Vor der Herbertstraße auf St. Pauli wird ein Gedenkbordstein eingeweiht. © dpa Foto: Christian Charisius

St. Pauli: Gedenk-Bordstein erinnert an Prostituierte zur NS-Zeit

Stand: 11.08.2024 11:42 Uhr

Die Herbertstraße auf St. Pauli ist weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Davor erinnert jetzt erstmals ein Gedenk-Bordstein an das Schicksal der Prostituierten, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Initiator ist Sieghard Wilm, Pastor der St. Pauli Kirche. Zur Enthüllung des Messing-Kantsteins an der Ecke Davidstraße und Herbertstraße sagte er am Freitag: "Viele Tausend Touristen nutzen die eisernen Tore, die den Blick auf die Gasse versperren, als Motiv für Selfies." Kaum jemand aber wisse, dass sie 1933 auf Befehl der NS-Gauleitung errichtet wurden. "Es entspricht der zynischen und menschenverachtenden Politik des Nationalsozialismus, die Prostitution nicht verboten zu haben, sondern sie kaserniert zu haben", so Wilm.

Die Idee zu dem Gedenk-Kantstein sei ihm bei der Feier zum 100. Geburtstag der Herbertstraße 2022 gekommen. Ihm habe eine Gedenktafel oder ein Hinweis darauf gefehlt, dass die Sichtblenden von den Nationalsozialisten geschaffen wurden.

Viele Prostituierte wurden zwangssterilisiert oder starben

Julia Staron, Vorständin lebendiges Kulturerbe St. Pauli, und Ralf Neubauer, Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, stehen nach der Entüllung eines Gedenkbordstein vor der Herbertstraße in Hamburg-St. Pauli. © dpa Foto: Christian Charisius
Julia Staron von "Kulturerbe St. Pauli" und Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer (SPD) haben den Gedenk-Kantstein mit eingeweiht.

Realisiert wurde der Gedenk-Bordstein - mit der Inschrift "Entrechtet - Ausgegrenzt - Ermordet" - mithilfe des Vereins "Lebendiges Kulturerbe St. Pauli" und mit Unterstützung des Bezirks Hamburg-Mitte. "Was noch weniger bekannt ist, sind die Schicksale, die die Frauen, die Sexaarbeiterinnen aus der Herbertstraße, zur NS-Zeit erlitten haben", sagte Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer (SPD). "Viele kamen ins Konzentrationslagern in Neuengamme, nach Ravensbrück, wurden zwangssterilisiert, sind gestorben, sind gebrochen aus dem Krieg gekommen." Hier müsse weiter aufgeklärt werden.

Der Stein solle Anstoß bieten - auch für die historische Aufarbeitung, sagte Julia Staron, Kulturerbe-Vorständin. "Dieser Stein des Anstoßes bezeichnet nämlich nicht das Ende der Forschung und der Aufklärung, sondern den Anfang. Wir wollen, dass diese Debatte lebendig bleibt."

Aufarbeitung wird per Crowdfunding finanziert

Auf dem Messing-Kantstein befindet sich ein QR-Code. Dieser führt zu einer Internetseite mit Informationen zur Geschichte der Herbertstraße. Hier sollen auch alle neuen Erkenntnisse über die Schicksale der Frauen veröffentlicht werden. Finanziert werden soll die weitere Aufarbeitung durch eine Crowdfunding-Aktion. Die Historikerin Eva Decker, die zur Geschichte St. Paulis forscht, verwies darauf, dass die Stigmatisierung und Ausgrenzung der Prostituierten nicht erst mit der Nazi-Herrschaft begonnen habe, "und auch mit Kriegsende noch lange keine Stopp-Taste hatte".

Weitere Informationen
Der Eingang zur Herbertstraße im Hamburger Stadtteil St. Pauli. © picture alliance / Caro | Baertels

Gegen das Vergessen: Herbertstraße bekommt Stolper-Bordstein

Der Bezirk Hamburg-Mitte will an die düstere Vergangenheit der berühmten Kiez-Straße in der Zeit des Nationalsozialismus erinnern. (19.04.2024) mehr

Szene mit Prosituierten und Kunden in der Hamburger Herbertstraße im 19. Jahrhundert. Federzeichnung, laviert, undatiert und unbezeichnet. © picture-alliance / akg-images

Regulativ von 1847: Erste Rechte für Hamburgs Prostituierte

Am 12. November 1847 tritt eine Verordnung in Kraft, die Hamburgs Prostituierte vor Abhängigkeit und Ausbeutung schützen soll. mehr

49 im Juni 2018 frisch verlegte "Stolpersteine" mit Rosen darauf im Hamburger Stadtteil Langenhorn. © dpa/picture alliance Foto: Ulrich Perrey

Stolpersteine erinnern an Opfer des Nationalsozialismus

Mit Stolpersteinen erinnert der Künstler Gunter Demnig an die NS-Opfer. Am Jahrestag der Pogromnacht, dem 9. November 1938, finden Putz-Aktionen statt. mehr

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 09.08.2024 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Polizisten stehen vor einem Haus im Hamburger Stadtteil Ottensen, dessen Fassade eingestürzt ist. © picture alliance / dpa Foto: Bodo Marks

Eingestürzte Fassade in Ottensen: Kein Prozess nach Strafzahlung

Vor drei Jahren ist in Hamburg bei einer Explosion eine Fassade zerstört worden. Nun ist das Verfahren abgeschlossen - ohne Prozess. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?