Kurt Schwitters - Der König des "Hannover-Dada"
Skurril, anarchistisch und unberechenbar: Der hannoversche Künstler, Dichter und Aktionist Kurt Schwitters gilt als Schöpfer der "Merz-Kunst". Am 8. Januar 1948 starb der Dadaist in Nordengland.
Absurde Lautgedichte, Kunst aus Müll, grottenartige Skulpturen - Kurt Schwitters überraschte, irritierte, provozierte. Der am 20. Juni 1887 in Hannover geborene Künstler war ein Pionier, eine der herausragendsten und eigenwilligsten Persönlichkeiten in der avantgardistischen Kunst - und die zentrale Figur des "Hannover-Dada".
Nach seinem Abitur studierte Schwitters kurz an der Kunstgewerbeschule Hannover und versuchte sich als Schüler von Carls Bantzer im Im- und Expressionismus. Wegen epileptischer Anfälle und Depressionen wurde er im Ersten Weltkrieg schon nach kurzer Zeit wieder aus dem Militärdienst entlassen. Es folgten zwei Semester Architektur-Studium in Hannover - und eine Ausstellung in Berlin. Neben Werken von Paul Klee, Magda Langenstraß-Uhlig und Johannes Molzahn präsentierte Kurt Schwitters hier 1919 sein erstes "Merz"-Bild.
"Merz"-Kunst als Markenzeichen von Kurt Schwitters
Mit dieser seiner ganz eigenen Kunst, die Schwitters fortan "Merz" nannte - eine Silbe, die er aus dem Wort der damaligen "Kommerz- und Privatbank" herausgeschnitten hatte - sollte der Künstler Furore machen. Schwitters berühmte Collagen entstanden ab 1918 aus zufällig aufgelesenen Abfällen. Die Eroberung der Alltagswelt durch die Kunst und die Ausweitung der Kunst auf das Banale - das waren wesentliche Eckpunkte seines ureigenen Kunstkonzeptes. Daraus hervorgegangen sind die verschiedensten "Merz"-Kunstwerke und auch eine "Merz"-Zeitschrift.
"Merzbauten" werden zu Schwitters Lebenswerk
Schwitters größtes und außergewöhnlichstes Kunstwerk war zweifellos der "Merzbau". Die grottenartige Skulptur, in deren Höhlen die persönlichen Gedanken und Erinnerungen des Künstlers Raum fanden, gilt als erste begehbare Collage der Kunstgeschichte. Das erste dieser Werke - entstanden ab den frühen 1920er-Jahren in seiner hannoverschen Wohnung - wurde beim Bombenangriff auf Hannover 1943 zerstört. Drei weitere "Merzbauten" sind ebenfalls nicht mehr vollständig erhalten beziehungsweise unvollendet geblieben. Das Sprengel Museum in Hannover beherbergt allerdings einen Nachbau des ersten "Merzbaus".
"Fümms bö wö tää zää Uu" - Gestört oder genial?
Auch als Literat lebte Schwitters sich aus. "Fümms bö wö tää zää Uu", so beginnt seine Ursonate. Ein Lautgedicht, an dem sich bis heute die Geister scheiden - gestört oder genial? Mit seinem spöttisch-romantischen an Dada angelehntem Gedicht "An Anna Blume" von 1919 erlangte er Weltruhm. Als Werbegag hing es einst an Hannovers Litfaßsäulen. Der Autor war schlagartig in aller Munde, es gab einen regelrechten Anna-Blume-Kult.
Nazis diffamierten Schwitters Werk als "entartete Kunst"
Wegen seiner Nähe zu den Dadaisten galt Schwitters bereits in den 1920er-Jahren auch als Bürgerschreck. Die Nationalsozialisten diffamierten sein Werk als "entartete Kunst". Im Jahr 1937 folgte er seinem Sohn ins Exil nach Norwegen. Als Tourist hatte er das Land schon oft besucht. Die Landschaft inspirierte ihn zu naturalistischen Werken. Parallel dazu machte er sich dort auch sofort an den Aufbau eines neuen "Merzbaus". In seinem Atelier in Hannover hatte er bereits daran gearbeitet. Schwitters erstes Exil in Norwegen währt nur drei Jahre, dann rücken die Deutschen auch nach Norwegen vor.
Lagerkunst und Spätwerk im englischen Exil
Der damals schon weltberühmte Dadaist schnappte sich seinen Sohn und seine "sieben Sachen" und lies sich mit einem Eisbrecher nach England bringen. Was folgte, war eine Zeit der Entbehrungen, Einsamkeit und Armut. Anders als etwa in den USA, wo europäische Künstler stets mit offenen Armen empfangen wurden, sperrten die Engländer den 52-Jährigen zunächst in ein Internierungslager in Douglas auf der Isle Of Man. 16 Monate verbrachte Schwitters hier, malte unter anderem realistische und einfache Porträts anderer Künstler - zum Teil auf zerschnittenem Linoleum. Auf die für sein Oevre charakteristischen Collagen verzichtete er. Offenbar fehlte es schlicht an Material. Dennoch: Schwitters blieb selbst im Camp unermüdlich, organisierte Ausstellungen und trug Gedichte vor.
1941 konnte Schwitters das Lager verlassen. Er ging nach London und knüpfte Kontakte zur Kunstszene. Mit Landschaftsmalerei hielt er sich über Wasser, arbeitete aber auch wieder an Collagen. Kritiker feierten seine Werke, die 1944 in einer Einzelausstellung präsentiert wurden - an seine großen Erfolge in Deutschland konnte er aber nicht mehr anknüpfen.
Begräbnis statt "Merzbau" in Nordengland
1945 ließ sich der von Krankheit gezeichnete Künstler - auf eine Grippe war ein Schlaganfall gefolgt - im britischen Nationalpark Lake District nieder. Erneut versuchte er sich dort an einem "Merzbau" in einer Scheune, erhielt dafür sogar 1.000 Dollar vom Museum Of Modern Art in New York. Doch der Bau blieb unvollendet. Am 8. Januar 1948 starb Schwitters im nordenglischen Kendal. Einen Tag zuvor hatte er noch die britische Staatsbürgerschaft erhalten. Mit dem Geld für seinen letzten angefangenen "Merzbau" wurde schließlich sein Begräbnis bezahlt.
Schwitters Nachlass liegt im Sprengel Museum Hannover
Der Nachlass des Malers, Zeichners, Werbegrafikers, Literaten und Vortragskünstlers wird im Sprengel Museum Hannover verwahrt und erforscht. Das Werkverzeichnis umfasst mehr als 3.600 Gemälde, Skulpturen, Collagen und Zeichnungen. Damit verfügt das Haus über die größte Schwitters-Sammlung weltweit. Der Künstler selbst hatte offenbar geahnt, dass er die Anerkennung seines Schaffens nicht mehr erleben würde. In einem seiner "Merz"-Hefte bezeichnete er sich als ein "Veilchen, das im Verborgenen blüht".