KZ-Aufseherin in Ravensbrück © picture-alliance / ZB / Gedenkstätte Ravensbrück

Aufseherinnen im KZ Ravensbrück: "Ich bin unschuldig"

Stand: 20.12.2021 14:14 Uhr

Warum waren diese Frauen so grausam? Das haben sich die Überlebenden des Konzentrationslagers Ravensbrück lange gefragt. Nach Kriegsende wurden nur wenige der ehemaligen Aufseherinnen verurteilt.

von Eva Storrer

Im November 1938 wurden in dem Dorf Ravensbrück, rund 100 Kilometer nördlich von Berlin, die ersten Baracken für das größte Frauen-Konzentrationslager im "Dritten Reich" gebaut. Das Lager sollte als sogenanntes Schutzhaftlager für weibliche Häftlinge dienen. In der Realität hieß das: Die Insassinnen mussten Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie leisten. Insgesamt waren hier 132.000 Frauen und Kinder aus mehr als 40 Nationen inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden ermordet, starben an Hunger, Krankheiten oder durch medizinische Experimente. Nach dem Bau einer Gaskammer Ende 1944 ließ die SS Tausende Häftlinge vergasen.

KZ Ravensbrück: Frauen beaufsichtigen Frauen

Zuständig für die Insassinnen waren vor allem weibliche Aufsichtspersonen. Zwischen 1939 und 1945 wurden mehr als 3.500 Aufseherinnen im KZ Ravensbrück ausgebildet. Es waren Frauen aus allen Bevölkerungsschichten, viele waren sehr jung, kaum älter als 20 Jahre. Sie wurden dienstverpflichtet oder meldeten sich freiwillig. Und sie nahmen ihre Arbeit genau. Am Morgen ließen sie die Häftlinge auf dem Lagergelände antreten. "Beim Zählappell", berichtet eine ehemalige Inhaftierte, "sind die Frauen in die Arbeitskolonnen eingeteilt worden. Und wenn sie dann zwei Stunden beim Zählappell standen in der Kälte, sind sie vor Schwäche umgefallen. Dann haben die Aufseherinnen die Hunde auf sie gehetzt. Und wenn die Frauen müde waren, wurden sie mit Stöcken geschlagen." Offiziell waren Misshandlungen verboten. Doch wie die Aufseherinnen ihre Kontroll- und Disziplinargewalt ausübten, blieb ihnen letztlich selbst überlassen.

Warum waren diese Frauen so grausam? Das haben sich ehemalige Häftlinge lange gefragt. Die Aufseherinnen sahen nett aus, waren gut angezogen, stammten vermutlich aus gutbürgerlichen Familien. "Und doch haben sie uns Häftlinge mit einer Grausamkeit behandelt, die man absolut nicht schildern kann", sagte die Überlebende Irmgard Konrad dem NDR im Jahr 2005. "Es machte ihnen einfach Freude, es machte ihnen Spaß, Menschen zu töten, Menschen zu quälen. Wie konnten Menschen so werden?"

Die Ravensbrück-Prozesse 1946/47

Prozess gegen 16 frühere Aufseher und Aufseherinnen des KZ Ravensbrück, Hamburg 1946. © picture-alliance/ dpa Foto: dpa
Prozess gegen 16 frühere Aufseher und Aufseherinnen des KZ Ravensbrück, Hamburg 1946.

Nach Kriegsende sollten die Täter von Ravensbrück zur Rechenschaft gezogen werden. Im ersten Hamburger Ravensbrück-Prozess 1946/1947 standen 16 Angeklagte vor Gericht, darunter sieben Frauen. Sie mussten sich wegen ihrer Tätigkeit als KZ-Aufseherinnen vor einem britischen Militärgericht verantworten. Fünf Frauen wurden zum Tode verurteilt. Der größte Prozess vor einem sowjetischen Militärtribunal fand im Juni 1948 in Berlin statt. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden 17 Aufseherinnen zu lebenslanger Haft verurteilt. "Was hätten wir denn tun sollen?", beteuerten viele der einstigen Aufseherinnen ihre Unschuld. Sie hätten zum Beispiel kündigen können, wie Kündigungsschreiben von ehemaligen Aufsehern belegen.

Nur ein Teil der Aufseherinnen musste sich überhaupt vor Gericht verantworten. Und von denen, die verurteilt wurden, kamen in der Bundesrepublik viele nach kurzer Zeit wieder frei.

NS-Verbrechen im Visier der Stasi

In der DDR lagen die Ermittlungen gegen Nazi-Verbrecher in der Hand des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Akribisch suchten deren Mitarbeiter nach Informanten und Zeugen, um die Täter aufzuspüren. Im Oktober 1963 wurde auf dem ehemaligen Gelände der Heinkel-Flugzeugwerke ein Massengrab entdeckt. Dort hatte das KZ Ravensbrück eines seiner 70 Außenlager. Intensiv fahndete die Stasi nach ehemaligem Wachpersonal, verhaftete schließlich drei Frauen und stellte sie vor Gericht: Frida Wötzel aus Suhl, Ilse Göritz aus Ramsin und Ulla Jürß aus Rostock, die in Ravensbrück und Nebenlagern als KZ-Aufseherinnen gearbeitet hatten. Mit dem Prozess wollte die Staatssicherheit demonstrieren, dass die DDR, gemäß des Gesetzes über die Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen, derartige Straftaten konsequent verfolgt.

Zur Last gelegt wurde den Frauen, sich an Massentötungen in der Gaskammer des Konzentrationslagers Ravensbrück sowie an Misshandlungen von Häftlingen in den Außenlagern Barth und Neubrandenburg beteiligt zu haben. Ulla Jürß, die ab 1943 Aufseherin und Blockführerin im KZ Ravensbrück war, gab nach monatelangen Verhören zu Protokoll: "Als Blockführerin bin ich gezwungen gewesen, Häftlinge abends vor dem Block antreten zu lassen und diese nach der Gaskammer zur Vernichtung zu bringen." In Ravensbrück wurde jedoch erst Ende 1944 eine Gaskammer gebaut. Zu dieser Zeit hatte Ulla Jürß bereits gekündigt und Ravensbrück längst verlassen. Dennoch wurde sie wegen Beteiligung an Massentötungen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.

Gnadengesuch löst öffentliche Debatte aus

Die Haftanstalt Hoheneck, das größte Frauengefängnis in der DDR. © picture-alliance / ZB Foto: Wolfgang Thieme
Die Haftanstalt Hoheneck, das größte Frauengefängnis in der DDR.

Als im Herbst 1989 in der DDR die Menschen auf die Straße gingen, verbüßten drei ehemaligen KZ-Aufseherinnen im Frauengefängnis in Hoheneck im Erzgebirge noch immer ihre Strafen. Eine von ihnen war Ulla Jürß. Die Frauen stellten ein Gnadengesuch, der von dem Leiter der Strafvollzugsanstalt unterstützt wurde. In der Öffentlichkeit löste das Gnadengesuch eine Diskussion über die Verjährung von NS-Verbrechen aus.

Forderungen nach Entschädigung

Nach ihrer Entlassung im Mai 1991 stellte Ulla Jürß einen Antrag auf Rehabilitierung und Entschädigung für die Zeit im DDR-Gefängnis. Der Antrag wurde von der Rostocker Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Weitere acht ehemalige Aufseherinnen versuchten, sich als Opfer rechtsstaatswidriger Strafverfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR anerkennen zu lassen. Nur einer von ihnen, Margot Pietzner aus Wittenberg, gelang es, eine Entschädigung zu erhalten. Der Vorfall rief heftige Proteste hervor. Auch Monika Herzog von der Gedenkstätte Ravensbrück kritisierte den Vorfall: "Es ist einfach skandalös, sich für eine der Aufseherinnen einzusetzen und nicht für die Opfer. Zum Beispiel haben 28 polnische Frauen, die bis heute an den Folgen von Verletzungen und Verstümmelungen durch 'medizinische Experimente' im Konzentrationslager Ravensbrück zu leiden haben, keine Entschädigung erhalten." Im Mai 1996 wurde die Anerkennung von Margot Pietzner als Opfer aufgehoben. Die Entschädigungssumme von 64.350 D-Mark musste sie zurückzahlen.

Downloads

"Ich bin unschuldig" - Originalversion

Die ungekürzte Fassung des Textes aus der Reihe "Erinnerungen für die Zukunft" von NDR 1 Radio MV. Download (148 KB)

Erika Bergmann: "Wenn man sich fügt, hat man es gut"

"Bestie in Menschenhaut - unter diesem Namen war sie als Aufseherin im KZ Ravensbrück bekannt und berüchtigt", schrieb die DDR-Zeitschrift "Für Dich" Anfang 1990. Gemeint war die ehemalige Aufseherin Erika Bergmann. 1955 wurde sie in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch sie war im Herbst 1989 noch immer in der Strafvollzugsanstalt Hoheneck inhaftiert. Dort wurde sie nach der Wende von Journalisten gefragt: "Wie haben Sie es geschafft, in der langen Zeit hier so gut über die Runden zu kommen? Sie sehen blendend aus." Erika Bergmann antwortete: "Ich bin jetzt 75. Seit 34 Jahren und sechs Monaten bin ich in Haft. Überall gibt es bestimmte Regeln und Anforderungen. Wenn man sich fügt, hat man es gut. Ich bin es gewohnt, mich anständig zu benehmen. Damit hatte ich noch nie Schwierigkeiten."

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 02.08.2020 | 19:30 Uhr

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