Rolf Liebermann: Eine Legende aus Leidenschaft für die Musik
Als Komponist und Opern-Intendant hatte Rolf Liebermann gleich zwei Berufe, in denen er seine Leidenschaft für Musik ausleben konnte. Mehrmals landete der Schweizer in Hamburg. Am 2. Januar 1999 starb er in Paris.
Am 14. September 1910 kommt Rolf Liebermann in Zürich zur Welt. Die jüdische Familie des Jungen stammt ursprünglich aus Berlin, sein Großonkel ist der bekannte Maler Max Liebermann. Doch Vater Franz hat es der Liebe wegen in die Schweiz gezogen. Musik ist schon früh wichtig: Die Mutter spielt Klavier, der Vater singt, und auch Sohn Rolf bekommt schon in seiner Kindheit Klavierunterricht. Als Wunderkind entpuppt er sich zwar nicht - dennoch zeichnet sich eine musikalische Begabung ab.
Zukunftspläne? "Irgendetwas mit Musik"
Sich zielstrebig für einen Beruf zu entscheiden fällt ihm allerdings schwer. Während sein älterer Bruder in die Fußstapfen des Vaters tritt und Jura studiert, äußerte Rolf nur ganz vage, dass er "irgendetwas, was mit Musik zusammenhängt" machen wolle. Mehr auf Wunsch der Familie denn aus eigenem Interesse beginnt auch Rolf Liebermann nach der Schule ein Jurastudium, gibt es jedoch nach dem Tod seines Vaters - er stirbt 1931 - auf. Kurz darauf bestimmt die Musik wieder sein Leben, zunächst durch eine Frau.
Liebe zu Lale Andersen als Schlüssel zur Musik-Karriere
1933 tritt die Sängerin Lieselotte Wilke in Liebermanns Leben, später als Lale Andersen bekannt. Nachdem Hitler in Berlin die Macht übernommen hat, verlässt die Künstlerin die Stadt und lebte in Zürich, erhält kleinere Rollen am Schauspielhaus, tritt als Chanson-Sängerin in Kabaretts auf. Sie wird Rolf Liebermanns erste große Liebe. Er vertont Stummfilme, seine ersten kleineren Kompositionen entstehen. Schon bald bittet Lale Andersen ihn, für sie zu komponieren. Mit vertonten Texten von Brecht, Ringelnatz, Kästner und anderen Autoren touren die beiden durch Schweizer Städte, Liebermann begleitet ihren Gesang am Klavier.
Mit Scherchens Neuer Musik nach Wien
Eine weitere Schlüsselperson in Rolf Liebermanns Leben ist Hermann Scherchen, ein bekannter Dirigent und Komponist von Neuer Musik. Bei ihm bewirbt sich der Endzwanziger 1937 für einen Dirigier-Kurs in Budapest. Scherchen erkennt Liebermanns Talent und macht ihn zu seinem Assistenten. Als Scherchen kurz darauf in Wien das "Musica viva"-Orchester gründet, folgte Liebermann ihm.
Flucht vor den Nazis in die neutrale Schweiz
1938 besetzen die Nazis Österreich, das Orchester wird aufgelöst. Rolf Liebermann gelingt die Flucht aus Wien - zurück in die neutrale Schweiz. Kurze Zeit später macht er in Ascona im Tessin Station und begegnet dort dem russischen Komponisten Wladimir Vogel. Ab 1940 lernt Liebermann bei ihm das Komponieren der Zwölftonmusik - eine Prägung für sein weiteres musikalisches Schaffen. 1943 entsteht seine erste bekanntere Komposition: "Polyphone Studien" für Kammerorchester.
Rolf Liebermanns erster Ausflug zum Radio
Nach Kriegsende beruft Hermann Scherchen ihn zum Schweizer Sender Beromünster, wo Liebermann ab 1945 zunächst Tonmeister wird. Fünf Jahre später übernimmt er die Leitung der Musikabteilung. Er achtete bei Orchesterarbeit und Programmgestaltung auf ein hohes Niveau und setzte sich für zeitgenössische Musik im Radio ein. Dirigent Hans Schmidt-Isserstedt, zu dieser Zeit Leiter des NDR Sinfonieorchesters, gehört zu seinem Umfeld in der Züricher Radiozeit - und holte Liebermann einige Jahre später von der Limmat an die Elbe.
Karrierestart beim Rundfunk
Beim Norddeutschen Rundfunk tritt er 1957 die Nachfolge von Harry Hermann-Spitz an - und wird zum Mitbegründer des Dritten Programms im Hörfunk, das er gemeinsam mit Radio-Pionier Ernst Schnabel aus der Taufe hebt. Seine Karriere als Komponist - mittlerweile sind unter anderem die Opern "Leonore 40/45" (1952), "Penelope" (1954) und "Die Schule der Frauen" (1955) entstanden - hängt Liebermann dafür vorerst an den Nagel.
Bis 1959 bleibt er beim NDR. In seiner Amtszeit setzt er sich intensiv für die Nachwuchsförderung ein. Liebermann begründete das "Podium der Jungen", das 1996 zu seinen Ehren in "Podium Rolf Liebermann" umbenannt wird. Musikgrößen wie die Dirigenten Christoph Eschenbach und Carlos Kleiber oder der Konzertpianist Rudolf Buchbinder sind dort zu Beginn ihrer Karriere zu Gast. Auch die Konzertreihe "NDR das neue werk" hat der NDR Rolf Liebermann zu verdanken. Nach dessen Tod bezeichnet der damalige NDR Intendant Jobst Plog ihn als "einen der ganz Großen dieses Jahrhunderts". Als Leiter der Musikabteilung habe er als Wegbereiter der modernen Musik Ende der 50er-Jahre Impulse gegeben, die bis heute wirkten.
Rolf-Liebermann-Studio: Konzertsaal zu Ehren des Komponisten
Im März 2000 bekommt das alte Studio 10 des NDR in der ehemaligen Synagoge an der Oberstraße einen neuen Namen: Rolf-Liebermann-Studio, zu Ehren des Komponisten, Opern-Intendanten und ehemaligen Leiters der NDR Musikabteilung. Dort finden Konzerte der NDR Klangkörper, aber auch anderer Ensembles statt - klassische Konzerte ebenso wie Jazz, Lesungen und Matineen.
Krisenhilfe für die Hamburgische Staatsoper
Doch die zwei Jahre beim NDR sind nur der Anfang von Liebermanns Hamburger Jahren. 14 Jahre wird er noch bleiben. Hamburgs Bürgermeister Max Brauer bringt Liebermann als potenziellen Intendanten der Hamburgischen Staatsoper ins Spiel. Der zögert zunächst, stimmt nach einigen Verhandlungen aber schließlich zu und tritt 1959 seinen Chefposten am Hamburger Opernhaus an.
Als Intendant widmet sich Liebermann der Umstrukturierung des Haus - und bleibt dabei immer ganz nah dran an seinen Mitarbeitern. Vom Parkett Reihe eins, Platz drei beobachtet er jede Vorstellung. Er verfügt über exzellente Kontakte zu Sängern, Dirigenten und internationalen Künstlern. In seiner Zeit an der Staatsoper holte er wichtige Komponisten ans Haus, wie etwa Igor Strawinsky, der am 14. Juni 1962 sogar seinen 80. Geburtstag in der Hamburger Staatsoper feiert.
Stolze Bilanz mit 23 Uraufführungen
Ebenso beweist Liebermann Mut und bringt moderne Werke auf die Bühne wie etwa Alban Bergs "Lulu" oder Strawinskys "Oedipus Rex". Die Bilanz seiner ersten 14 Jahre als Intendant der Hamburgischen Staatsoper: 23 Uraufführungen, davon 21 Auftragswerke, die später auch in anderen Städten aufgeführt wurden. Liebermann hat es geschafft: Das Hamburger Opernhaus genießt nun neues Ansehen in der internationalen Szene.
Liebermanns Vision: Oper für jedes Publikum
1973 wird Liebermann an die Pariser Oper berufen. Als deren Leiter bleibt er bis 1980, dann soll eigentlich Schluss sein mit dem Musik-Management. Der Musiker Liebermann will sich wieder dem Komponieren widmen - doch daraus wird nur vorübergehend etwas.
Als Liebermann 1985 erneut für drei Jahre nach Hamburg gerufen wird, steckt die Staatsoper abermals in der Krise. Sein direkter Vorgänger, Kurt Horres, hat nach nur zwei Monaten Intendanz das Handtuch geworfen. Und Liebermann kämpft in gewohnt souveräner Weise für seine Vision: die Oper des 21. Jahrhunderts. Dabei geht es ihm nicht nur um künstlerische Ansätze, sondern auch um neue Strukturen im Spielbetrieb, eine Probebühne für die Schauspieler - wie sie kurz darauf in den ehemaligen Werkstätten des Schauspielhauses entsteht - und veränderte Eintrittspreise.
Liebermann will den Beweis antreten, dass "die Oper kein elitäres Museum nur für wohlhabende Menschen ist", wie er seinerzeit in einem Gespräch mit dem NDR Hörfunk sagt. Seine Forderung: 360 Plätze im dritten und vierten Rang sollen für den freien Verkauf bestimmt sein - und die Tickets für weniger betuchte Menschen nur vier und acht Mark kosten. Demokratisierung der Oper nennt er das - und setzt sich durch.
Obwohl Liebermann seine letzten Jahre in Paris verbringt, kommt er 1995 nochmals nach Hamburg. Seine Oper "Freispruch für Medea" wird anlässlich seines 85. Geburtstages in der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt. Auch seinen 88. Geburtstag verbringt er in der Stadt, mit der ihn so viel verbindet. Wenige Monate später, am 2. Januar 1999, stirbt Rolf Liebermann in Paris.