Die "nette Frau Doktor" aus Stocksee
von Karl Dahmen
Zum Schluss hat sie als Küchenhilfe gearbeitet, die Frau, die von vielen als "Bestie von Ravensbrück" bezeichnet wurde: Herta Oberheuser. 1978 starb sie in Linz am Rhein mit 66 Jahren. Ihre Verbrechen sind unfassbar. Sie assistierte bei Experimenten im Konzentrationslager Ravensbrück, bei denen versucht wurde, Verwundungen von Soldaten nachzuahmen. Sie schnitt zum Beispiel die Beine gesunder Frauen auf und nähte Stoff und Holzsplitter hinein, um zu sehen, wie der Wundverlauf ist. Sie war es auch, die die Frauen für die Experimente aussuchte und die Nachbetreuung der Folteropfer unternahm. Manchmal spritzte sie sie zu Tode.
Vom KZ nach Stocksee
Im April 1945 kam sie mit ihren Eltern am Bahnhof im holsteinischen Ascheberg an, von wo sie nach Stocksee weiterzogen. Doch schon im Sommer 1945 wurde sie verhaftet und war dann die einzige Frau auf der Anklagebank bei dem "Ärzteprozess von Nürnberg". Der Todesstrafe entging sie nur, weil sie nicht in der SS war. Der Grund: Frauen durften nicht in den Männerbund. Stattdessen wurde sie zu 20 Jahren Haft verurteilt. Aber bereits nach fünf Jahren begnadigte sie das Gericht.
Die KZ-Ärztin aus Stocksee
Nun startete sie ihre zweite Karriere, als Privatärztin in Stocksee. In der kleinen Gemeinde und den umliegenden Orten war sie beliebt. Sie war freundlich und kümmerte sich um die Menschen, erzählt noch heute eine ihrer Patientinnen. Eine andere Erinnerung hat Anne Reichel. Sie war 1955 ein kleines sieben Jahre altes Mädchen, als sie bei einer Freundin die "nette Frau Doktor" erlebte. Sie fragte ihre Mutter, ob sie nicht auch von ihr behandelt werden dürfte. An die Antwort erinnert sie sich noch heute, denn ihre Mutter meinte: "Eher rufe sie den Tierarzt, als das eine KZ-Ärztin ihre Kinder anfassen dürfe".
Verlust der Doktorwürde
Eine ehemalige KZ-Gefangene erkannte sie und protestierte, dass die "Bestie von Ravensbrück" immer noch als Ärztin tätig war. Das Land Schleswig-Holstein ermittelte und entzog Herta Oberheuser 1958 die Approbation. Sie prozessierte noch gegen das Urteil, verlor aber vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig. Sie zog weg aus Stocksee und außer ihrem Todesdatum ist nicht mehr viel bekannt über die ehemalige Ärztin, die Karriere machen wollte - auch wenn sie dabei über Leichen ging.
In unserer Zeitreise erinnern wir an sie und andere Ärzte und stellen die Frage: Wie kommt es, dass Menschen, die geschworen haben, Leben zu retten, es stattdessen zerstören?