VIDEO: St. Pauli: Wie ein Schwimmbad zum Weingarten wurde (2 Min)

"Fassaden-Haus" auf St. Pauli: Einst Wellenbad, heute Weinbar

Stand: 24.02.2025 12:00 Uhr

Das Haus am Spielbudenplatz 26 auf St. Pauli besteht nur noch aus einer Fassade. Ab 1886 wurde dort gesungen, getrunken und geschwommen. Nach mehr als 40 Jahren Stillstand befindet sich dort inzwischen eine Weinbar.

von Jochen Lambernd

Die Sängerin Emma Thiele-Lundershausen startete 1886 dort mit ihrem "weltberühmten Gesangsinstitut", dem Konzerthaus "Die Neue Welt". Als der St.-Pauli-Entertainer Hein Köllisch rund sechs Jahre später sein Bühnendebüt gab, hieß der Laden schon anders: "Im siebenten. Himmel". "Man hat Noten und Gesangsblätter in der Hand und wenn Hein Köllisch dann seine Volkslieder schmettert, singen alle mit, lesen schön vom Blatt ab und der ganze Spielbudenplatz 26 feiert sozusagen mit", erzählt die Historikerin Eva Decker dem Hamburg Journal 2023.

Amerika Bar lässt "Capelle" mit Livemusik auftreten

Postkarte mit dem Motiv der Amerika-Bar auf dem Spielbudenplatz, Hamburg-St. Pauli (undatiert) © Bäderland Hamburg GmbH
Eine "Capelle" spielte in der Bar Livemusik.

Wenig später zog ein Varieté ein, aber nur kurz. Im Jahr 1902 eröffnete August Piefo dort die Amerika Bar. Piefo war dem "Hamburger Abendblatt" von 2018 zufolge zuvor unter anderem Journalist, Manager eines Ringers und Theaterdirektor im Tivoli am Schulterblatt (Vorgängerbau der heutigen Roten Flora) und im Eden. Er versprach laut "Abendblatt" "goldene Reflexe, blendende Lichter" in dem hohen, langgestreckten Raum. Die musikalische Untermalung kam von einer "Zigeuner-Capelle", ein Begriff, den man heute nicht mehr verwenden würde.

"Hübsche Girls am Schüttelbecher"

Werbung für die Amerika-Bar am Spielbudenplatz 26 auf St. Pauli in Hamburg © St. Pauli-Archiv Hamburg
Ein Konzept, das aufging: An der Theke wurden die Herren von hübschen Damen bedient.

"Hier hat man die größte Bar Deutschlands gehabt und hinter dem Tresen noch die Besonderheit: hübsche Girls am Schüttelbecher, die Cocktails mixen. Und das war tatsächlich eine Besonderheit. So was gab es eigentlich in der Regel nicht", ergänzt die Historikerin. Die Getränke liefen auch unter dem Namen "American-Fancy-Drinks". Man kannte zuvor auch keine berufliche Tätigkeit namens Mixer. Der Begriff Bar war laut "Hamburger Abendblatt" von 2018 für ein solches Etablissement ebenfalls neu.

"Eine Sehenswürdigkeit I. Ranges"

Werbung für die Amerika-Bar am Spielbudenplatz 26 auf St. Pauli in Hamburg © St. Pauli-Archiv Hamburg
Die Amerika-Bar warb damit, dass sie die ganze Nacht geöffnet hatte.

Von einer "Sehenswürdigkeit I. Ranges" war damals die Rede, wie eine der extra gedruckten Postkarten zu Werbezwecken belegt. Die Bar war "während der ganzen Nacht geöffnet", was dem "Abendblatt" zufolge in fünf Tageszeitungen mit Annoncen beworben wurde. "Wer vorübergeht, ohne einzukehren in dieser Bar, ist ein 'Bar-Bar'", zitiert das "Abendblatt" einen Kollegen von der damaligen "Neuen Hamburger Zeitung". Die Location hielt sich bis 1914. In der Zwischenzeit hatten sich andere Gaststätten-Betreiber von der Idee der Amerika-Bar inspirieren lassen und ihre Etablissements entsprechend umgebaut und in ihnen auch "Fancy Drinks" ausgeschenkt. Das Alleinstellungsmerkmal der Amerika-Bar war somit dahin.

Wellenbad löst Hort der Frivolitäten ab

An der Adresse Spielbudenplatz 26 folgten ein Kino - genauer ein "Kinematographentheater" -, eine Gefrierfleisch-Verkaufsstelle und dann - ab 1934 - angeblich Deutschlands modernstes Schwimmbad. "Es ist ein Wellenbad, also ein Sportbad. Das passt ja auch ganz gut in diese Nazi-Denke. Man setzt dann eher auf sportliche Betätigung. Man wirbt nicht mehr mit allerhand Frivolitäten. Es ist eine andere Zeit", ordnet Decker die veränderte Nutzung des Gebäudes ein. Um das Becken herum konnte man Kaffee und Bier trinken.

Waschmöglichkeiten für Bewohner von St. Pauli

Das Schwimmbad am Spielbudenplatz 26 auf St. Pauli in den 1950er-Jahren © St. Pauli-Archiv Hamburg
In den 1950er-Jahren wurde das Bad noch gut genutzt, viele Kinder lernten dort schwimmen.

Nach Kriegsende übernahm das Sportamt das nach einem Bombeneinschlag stark beschädigte Haus, das weiter als Hallenbad genutzt wurde. Ab 1948 besuchten es viele Hamburgerinnen und Hamburgern, weil sie zu Hause kein fließendes Wasser oder kein eigenes Badezimmer hatten. Sie konnten sich im Bad waschen. Etliche Kinder des Stadtteils lernten dort schwimmen. Das "Hamburger Abendblatt" berichtete 1958, dass in den zurückliegenden zehn Jahren rund 2,6 Millionen Badegäste gezählt worden seien, die Hälfte davon Kinder.

Modernisierung in den 60er-Jahren

1965 wurde das Bad wegen Bauarbeiten für mehr als ein Jahr geschlossen. Seit 1933 waren laut "Hamburger Abendblatt" von 1966 "kaum größere Veränderungen vorgenommen" worden. Das Bad erhielt moderne Dusch- und Umkleideräume, außerdem wurden die technischen Anlagen erneuert, die nun komplett im Keller untergebracht waren. Das Bad wurde zudem an eine Fernheizung angeschlossen. Über die neuen Duschen schrieb das "Abendblatt": "Ein Fußdruck auf eine im Boden eingelassene Gummischeibe genügt, um den Wasserstrahl auszulösen." Auch an einen automatischen Föhn wurde gedacht. Kostenpunkt der Arbeiten: 1,1 Millionen D-Mark.

Als neues Highlight wurden Warmbadetage angeboten. Bei 28 Grad Celsius konnten die Besucher das Wasser genießen, sonst lag die Temperatur bei lediglich 23 Grad.

Debatte um Auslastung und Größe des Beckens

Innenansicht des Hallenbads am Spielbudenplatz 26 in Hamburg-St. Pauli (ca. 1980 Betrieb eingestellt) © Bäderland Hamburg GmbH
In den 1960er-Jahren wurden umfangreiche Arbeiten in dem Bad vorgenommen.

1970 gab es eine Diskussion darüber, wie das Bad von Gruppen von Polizeianwärtern und Schulkindern sowie von der restlichen Öffentlichkeit genutzt werden soll. Der Bürgerverein St. Pauli monierte, im sanierungsreifen Stadtteil St. Pauli hätten viele Wohnungen immer noch keine Wannenbäder oder Duschen. Die Einwohner seien deshalb gezwungen, "aus Gründen der Reinlichkeit" zum Bad am Spielbudenplatz zu kommen, schreibt das "Hamburger Abendblatt am 24. März 1970.

Dem gegenüber stand aber eine offenbar geringe Auslastung: "Wir haben festgestellt, daß der Besuch am Vormittag äußerst gering ist. Wir zählten im Durchschnitt etwa zehn Badegäste", so der damalige Geschäftsführer der Wasserwerke, Paul Hendriock. Auch die baulichen Umstände führten zu Kritik: "Unsere Möglichkeiten auf dem Gebiet des Leistungssports können wir wegen des zu kleinen Beckens nicht ausnutzen", zitiert das "Abendblatt" Willy Blechschmidt, Vorsitzender des Sanitäts-Schwimmvereins von 1889.

Drogenhändler 1972 im Bad geschnappt

Dass man im Schwimmbad nicht sicher vor einer Strafverfolgung ist, musste 1972 ein Mann erkennen, der dort mit seiner Verlobten und seiner künftigen Schwiegermutter badete. Zivilfahnder der Davidwache nebenan nahmen den 37-Jährigen fest, weil er im Verdacht stand, einem internationalen Rauschgiftring anzugehören. Andere Badegäste hatten den Mann erkannt.

Bad wird von Neubau an der Budapester Straße abgelöst

Hallenbad am Spielbudenplatz 26 in Hamburg-St. Pauli (ca. 1980 Betrieb eingestellt) © Bäderland Hamburg GmbH
Das Aus für das Hallenbad direkt neben einem Tanzlokal und einer Bierstube kam 1980.

1980 war dann Feierabend: Das St.-Pauli-Bad am Spielbudenplatz, von Bewohnern des Stadtteils mal despektierlich auch "Nuttenaquarium" genannt, wurde geschlossen. An der Budapester Straße entstand ein neues, größeres Schwimmbad, das wiederum laut Bäderland Hamburg Ende 2025 generalüberholt werden soll. Den Grundstein hatte Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) bei einem großen Volksfest bereits 1978 gelegt.

Nach Auffassung der damals noch zuständigen Wasserwerke war das alte Bad am Spielbudenplatz nicht mehr wirtschaftlich. Wie Bäderland-Sprecher Michael Dietel dem NDR 2025 mitteilte, spielten "neben den seinerzeit üblichen technischen Gründen natürlich auch bauliche Gegebenheiten eine Rolle, die ganz maßgeblich die Kapazitäten beschränkten". So sei beim neuen Hallenbad etwa die Wasserfläche deutlich ausgeweitet worden, außerdem gebe es Parkmöglichkeiten direkt am Bad - "was in einer deutlich stärkeren Nutzung mündete". Letztlich verkauften die Wasserwerke das Grundstück mit dem St.-Pauli-Bad.

Leer stehendes Haus verfällt seit den 1980er-Jahren

Blick von hinten auf die Fassade des ehemaligen Hauses am Spielbudenplatz 26 auf St. Pauli (2012) © St. Pauli-Archiv Hamburg
2012 sieht die Fassade von hinten noch so aus.

Mit dem Areal passierte anschließend erst einmal nichts. Der Bezirk Hamburg-Mitte versucht bereits seit etlichen Jahren, dem alten Schwimmbad-Gebäude wieder Leben einzuhauchen. Zwischenzeitlich wurde über eine komplette Neubebaung auch der Nachbargrundstücke nachgedacht. Der neue Eigentümer schlug in der Vergangenheit zwar auch diverse Nutzungsmöglichkeiten vor, aber keine von ihnen wurde umgesetzt oder gar genehmigt. So soll zum Beispiel geplant gewesen sein, das Gebäude um etliche Stockwerke zu erhöhen und mit einem Restaurant und einem Café zu versehen. Ein beantragter Abriss des Gebäudes wurde von behördlicher Seite abgelehnt.

Das leer stehende Haus verfiel immer mehr, sein Inneres wurde dann 2004 doch abgerissen. Man brauchte Platz, um Arbeiten für den angrenzenden Neubau des Schmidt Theaters auszuführen. Nur die Fassade blieb, sie steht wegen ihrer gegliederten Putzfassade mit reichen Stuckelementen seit 1998 unter Denkmalschutz.

2023 eröffnet eine Weinbar

Wingarten "Sechsundzwanzig" am Spielbudenplatz 26 auf St. Pauli in Hamburg (2025) © NDR Foto: Jochen Lambernd
Die Betreiber der Weinbar haben die Fläche wieder mit Leben gefüllt. (Aufnahme von 2025)

Der Eigentümer nutzt das Areal nicht, auch eine Nutzung durch andere kam lange Zeit nie zustande. Er rief nach Informationen des NDR offenbar Verkaufspreise auf, die niemand bezahlen möchte. 2023 erhielten die Schmidt-Betreiber zumindest einen Pachtvertrag für das 650 Quadratmeter große Grundstück. "Tatsächlich war es so, dass die ganze Fläche hier wild bewachsen und immer schon grün war die ganze Zeit. Wir haben gleich gesehen, dass es ein toller Gegenpol zu all dem Trubel ist hier auf St. Pauli, auf der Reeperbahn", sagte Tessa Aust, Geschäftsführerin der Schmidt-Bühnen, dem NDR im Jahr 2023.

Seitdem befindet sich eine Weinbar auf der Fläche. So erhalten die Besucher Einblick hinter die Fassade, die von mächtigen Stahlträgern gestützt wird. Eine Wand eines Nachbargebäudes wurde bemalt. Auch eine hölzerne Empore mit Überdachung sorgt dafür, dass sich die Gäste auf dem geschichtsträchtigen Areal wohlfühlen können.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 21.06.2023 | 19:30 Uhr

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