Vor 75 Jahren: Erste Mieter ziehen in Hamburgs Grindelhochhäuser

Stand: 28.03.2025 11:45 Uhr

Dachterrasse, Müllschlucker, Tiefgarage: Im Hamburger Grindelviertel entsteht nach Kriegsende Deutschlands erste Hochhaussiedlung - mit besonderem Luxus. Am 3. April 1950 ziehen die ersten Mieter ein.

von Hanna Grimm

Meterhohe Stahlträger ragen 1946 zwischen den Villen des Hamburger Stadtteils Harvestehude in den Himmel. Zwölf gigantische Hochhäuser sind hier, auf dem Gelände des durch den Zweiten Weltkrieg weitläufig zerstörten jüdischen Grindel-Viertels, in Bau. Es sollen die ersten Wohnhochhäuser Deutschlands werden - gedacht für Soldaten und Angehörige der britischen Besatzung, die im Rahmen des "Hamburg project" ihr Hauptquartier in Hamburg plant.

Statt britischer Offiziere ziehen Hamburger ein

"Bereits vor ihrer Fertigstellung hatten die Grindelhochhäuser eine wahnsinnig dominante Wirkung", sagt Dirk Schubert, Professor für Stadtplanung an der HafenCity Universität. Er ist damals zwar noch ein Kind, aber der Besuch der Großbaustelle mit Vater und Großvater hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt. "Das war einmalig. Die puristische Architektur mit keinerlei Bezug zur Umgebung: Das war damals eine Art Durchbruch der modernen Hochhaus-Architektur." Am 3. April 1950 ziehen die ersten acht Mieter in die Grindelhochhäuser ein. Die westlichen Besatzungstruppen allerdings haben ihr Hauptquartier mittlerweile in Frankfurt hochgezogen - und so sind es anders als ursprünglich geplant keine britischen Offiziere, die ihre Umzugskisten in einem der Grindelhochhäuser auspacken, sondern vor allem Hamburger. Bis 1956 werden 2.122 Wohnungen fertig gestellt und etwa 5.400 Menschen finden hier ein neues Zuhause.

Badezimmer in jeder Wohnung: "Das war ein Geschenk"

Auch die Hamburgerin Gerda Heusler ist gemeinsam mit ihrem Mann eine Mieterin der ersten Stunde. "Das war ein Geschenk, hier einzuziehen", sagte sie, als sie sich vor einigen Jahren im Gespräch mit dem NDR an ihr Leben in den Hochhäusern erinnerte. Die Heuslers und die anderen neuen Mieter sind damals vor allem begeistert von dem Luxus, den die Häuser im Hamburg der Nachkriegszeit bieten: Dachterrasse, große Fensterfronten, Müllschlucker im Treppenhaus, Fahrstühle, ein eigenes Badezimmer in jeder Wohnung, eine Tiefgarage mit angeschlossener Tankstelle und viel Grün drumherum.

Luxus-Leben mit hoher Miete

Die Front eines der Grindelhochhäuser in Hamburg-Harvestehude. © NDR Foto: Hanna Grimm
Die Fassade aus gelben Klinkern orientieren sich am Vorbild der skandinavischen Moderne.

Überhaupt ist das Leben komfortabel. Die Bewohner kaufen in den Geschäften im Erdgeschoss. "Bäcker, Schlachter, ein Tante-Emma-Laden, ein Café und sogar eine Wäscherei: Hier gab es alles für die Bewohner. Man musste seinen Block gar nicht mehr verlassen", so Schubert. Zwischen den Häusern liegen gepflegte Parks mit kleinen Wegen, Teichen und altem Baumbestand. Das Leben hier kann sich allerdings nicht jeder leisten - die meisten Mieter sind aus der gehobenen Mittelschicht. Stadtplaner Schubert sagt: "Die Mieten waren doppelt so hoch wie in einer Altbauwohnung damals."

Anders als gemeinhin angenommen spielt sich zwischen den Hochhaus-Wänden durchaus reges soziales Leben ab. Mit den befreundeten Nachbarn habe es immer was zu feiern gegeben, erinnerte sich Heusler. "Was wir hier im 13. Stock für Partys gegeben haben." Und auch der Alltag sei nie langweilig gewesen. Die Kinder hätten draußen auf dem bewachten Spielplatz gemeinsam getollt, die Männer hätten sich nach der Arbeit auf eine Partie Schach getroffen und die Frauen seien jeden Morgen zum Klönschnack am Müllschlucker zusammengekommen.

Müllschlucker verstopft, guter Ruf dahin

Doch in den 70er- und 80er-Jahren leidet der gute Ruf der Grindelhochhäuser. Die Müllschlucker sind ständig verstopft, die Bauten verfallen, ein eigenes Bad in der Wohnung ist längst kein Kriterium mehr für luxuriöses Wohnen. Die Häuser gelten für viele Hamburger als Bausünden. Weil die Mieten im Vergleich nun günstig sind, ziehen weniger wohlhabende Menschen ein. Immer mehr Läden schließen.

In den 90er-Jahren investiert das städtische Wohnungbauunternehmen SAGA, dem zehn der zwölf Häuser gehören, eigenen Angaben zufolge 75 Millionen D-Mark. Auch ein weiteres Haus, das die Hamburger Presse damals als "Horrorhaus" tituliert, findet einen neuen Investor. Seit 2000 stehen die Häuser unter Denkmalschutz.

Neues Leben für die Hochhäuser

Grindelhochäuser Am Grindelberg in Hamburg-Harvestehude © picture alliance / Caro | caro images Foto: Andreas Muhs
Zentral in der Stadt gelegen, sind die Grindelhochhäuser heute wieder eine beliebte Wohnadresse.

Inzwischen sind die denkmalgeschützten Wohnungen wieder beliebt. Etwa 3.500 Menschen wohnen heute in den Grindelhochhäusern. Auch die Ladenlokale stehen nicht mehr leer. Allerdings haben hier statt Schlachtern, Bäckern und Juwelieren nun eher Künstler, Architekten und Modedesigner ein neues Zuhause gefunden. In der einstigen Tankstelle hat ein angesagter Blumenladen eine Filiale aufgemacht. Wer durch den Park zwischen den Häusern läuft, sieht Eltern, die mit ihren Kindern spielen, Rentner, die selbstangelegte Gärten bewundern, Jugendliche, die in den Hauseingängen chillen.

Romantik im Gelbklinkerbau

Für viele Hamburger, die in der Nähe wohnen, haben die Grindelhochhäuser außerdem eine romantische Bedeutung. Denn das Standesamt des Bezirks sitzt im Erdgeschoss eines der Grindelhochhäuser. So sagen zum Beispiel Steffen und Julia Richter, die hier 2019 geheiratet haben, dass sie die Grindelhochhäuser zunächst unterschätzt hätten. "Ein Pater Noster für Hochzeitsfotos und ein traumhafter Park mit großen Bäumen direkt am Trauzimmer: Wo hat man das schon?", schwärmt Steffen Richter. Und auch Stadtplaner Schubert sagt: "Die Häuser sind ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Ein toller Ort zum Heiraten und zum Wohnen." Er würde auch selbst dort leben wollen: "Aber dann gern ganz oben".

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 11.07.2021 | 19:30 Uhr

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