Wie Margot Käßmann zur "Bischöfin der Herzen" wurde
Margot Käßmann war hannoversche Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ihr Rücktritt wegen Alkohols am Steuer tat ihrer Beliebtheit keinen Abbruch.
"Denn eines jeden Wege liegen offen vor dem Herrn und er hat Acht auf aller Menschen Gänge". 1972 war es, dass die am 3. Juni 1958 in Marburg geborene Konfirmandin Margot Schulze diesen Bibelvers mit auf ihren Lebensweg nahm. Sie hätte damals vermutlich kaum geahnt, wie vielfältig, kurvenreich und mit Höhen und Tiefen versehen dieser Weg verlaufen würde. Aus Margot Schulze wurde die hannoversche Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, auch nach ihrem Rücktritt von beiden Ämtern im Februar 2010 weiterhin als eine der beliebtesten Theologinnen in Deutschland gilt.
"Gewählt werden Sie sowieso nicht"
Ihre Wahl zur hannoverschen Landesbischöfin am 5. Juni 1999 war auch für Margot Käßmann eine große Überraschung. "Gewählt werden Sie sowieso nicht. Hannover ist zu traditionell", hatte man ihr vorher gesagt, aber man müsse doch wenigstens zeigen, dass auch eine Frau für das Bischofsamt infrage kommen könne. Käßmann kandidierte also - und setzte sich durch. "Ich glaube, das war für alle in der Synode eine Überraschung, dass ich dann plötzlich eine Mehrheit hatte", erinnert sie sich später. "Insofern musste ich erst einmal selbst damit fertig werden. Aber wir haben in diesen Jahren dann doch viel verändert, mit anderen zusammen, und mir hat das große Freude gemacht."
Dass ihre vielen Ämter auch viele Verpflichtungen mit sich bringen würden, davor hatte sie bereits ihr Vorgänger im Amt, der Landesbischof der Hannoverschen Landeskirche Horst Hirschler, bei ihrem Einsegnungsgottesdienst am 4. September 1999 gewarnt: "Und auch der kräftig volllaufende Terminkalender - Sie erleben's schon, Frau Käßmann - sorgt dafür, dass die Spielräume eingeschränkt werden."
"Was soll dir schon passieren"
Doch sich von anderen einschränken lassen, das kam für Käßmann nicht infrage. Zur Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdys Doppelquartett ging sie nach vorn, um in der Marktkirche in Hannover ihre erste Predigt als Landesbischöfin zu halten. "Da hat mich die Musik auch getragen, weil ich gedacht habe, ja, wenn Gott seinen Engeln befiehlt, dass sie dich behüten, was soll dir schon passieren, und ich muss sagen, das war für mich selber natürlich auch sehr, sehr bewegend."
Margot Käßmann verändert die Bischofswelt
Die junge Pastorin aus Kurhessen-Waldeck war die erste Frau, die in Hannover in dieses Amt gewählt wurde. So wie Käßmann oft in ihrem Leben die Erste war: 1983 wurde sie das bis dahin jüngste Mitglied im Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen. 1994 erste Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages. Ihre Wahl zur Landesbischöfin war dennoch für viele innerhalb der hannoverschen Landeskirche eine Überraschung. Die auch Kritik mit sich brachte: Eine 41-jährige, vierfache Mutter - das schien nicht in das Bild der Bischofswelt zu passen.
"Es wurde früher immer gesagt, man muss über 50 sein, um Bischof zu werden, weil man ja hinterher nichts anderes mehr machen kann", so Käßmann rückblickend in einem ihrer Gespräche mit dem NDR. "Ich hab noch viele andere Sachen gemacht, nachdem ich Bischöfin war, insofern ist es gut, dass es nicht nur das Bild des seriösen gesetzten älteren Herrn im Kopf ist, wie ein Bischof aussehen könnte. Und das hat lange gedauert, bis sich das geändert hat."
Umstrittene Rede: "Nichts ist gut in Afghanistan"
Daran hatte Margot Käßmann einen großen Anteil. Zugewandt, freundlich und mit klar verständlichen Bildern predigte sie die Botschaft der Evangelischen Kirche. Aber sie konnte auch deutlich werden: Wenige Wochen, nachdem sie am 28. Oktober 2009 in Ulm zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt worden war, löste sie mit ihrem Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" in ihrer Neujahrspredigt einen Sturm der Entrüstung aus. "Ich habe übrigens nicht die Bundeswehr kritisiert, sondern die Politik", sagte sie dazu. "Mit welchen Zielen sind unsere Soldaten da? Ich hatte den Eindruck, das wird gar nicht genug infrage gestellt, was wir da tun mit unseren Auslandseinsätzen und dass das Krieg ist. Dass ich damit so einen Nerv treffe, das hatte ich allerdings auch nicht erwartet, das muss ich sagen."
Margot Käßmann: Theologin, Autorin und vor allem Mensch
Aber auch aus ihren eigenen leidvollen Erfahrungen machte Käßmann kein Geheimnis. Die Scheidung von ihrem Mann, ihre Krebserkrankung - Käßmann sprach und schrieb darüber. Ihr Buch "In der Mitte des Lebens" wurde ein Bestseller.
Rücktritt nach Alkoholfahrt
Im Februar 2010 folgte ein weiterer schwerer Moment für Käßmann: Nach einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss, bei der sie eine rote Ampel missachtete, trat sie am 24. Februar von allen kirchlichen Leitungsämtern zurück. "Am vergangenen Samstag habe ich einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue", hieß es in ihrer Erklärung. "Auch wenn ich ihn bereue, kann und will ich nicht darüber hinwegsehen, dass das Amt und meine Autorität als Landesbischöfin sowie als Ratsvorsitzende beschädigt sind."
Ihrer Beliebtheit hat dieser Schritt nicht geschadet. Veranstaltungen mit Margot Käßmann bei Kirchentagen blieben immer bis auf den letzten Platz gefüllt. Und durch ihren Einsatz als Botschafterin des Reformationsjubiläums 2017 blieb sie auch öffentlich präsent - und ihr Terminkalender voll. Das änderte sich am 30. Juni 2018. Mit einem Festgottesdienst wurde Margot Käßmann in den Ruhestand verabschiedet - in der Marktkirche in Hannover, dort, wo 1999 so vieles in ihrem Leben begonnen hatte.
Margot Käßmann im Podcast zu aktuellen Lebensfragen
Aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat sie sich und ihre Haltung dem Glauben, dem Leben und der Politik gegenüber allerdings nicht. Weiterhin liest und talkt sie regelmäßig auf Veranstaltungen, im Radio und im Fernsehen - und im Podcast "Mensch Margot" von NDR 1 Niedersachsen gibt die Theologin regelmäßig Orientierung und Hilfe zu den unterschiedlichsten Lebensfragen.