Ernst Barlach: Visionärer Bildhauer des 20. Jahrhunderts
Der Sieg des Geistigen über das Irdische: ein Grundmotiv im Schaffen Ernst Barlachs zwischen Realismus und Expressionismus. Neben Skulpturen aus Holz und Bronze umfasst sein Werk Druckgrafiken, Zeichnungen, Theaterstücke und Romane.
Geboren wird Ernst Barlach am 2. Januar 1870 in Wedel bei Hamburg als Sohn eines Arztes. In Hamburg besucht er die Allgemeine Gewerbeschule und in Dresden bis 1895 die Königliche Akademie der Bildenden Künste.
Der Bildhauer entdeckt seinen Stil in Russland
Nach Aufenthalten in Paris und Berlin bringt eine Russland-Reise im Jahre 1906 die entscheidenden Anstöße für Barlachs bildhauerische Arbeit. Schon bei seinen ersten Arbeiten nach diesem künstlerischen Erlebnis, dem sitzenden "Steppenhirten", dem "Sitzenden Weib" oder der "Russischen Bettlerin", wird deutlich, dass er seinen eigenen Stil, seine eigene Form gefunden hat.
1907 schließt Barlach mit dem Kunsthändler Paul Cassirer einen Vertrag ab, der ihm ein gesichertes Leben ermöglicht. 1909 geht er als Stipendiat des Deutschen Künstlerbundes nach Florenz. Neun Monate lang hält sich Barlach im dortigen deutschen Künstlerhaus auf. Zu Barlachs Hauptwerken aus seiner Italien-Zeit gehören "Der Zecher" sowie die "Sternendeuter" I und II (stehend und sitzend).
Ernst Barlach zieht es nach Mecklenburg
Aber der Norddeutsche fühlt sich in der Mecklenburgischen Landschaft, in Güstrow, wohler. 1910 geht er nach Güstrow, wo er 28 erfüllte, aber zuletzt auch leidvolle Jahre verbringt. Hier entstehen Holzarbeiten, wie etwa "Der Wanderer im Wind", "Lesende Klosterschüler", der "Fries der Lauschenden" und der berühmte "Schwebende Engel" - eine bronzene Skulptur, deren Erstguss verloren ist und von der heute drei Nachgüsse existieren.
Barlach schreibt auch Theaterstücke, die eine Botschaft transportieren: die Verzweiflung über die Degradierung des Menschen, das Verbannen in die Hölle des Lebens, wo Freiheit zumindest fraglich ist. Diese Stücke, etwa "Der blaue Boll", "Die gute Zeit", "Der tote Tag" oder "Der arme Vetter", erweisen sich auf der Bühne jedoch als zu sperrig, als dass sich Theater ihrer angenommen hätten.
Barlachs Darstellungen menschlichen Leids
1924 wird Barlach - inzwischen einer der etabliertesten Künstler in Deutschland - mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Bei der Umsetzung von Krieger-Ehrenmalen hatte er einen ganz neuen Weg beschritten: weg von der Heroisierung des Soldatentodes hin zur Darstellung von Leid, Tod und Unterdrückung. Die berühmten Ehrenmale in Hamburg, Magdeburg und Güstrow aus den 1920er-Jahren zeigen deshalb auch keine Helden, sondern leidende Menschen.
"Entartet" - Nazis entfernen Barlach-Arbeiten aus Museen
Genau das passt den erstarkenden Nationalsozialisten nicht. Anfang der 30er-Jahre beginnt für den Künstler eine schlimme Zeit. Die Werke Barlachs geraten zunehmend in die Kritik. Rechte Kreise greifen sie als "entartet" an. 1937 werden 381 seiner Arbeiten aus Museen und öffentlichen Räumen in Deutschland entfernt, darunter auch der "Schwebende Engel" aus dem Güstrower Dom und der "Geistkämpfer" in Kiel. Ernst Barlach zieht sich zunehmend zurück. Am 24. Oktober 1938 stirbt der Bildhauer, Schriftsteller und Zeichner nach einem Herzinfarkt in einer Rostocker Klinik.
"Geistkämpfer" übersteht Kriegszeit
Dass sein "Geistkämpfer" gerettet werden kann, erlebt Barlach somit nicht mehr. Das Werk wird am 19. Juni 1954 wieder aufgestellt. "Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt hat ihre Barlach-Plastik wieder", berichten die "Kieler Nachrichten" damals.
Güstrow wird zur Barlachstadt
Die Stadt Güstrow, die sich seit 2007 offiziell Barlachstadt nennt, macht ihn 2010 posthum zum Ehrenbürger. Die Ernst Barlach Stiftung präsentiert in verschiedenen Häusern in Güstrow - etwa in der Gertrudenkapelle, im Atelierhaus und im Graphikkabinett - den künstlerischen Nachlass des Bildhauers, Grafikers und Schriftstellers.
Ernst Barlach Haus in Hamburg zeigt seine Hauptwerke
Seit 1961 zeigt das Ernst Barlach Haus im Hamburger Jenischpark mit rund 150 Bildwerken und über 450 Zeichnungen die wichtigsten Werke des Künstlers - darunter auch 30 seiner Holzskulpturen wie den "Fries der Lauschenden". Dass es die Figuren-Reihe heute so gibt, ist auch dem Hamburger Fabrikanten Hermann F. Reemtsma zu verdanken. Tief beeindruckt von Barlachs Arbeiten beauftragte er ihn seinerzeit damit, die Skulpturen-Reihe zu beenden und wurde zum Unterstützer und Sammler des Barlachschen Werks. 1960 überführte er seine Sammlung in eine Stiftung, die wiederum den Grundstock für das 1961 eröffnete Barlach Haus lieferte.