"Bild-Lilli" - Die Vorgängerin der Barbie kommt aus Hamburg
Die Barbie geht auf eine norddeutsche Erfindung zurück: die "Bild-Lilli". Eine tägliche Karikatur in der "Bild"-Zeitung machte die Figur so populär, dass daraus 1955 eine Puppe als Werbe-Ikone entstand.
Hoher Zopf, High Heels, schlanke Taille: So sieht "Lilli" aus, die Titelfigur der Comics von Karikaturist Reinhard Beuthien. Erstmals füllt seine Schwarz-Weiß-Zeichnung am 24. Juni 1952 eine einspaltige Lücke auf Seite zwei in der Erstausgabe von Axel Springers "Bild"-Zeitung. Darauf ist zu sehen, wie sich "Lilli" bei einer Wahrsagerin die Zukunft vorhersagen lässt - und die ist auch im wirklichen Leben rosig. Denn aus dem anfänglichen Lückenfüller entwickelt sich eine wahre Erfolgsgeschichte in den Nachkriegsjahren, Made in Germany.
"Wirtschaftswunder"-Jahre: Eine Figur wird zum Vorbild
Die Figur der "Lilli" ist typisch für die Zeit des deutschen "Wirtschaftswunders". Mit ihren weiblichen Rundungen entspricht sie dem Schönheitsideal der 50er-Jahre. Mit Schmollmund und schwarzen Wimpern setzt sie aber nicht nur modische Trends, die "Lilli" drückt in den Karikaturen eine neu gewonnene Freiheit und Lebensfreude aus - und spiegelt das Frauenbild der 50er. So lässt Beuthien sie etwa sagen: "Ich hatte eine Autopanne und wär' noch lange nicht hier, wenn nicht ein junger Fernlastfahrer kräftig mit angefasst hätte." Und auch schlüpfrige Sätze tauchen unter den Comics schon mal auf. Einem Polizisten, der sie am Strand darauf aufmerksam macht, dass zweiteilige Badeanzüge verboten seien, entgegnet die junge Frau: "Na gut, welches Teil soll ich ausziehen?"
Heute locken solche Sätze nur ein müdes Lächeln hervor, damals kommen sie frech und respektlos herüber. Eine junge, selbstbewusste Single-Frau, die ihr eigenes Geld verdient, wird zum Vorbild vieler Mädchen und Frauen.
Erfolgreicher Comic zum Leben erweckt
Bereits ein Jahr nach ihrem Erscheinen ist die "Lilli" so populär, dass sich die Redaktion der "Bild" entschließt, aus der Figur eine Puppe als Werbemittel zu entwickeln. Aus der Comic- soll eine dreidimensionale "Lilli" werden. Den Puppen-Auftrag bekommt die Spielzeugfabrik O. & M. Hausser in Neustadt bei Coburg, die durch Elastolin-Figuren bekannt geworden ist. Der Modelleur Max Weißbrodt kreiert nach den Zeichnungen von Reinhard Beuthin einen Prototyp der Puppe aus Hartplastik mit einem beweglichen Kopf und anmodellierten Pumps - "Lillis" Karriere-Beginn als Puppe und Werbe-Ikone.
"Lilli"-Puppe gibt es nicht zum Schnäppchenpreis
Zwischen 1955 bis 1964 entstehen rund 130.000 Puppen mit blonden, dunklen oder roten Haaren und roten Lippen, in zwei Größen-Varianten: 19 und 30 Zentimeter hoch, zu stolzen Preisen von 7,50 und 12 D-Mark. Da Büroangestellte zur damaligen Zeit durchschnittlich um die 200 bis 300 D-Mark monatlich verdienen, ist die Puppe kein Schnäppchen. Neben der Puppe selbst gibt es mehr als 150 Outfits für die "Lilli" zu kaufen - vom Bikini bis zum Pelzmantel. Die Originalkleider sind mit Druckknöpfen der Firma Prym ausgestattet. Ein weiteres wichtiges Accessoire der Werbe-Ikone ist eine "BILD"-Zeitung im Miniformat. Zielgruppe dieser Vermarktungsstrategie sind junge Frauen. In den 1960ern schaltet "Bild" sogar Anzeigen, um Männer zu animieren, ihrer Angebeteten statt Blumen eine "Lilli" zu schenken.
Mattel-Gründerin Ruth Handler entdeckt die "Lilli"
Die "Bild-Lilli" ist nicht nur in Deutschland ein Verkaufsschlager am Kiosk, sondern in ganz Europa und sogar in Übersee. Und so entdeckt Ruth Handler, die Mitbegründerin der Firma Mattel, die Puppe bei einem Urlaub 1956 in der Schweiz. Sie ist begeistert von der "Lilli". Denn sie ist keine der damals typischen Baby-Puppen, sondern verkörpert eine erwachsene Frau mit einem Hauch Erotik, deren Kleidung sich wahlweise wechseln lässt. Handler erkennt die Möglichkeit, eine Puppe wie die "Lilli" auf dem amerikanischen Markt zu etablieren.
Siegeszug der Barbie bedeutet für "Lilli" das Ende
Am 9. März 1959 präsentiert Ruth Handler auf einer amerikanischen Spielzeugmesse in New York schließlich die Barbie-Puppe. Sie ist der "Lilli" wie aus dem Gesicht geschnitten. Mit der Einführung der Barbie beginnt das langsame Ende der "Lilli". Der letzte Beuthien-Comic erscheint am 5. Januar 1961. Drei Jahre später, 1964, kauft Mattel die Rechte an der "Bild-Lilli". Während sich die Barbie in den USA zu einem Verkaufshit entwickelt und noch heute viel Umsatz macht, muss die Produktion der "Lilli" in Deutschland eingestellt werden. Heute ist die Werbepuppe ein begehrtes Sammlerstück. Je nach Zustand und Originalverpackung erreicht es Preise um die 1.000 Euro.
Als Vorbild für die wohl berühmteste Puppe der Welt bleibt die "Bild-Lilli" als norddeutsche Erfindung in Erinnerung.