Herbertstraße auf St. Pauli: Die Bordellgasse nur für Männer
Die Herbertstraße auf St. Pauli ist ein Inbegriff des Hamburger Rotlichtviertels: verrucht und nicht für alle zugänglich. Die Sichtblenden ließen die Nazis errichten. Prostitution war damals eigentlich verboten.
Bis zum Juli 1922 hieß sie noch Heinrichstraße. Und eigentlich wollte man damals mit der Umbenennung in Herbertstraße den schon rund 130 Jahre bestehenden lasterhaften Ruf vergessen machen. Die Freudenhäuser sollten vertrieben werden und Wohnungen entstehen. Das hat nicht geklappt. Bis heute ist die kaum mehr als 60 Meter lange Herbertstraße auf St. Pauli ein Inbegriff des Hamburger Rotlichtviertels - verrucht, geheimnisvoll und nicht für alle zugänglich.
In der Herbertstraße sitzen Prostituierte auf Hockern in sogenannten Koberfenstern, präsentieren sich und warten auf Freier oder sprechen die männlichen Passanten bei geöffnetem Fenster an.
Anfänge liegen in den 1790er-Jahren
Die Geschichte dieser berühmt-berüchtigten Bordellgasse auf St. Pauli hat schon viel früher begonnen: Spätestens seit Mitte der 1790er-Jahre "gab es in dieser Ecke Bordelle - denn außerhalb der Wallanlagen galten nicht die strikten Gesetze wie innerhalb", schreibt die Autorin Eva Decker in einem Beitrag über die Herbertstraße 2021. Innerhalb der Anlagen hätten Prostituierte bis 1797 eine "Hurentracht" tragen müssen, bei geringen Vergehen seien sie im "Werk- und Zuchthaus" an der Binnenalster "diszipliniert" worden. Die damalige Heinrichstraße profitierte in den folgenden Jahren von der immer größer werdenden Kundschaft am nahen Spielbudenplatz, wo sich ein Jahrmarkt etablierte.
Franzosen in Hamburg: Blütezeit für Bordelle
Die Besetzung Hamburgs durch französische Truppen stellte laut Decker eine Blütezeit für die Bordelle rund um die Davidstraße dar. 1814 brannten die Franzosen aus kriegstaktischen Gründen - ein freies Schussfeld - sämtliche Vororte nieder. Doch schon ein Jahr später waren die Häuser der Heinrich-, David- und Erichstraße wieder aufgebaut.
1833 wurde aus dem damaligen Hamburger Berg die offizielle Vorstadt St. Pauli. In der Folge waren die Prostituierten nun den gleichen Regeln unterworfen wie in Hamburg. So war es ihnen etwa verboten, sich tagsüber auf der Straße aufzuhalten. Ab 1880 verstärkte die Stadt Decker zufolge ihre Bemühungen, die "grassierenden, sittenwidrigen Umtriebe" einzudämmen und besser kontrollieren zu können. Ein Resultat war demnach, dass ab 1900 nur noch die Bordelle in der Heinrichstraße eine Konzession erhielten.
Nazis richten 1933 Sichtblenden ein
1933 erhielt die Straße ihre beiden noch heute existierenden Sichtblenden - und zwar auf Anordnung der NS-Machthaber, um das "sittenwidrige Geschehen" und die weiblichen "asozialen Elemente" aus dem Sichtfeld Öffentlichkeit zu verbannen. So zitiert Eva Decker die Begründung. Striptease und Prostitution waren eigentlich insgesamt verboten. Diese Anordnung ließ sich auf St. Pauli jedoch nicht konsequent durchsetzen. Die Sichtblenden an den Zugänge der Herbertstraße sorgten also dafür, dass niemand im Vorbeigehen etwas eigentlich Verbotenes sehen konnte.
Zutritt nur für Männer ab 18 Jahren
Die dort an den Sperrblenden angebrachten Schilder wurden in den 1970er-Jahren auf Wunsch der Prostituierten durch den Hinweis ergänzt: "Zutritt für Männer unter 18 und Frauen verboten!". Die Prostituierten sollen zum einen vor abfälligen Blicken, zum anderen vor verbalen Angriffen geschützt werden. Aus juristischer Sicht ist dieses Verbot umstritten. Eine Verordnung der Stadt Hamburg untersagt Frauen das Betreten der Herbertstraße - aus Gründen der Gefahrenabwehr. Allerdings handelt es sich bei der Herbertstraße auch um einen öffentlichen Verkehrsweg, der von allen benutzt werden kann. Wenn sich Frauen trotz des Verbot in die Bordellgasse wagen, müssen sie mit Beschimpfungen rechnen. In der Vergangenheit wurden auch schon mal Wasserbomben aus den Fenstern geworfen.
Domenica bot in den 1980er-Jahren ihre Dienste an
Die wohl bekannteste Prostituierte, die in der Herbertstraße gearbeitet hat, war Domenica. Sie galt als "Hure der Nation". In den 1980er-Jahren saß sie in einem der Schaufenster und bot ihre Dienste an. Der Fotograf Günter Zint, Mitbegründer der "St. Pauli Nachrichten", machte sie mit seinen Bildern auch außerhalb vom Kiez regelrecht berühmt. Sie starb 2009 im Alter von 63 Jahren.
Heute bieten in dem Straßenbereich inmitten der Amüsiermeile von St. Pauli nach Angaben des Berufsverbands für erotische und sexuelle Dienstleistungen etwa 250 Menschen Sex an. Im Gegensatz zu vielen anderen Orten sei die Sexarbeit in der Herbertstraße gesellschaftlich anerkannt. Der Straßenstrich und die dort arbeitenden Menschen würden von den Anwohnern und Besuchern des Viertels nicht als Ärgernis sondern als "kulturelle Instanz" wahrgenommen.
Stolperstein verlegt, neue Tore werden installiert
Am 9. August 2024 wurde vor dem Eingangstor zur Herbertstraße ein Stolperstein in den Boden eingelassen, der an die Schicksale während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgter Prostituierter erinnert.
Weil die "Sichtschutzanlagen" in die Jahre gekommen waren, wurden im November 2024 entsprechende Baumaßnahmen eingeleitet. Das Tor an der Ostseite wurde bereits erneuert. Das an der Westseite soll als Denkmal vor Ort erhalten bleiben und zu einem späteren Zeitpunkt restauriert werden. Die Tore seien kulturhistorisch bedeutend und deshalb auch denkmalgeschützt, erklärte die Kulturbehörde.