Des Königs Brief und der lange Kampf um Schleswig
Mit einem offenen Brief versucht König Christian VIII. von Dänemark vor 175 Jahren, das Herzogtum Schleswig weiter an sein Reich zu binden - und zugleich dessen Selbstständigkeit zu wahren. Doch als klug erweist sich sein Angang nicht.
Nichts weniger als seine Macht und sein Reich will der dänische König Christian VIII. retten, als er sich am 8. Juli 1846 mit einem offenen Brief an seine Untertanen in Schleswig, Holstein und Lauenburg wendet. Denn sein einziger Sohn ist - obwohl schon zum zweiten Mal verheiratet - noch immer kinderlos, und die nächste Scheidung steht kurz bevor. In Dänemark selbst ist das unproblematisch, denn dort sind auch Frauen erbberechtigt. Aber nicht in den Territorien nördlich der Elbe, die Christian VIII. in Personalunion bis dato nur als Herzog regiert.
Deutsche Unabhängigkeitsbewegung strebt Alleingang an
Schleswig ist seit dem Mittelalter ein dänisches Lehen, dem jeweiligen Herzog also vom König zur erblichen Nutzung überlassen, Holstein und Lauenburg gehören dem Deutschen Bund an. Alle drei aber sind ansonsten selbstständige Territorien, in denen seit Jahrhunderten unverändert die männliche Thronfolge herrscht. So sieht es jedenfalls der Schwager des Königs, Christian August von Sonderburg-Augustenburg, und so sehen es auch die Vertreter der schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitsbewegung. Wenn in Kopenhagen eine weibliche Nebenlinie auf den Thron folgt, will Christian August die Herzogtümer übernehmen und die Verbindung mit Dänemark kappen.
Christian VIII. fürchtet Kollaps des dänischen Gesamtstaates
Das aber wäre eine Katastrophe für Christian VIII. und den dänischen Gesamtstaat, zu dem neben Island, Grönland, den Faröer Inseln und kleineren Kolonien in Übersee auch Schleswig, Holstein und Lauenburg mit ihren fruchtbaren Ländereien und blühenden Handelsstädten gehören. Das multiethnische Gebilde besteht seit 1773 und hat zu einer einzigartigen Entwicklung von Kunst und Wissenschaft geführt, Agrarreformen durchgeführt, leibeigene Bauern befreit, den Sklavenhandel abgeschafft.
Weibliche Erbfolge soll Möglichkeiten bieten
Das weitere Auseinanderbrechen seines Reichs, das 1814 schon auf Norwegen verzichten musste, will König Christian VIII. unbedingt verhindern. In dem Brief vom Juli 1846 weist er deshalb den Machtanspruch seines Schwagers entschieden zurück. Seinen mehrheitlich deutschen Untertanen zwischen Altona und Apenrade erklärt er, das weibliche Erbfolgegesetz gelte auf jeden Fall auch in Schleswig und Lauenburg. So bestehe kein Zweifel, dass
"gleicherweise wie über die Erbfolge in Unserm der Krone Dänemark durch Verträge erworbenen Herzogthum Lauenburg (...), so auch die gleiche Erbfolge des Königs-Gesetzes im Herzogthum Schleswig (…) in voller Kraft und Gültigkeit besteht." Offener Brief von König Christian VIII., 8. Juli 1846
Im Prinzip sei es sogar in Holstein gültig, das habe eine von ihm beauftragte Kommission nach langem Aktenstudium herausgefunden. Auch wenn dort noch kleinere Hindernisse zu beseitigen sind.
Christian VIII. will Eigenständigkeit der Herzogtümer erhalten
Er will also den Status quo erhalten, die Herzogtümer Schleswig und Holstein, die laut einem Vertrag von 1460 "bliven ewich tosamende ungedelt", weder trennen noch ihre Selbstständigkeit aufheben. Schleswig also, wo auch viele Dänen wohnen, soll nicht dem Kernland Dänemark einverleibt werden, wie es die Vertreter der Nationalliberalen in Kopenhagen schon lange fordern und viele Deutsche in den Herzogtümern befürchten. Auch das stellt er im offenen Brief ausdrücklich klar:
" (...) und wollen Wir vielmehr Unsere Zusage hiemit ausdrücklich wiederholen, daß Wir Unser Herzogthum Schleswig wie bisher, so auch ferner im Besitz der ihm als einem zwar mit Unsrer Monarchie unzertrennlich verbundenen, aber zugleich selbstständigen Landestheile zuständigen Rechte schützen werden." Offener Brief von König Christian VIII., 8. Juli 1846
Doch mit seinem Appell erreicht er das Gegenteil. Die schon lange unter der Oberfläche schwelenden Konflikte zwischen Dänen und Deutschen brechen nun mit Macht hervor. Die deutschen Untertanen weigern sich, das Gesetz der weibliche Erbfolge für die Herzogtümer anzuerkennen und protestieren gegen die dänische Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.
Offener Brief führt zur Eskalation
Im August 1846 strömen die Menschen auf dem Marktplatz von Neumünster zu einer machtvollen Demonstration zusammen. Tausende unterzeichnen eine Protestnote. Die Ständeversammlungen, Vertreter der Bevölkerung, in Itzehoe und Schleswig lösen sich auf, um ein Zeichen zu setzen. Im Gegenzug greift die dänische Regierung hart durch, lässt Anführer von der Polizei verhaften und weitere Versammlungen verbieten.
Aufstand der Schleswig-Holsteiner mündet in Bürgerkrieg
Unversöhnlich stehen sich die Forderungen der Deutschen nach einer gemeinsamen Verfassung der Herzogtümer und das Ziel der dänischen Nationalliberalen, die Staatsgrenze bis zur Eider zu verschieben, gegenüber. Als 1848 der Funke der bürgerlichen Revolutionen aus Frankreich und Deutschland auch auf die Herzogtümer überspringt, kommt es zunächst zum Aufstand der Schleswig-Holsteiner und dann zu einem blutigen Bürgerkrieg um die Unabhängigkeit. Erst die europäischen Großmächte garantieren 1850/1852 mit den Londoner Protokollen den Frieden, regeln die Erbfolge und legen fest, dass die Herzogtümer eigenständige Teile des Gesamtstaats bleiben.
Königlicher "Rettungsversuch" scheitert endgültig
Als die "Eiderdänen" in Kopenhagen 1863 eine neue Verfassung durchsetzen, die Schleswig enger an Dänemark bindet und Holstein und Lauenburg ausgliedert, marschieren allerdings österreichische und preußische Truppen ein und zwingen Dänemark 1864 zur Abtretung der drei Herzogtümer.
Dadurch zerbricht der dänisches Gesamtstaat, den Christian der VIII. mit seinem offenen Brief von 1846 hatte retten wollen. Und die Herzogtümer verlieren ihre jahrhundertealte Selbstständigkeit. Denn nach einem kurzen siegreichen Krieg gegen Österreich von 1866 annektiert Preußen die Gebiete als Provinz Schleswig-Holstein.
Die begehrten Gebiete bleiben weiter umkämpft
Doch damit ist die komplizierte Geschichte der begehrten, immer wieder umkämpften Gebiete noch nicht zu Ende. Nach dem Ersten Weltkrieg erreicht die dänische Bevölkerungsmehrheit im nördlichen Teil Schleswigs eine Volksabstimmung, die 1920 schließlich zur Teilung des alten Herzogtums an einer Linie nördlich von Flensburg und südlich von Tondern führt.
Heute leben auf beiden Seiten der Grenze nationale Minderheiten, in Nordschleswig etwa 15.000 Deutsche und im südlichen Schleswig rund 50.000 Dänen, die eigene Schulen, Bibliotheken, Vereine, Zeitungen unterhalten.