn 1887
Die Eisenbahn hat Niebüll geprägt und zu der Stadt gemacht, die sie heute ist. Alles begann mit dem Bau der Marschbahn im Jahr 1887. Das Ortsbild Niebülls veränderte sich, erstmals wurden Häuser mit städtischem Charakter gebaut. Der Handel florierte, Handwerk und Gewerbe siedelten sich an, wurden zu den wirtschaftlichen Säulen der Gemeinde.
Das Modeshaus Julius B. Christiansen liegt in der Hauptstraße. Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Das Modehaus existiert bereits seit mehr als 100 Jahren und gehört damit zu den traditionsreichsten Geschäften in Niebüll.
1920 kam es dann zur großen Grenzabstimmung: Wollte man zu Deutschland oder Dänemark gehören? Das Ergebnis: Der Kreis Tondern wurde geteilt und in der Folge der Sitz der Kreisverwaltung von Tondern (heute Dänemark) nach Niebüll verlegt. "Im Nachhinein war das wohl Niebülls Glück. Tondern ist zwar noch immer eine tolle, mittelalterliche Stadt, aber im Grunde doch stehengeblieben. Niebüll ist viel lebendiger", findet Wolfgang Jandt.
Früher Kopfsteinpflaster und Kutsche, heute schnöder Asphalt und Auto. Die Gebäude rechts im Bild stammen aus der Gründerzeit um 1870. An der Fassade lässt sich noch heute erkennen, welche Betriebe hier einst ansässig waren: ein Ofensetzer und eine Gärtnerei. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Landgasthof mit einer Durchfahrt zum Ausspannen der Kutschen. Heute steht das Gebäude leer.
Grenzziehung 1920 kappt Boot-Zugang nach Sylt
Mittlerweile sind wir an unserem Ziel angelangt, im Richard-Haizmann-Museum in der Niebüller Innenstadt. Hier haben Wolfgang und Beate Jandt eine Ausstellung zum 100-jährigen Jubiläum der friedlichen Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark auf die Beine gestellt.
"Mit der Grenzziehung war auch der alte Zugang zur Insel Sylt gekappt", deutet Wolfgang Jandt auf eine alte Schulwandkarte aus dem Jahre 1903: "Früher ging es mit der Bahn über Tondern zur Hoyerschleuse und von dort dann mit dem Boot nach Sylt. Doch das war dann nicht mehr so ohne weiteres möglich."
Leck wollte den Lärm der Dampflokomotiven nicht
Deshalb beeilte man sich auf deutscher Seite, eine Lösung zu finden. Und auch hier kam Niebüll der Zufall zugute. Eigentlich hätte nämlich Leck im Kreis Nordfriesland zum zentralen Verkehrsknotenpunkt werden sollen. Doch weil die Lecker das aus Angst vor dem Lärm der Dampflokomotiven und zum Schutz ihrer Rinder auf der Weide ablehnten, bekam Niebüll den Zuschlag.
1923 bis 1927 wurde dann der Hindenburgdamm in der Nordsee gebaut, um die Insel Sylt mit dem Festland zu verbinden. Die Strecke von Niebüll nach Klanxbüll war bereits 1922 fertig.
"Das war ein wirtschaftlicher Gewinn, den wir bis heute erleben", meint Beate Jandt. "Wir haben etwa 4.500 Pendler, die täglich zur Arbeit mit dem Zug nach Sylt fahren." Hinzu kommen noch mal Tausende Touristen, die auf die Inseln wollen und zwangsläufig durch Niebüll fahren oder gleich hier eine Ferienwohnung buchen.
Straßen zur Autoverladung hoffnungslos verstopft
Der Tourismus ist für die Stadt Fluch und Segen zugleich. In den Sommermonaten, insbesondere an den Wochenenden in den Ferien, staut sich der Verkehr an der Autoverladung kilometerweit bis in die Bundesstraße B5 hinein. "Im Sommer darfst du auf gar keinen Fall über die Bäderstraße fahren, wo es zur Autoverladung geht, da bist du wirklich hoffnungslos verloren", sagt Wolfgang Jandt, der die Strecke versucht zu meiden - so gut es eben geht.
In der Koogsreihe Nr. 7 findet man seit 1805 eine Apotheke. Knapp 90 Jahre später erhielt sie ihren heutigen Namen "Godske Hansens Apotheke" - die historische Aufnahme entstand um 1960. Damals gab es an dieser Stelle noch eine durchgehend asphaltierte Straße - heute liegt dort der Niebüller Rathausplatz.
Der Verkehr rund um die Autoverladung hat zu den Stoßzeiten im Sommer so große Dimensionen angenommen, dass die Stadt mittlerweile eine mobile Schranke in einem Kreisverkehr aufgestellt hat. Zudem ist eine Ampelanlage in Planung, die im Herbst an der Einmündung zum Gewerbegebiet Ost installiert werden soll. Auch der zweigleisige Ausbau der Marschbahnstrecke soll Druck vom Kessel nehmen und die Verkehrssituation langfristig verbessern.
Die Klinik Niebüll, links auf einer Aufnahme aus den 1970ern, gehört heute zum Klinikum Nordfriesland. 35 Jahre hat Beate Jandt hier in der Radiologie gearbeitet. Seit 2005 ist in Niebüll auch ein Hubschrauber der DRF Luftrettung stationiert.
Niebüll bedeutet nichts anderes als "neue Siedlung"
Heute zählt Niebüll rund 10.000 Einwohner und ist damit das größte "Büll" im Kreis Nordfriesland. Die Endung "-büll" ist Friesisch und heißt übersetzt "wohnen" oder "Siedlung". Niebüll bedeutet also nichts anderes als "neue Siedlung". Den Status der Kreisstadt hat Niebüll allerdings 1970 verloren. Damals wurde aus Südtondern, Husum und Eiderstedt der Kreis Nordfriesland mit Sitz in Husum gebildet. Seit 2008 gibt es jedoch das "Amt Südtondern" , das mit 29 Gemeinden und der Stadt Niebüll das größte Amt in Schleswig-Holstein ist.
Das Naturkundemuseum existiert in seiner jetzigen Form erst seit 1980. Erst war es das "Central Hotel", wie die Aufnahme aus dem Jahre 1898 zeigt - von 1923 bis 1960 war hier die Verwaltung des Kreises Südtondern untergebracht.
"Niebüll ist trotzdem noch ein regionales Zentrum, Flensburg und Husum liegen ja etwa 40 Kilometer entfernt", sagt Beate Jandt. Mittlerweile sitzen wir wieder im Auto. Wieder bildet sich eine Schlange vor den rot-weiß gestreiften Schranken am Bahnübergang in der Gather Landstraße.
"Hier wirst du ruhig, weil du überall warten musst", meint Beate Jandt, lächelt und blickt zu ihrem Mann. "Niebüll hat was, wie wir so sagen - nicht wahr Wolfgang?"