Grenzflieger: Von Bad Schwartau per Flugzeug ins Gefängnis
Im Sommer 1970 überquert Gerhard Littmann aus Bad Schwartau mit seinem Segelflugzeug unfreiwillig die innerdeutsche Grenze. Es ist ein Fehlflug, der seine Familie entzweit.
Als Gerhard Littmann im Sommer 1970 die Tür seines Hauses in Bad Schwartau (Kreis Ostholstein) hinter sich zuschlägt, ahnen weder seine Frau noch er selbst, dass sie sich für lange Zeit nicht sehen werden. Das Wetter ist gut. Der damals 44 Jahre alte Littmann ist begeisterter Segelflieger. Er fährt nach Lübeck-Blankensee und hebt kurz darauf mit seinem Segelflugzeug von der Landebahn ab. Dass der Kompass nicht richtig anzeigt, bemerkt der Pilot nicht. Eine Karte hat er nicht dabei. Als er sich über dem Ratzeburger See wähnt, ist Littmann tatsächlich über dem Schaalsee - und durch den verläuft die innerdeutsche Grenze. In diesem Moment beginnt eine deutsch-deutsche Horrorgeschichte.
Innerdeutscher Grenzflug: "Oh je, du bist hier falsch"
Es ist der 13. August, der neunte Jahrestag des Mauerbaus. Die DDR ist an diesem Datum eine Paraden-Republik. Eine Dienstanweisung von Stasi-Chef Erich Mielke sieht die Festnahme von sogenannten Luftraumverletzern vor. Als Littmann merkt: "Oh je, du bist hier falsch", ist es schon zu spät. Ein Flugzeug von DDR-Streitkräften zwingt ihn zur Notlandung. Die freundliche Begrüßungsstimmung am Boden kippt schnell. Littmann kommt in Untersuchungshaft, wird später zu einem Jahr und acht Monaten Isolationshaft verurteilt. "Ich wäre fast zusammengekippt", so Littmann 44 Jahre später im Rahmen der NDR Fernseh-Dokumentation "Grenzflieger - Als der Himmel noch geteilt war". Seine Familie steht fortan im Fokus der Stasi. Unter anderem stellt Littmanns Frau in dem eigenen Geschäft in Bad Schwartau eine junge Verkäuferin an, die sich später als DDR-Agentin entpuppt.
Über 400 unfreiwillige Grenzflieger bis zum Mauerfall 1989
Mit seinem folgenschweren Irrtum steht Gerhard Littmann nicht alleine da: Mehr als 400 westdeutsche Kleinflugzeuge übertreten bis zum Mauerfall 1989 unfreiwillig die innerdeutsche Grenze - meist wegen schlechter Sichtverhältnisse oder Wetterturbulenzen, wenn die Piloten von grenznahen Flugplätzen in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein starten. So harmlos die Fehlflüge sind, so harsch reagiert die DDR: Die "Verletzung der Staatsgrenze" hat in der Regel monatelange Inhaftierungen der Piloten in DDR-Gefängnissen zur Folge, Auslieferungsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bis hin zum Häftlingsfreikauf und hohen Kosten für die Rückführung der Flugzeuge.