St. Pauli: Gedenk-Bordstein erinnert an Prostituierte zur NS-Zeit
Die Herbertstraße auf St. Pauli ist weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Davor erinnert jetzt erstmals ein Gedenk-Bordstein an das Schicksal der Prostituierten, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Initiator ist Sieghard Wilm, Pastor der St. Pauli Kirche. Zur Enthüllung des Messing-Kantsteins an der Ecke Davidstraße und Herbertstraße sagte er am Freitag: "Viele Tausend Touristen nutzen die eisernen Tore, die den Blick auf die Gasse versperren, als Motiv für Selfies." Kaum jemand aber wisse, dass sie 1933 auf Befehl der NS-Gauleitung errichtet wurden. "Es entspricht der zynischen und menschenverachtenden Politik des Nationalsozialismus, die Prostitution nicht verboten zu haben, sondern sie kaserniert zu haben", so Wilm.
Die Idee zu dem Gedenk-Kantstein sei ihm bei der Feier zum 100. Geburtstag der Herbertstraße 2022 gekommen. Ihm habe eine Gedenktafel oder ein Hinweis darauf gefehlt, dass die Sichtblenden von den Nationalsozialisten geschaffen wurden.
Viele Prostituierte wurden zwangssterilisiert oder starben
Realisiert wurde der Gedenk-Bordstein - mit der Inschrift "Entrechtet - Ausgegrenzt - Ermordet" - mithilfe des Vereins "Lebendiges Kulturerbe St. Pauli" und mit Unterstützung des Bezirks Hamburg-Mitte. "Was noch weniger bekannt ist, sind die Schicksale, die die Frauen, die Sexaarbeiterinnen aus der Herbertstraße, zur NS-Zeit erlitten haben", sagte Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer (SPD). "Viele kamen ins Konzentrationslagern in Neuengamme, nach Ravensbrück, wurden zwangssterilisiert, sind gestorben, sind gebrochen aus dem Krieg gekommen." Hier müsse weiter aufgeklärt werden.
Der Stein solle Anstoß bieten - auch für die historische Aufarbeitung, sagte Julia Staron, Kulturerbe-Vorständin. "Dieser Stein des Anstoßes bezeichnet nämlich nicht das Ende der Forschung und der Aufklärung, sondern den Anfang. Wir wollen, dass diese Debatte lebendig bleibt."
Aufarbeitung wird per Crowdfunding finanziert
Auf dem Messing-Kantstein befindet sich ein QR-Code. Dieser führt zu einer Internetseite mit Informationen zur Geschichte der Herbertstraße. Hier sollen auch alle neuen Erkenntnisse über die Schicksale der Frauen veröffentlicht werden. Finanziert werden soll die weitere Aufarbeitung durch eine Crowdfunding-Aktion. Die Historikerin Eva Decker, die zur Geschichte St. Paulis forscht, verwies darauf, dass die Stigmatisierung und Ausgrenzung der Prostituierten nicht erst mit der Nazi-Herrschaft begonnen habe, "und auch mit Kriegsende noch lange keine Stopp-Taste hatte".