Von wegen nur 'ne Puppe! Eine barbie-pinke Glosse
Ein Kinderzimmer in Pink - so könnte es bei Juliane Bergmann ausgesehen haben. Doch Barbie war dort weit mehr, als nur eine knallbunte Welt. Eine Glosse voller Erinnerungen.
Anfang der 90er-Jahre, kurz vor der Einschulung: Ich hatte genug vom Status Quo im Kinderzimmer. Meine kakaobekleckerte Babypuppe war mir inzwischen peinlich. Vor allem seitdem ihr meine Brüder die Augen eingedrückt hatten. Ich wollte groß sein. Hey, Schule und so! Und mein Spielzeug sollte diesen Reifungsprozess bitteschön auch dokumentieren. Meine Eltern schenkten mir - sicher auf ein gewisses Drängen hin, das eine Siebenjährige in Perfektion beherrscht - die erwachsenste Puppe, die ich mir vorstellen konnte: eine Barbie. Blonde Föhnwelle, Blazer und Bleistiftrock, dazu ein kleiner Koffer. Ich weiß noch: Damals dachte ich, sie wäre eine Stewardess. Aufregend, eine Puppe mit Beruf! Meine anderen konnten nur pinkeln, rumliegen und so tun, als würden sie aus Babyflaschen trinken.
Mit Barbie - aber ohne Ken - die Welt erkunden
Bei mir machte Barbie recht flott eine Umschulung zur Radiomoderatorin - die pure Wahrheit. Barbie moderierte 90er-Jahre-Pop an. Hoch im Kurs: Whigfield und Ace of Base. Sie machte Bungee-Jumping aus dem Badezimmerfenster und im Urlaub setzte sie sich ans Steuer des feschen Barbie-Wohnmobils, das unsere Familie tatsächlich mit auf Reisen nehmen musste. Eine taffe Braut. Apropos Braut - Barbie hatte keine Lust auf eine Ehe mit ihrem männlichen Pendant Ken. An dessen Abwesenheit lag’s nicht. Der kam recht schnell dazu zum Sortiment. Stichwort: Überzeugungskraft der Siebenjährigen. Barbie brauchte Ken aber nicht, um sich vollständig zu fühlen. Sie begleitete lieber mich, wohin ich auch ging: in den Garten, auf die Schaukel und auf Autofahrten. Sie und ich standen auf’s Welterkunden.
Verdammt zur Freundlichkeit in einer Welt nicht ohne Schmerz
Barbie war die erste Frau, die ich in mein Spielzeugarsenal ließ. Unter den erwähnten Säuglingspuppen und comic-artigen Kuscheltieren mit Glupschaugen und Regenbogenfell sah ich zum ersten Mal mich selbst. Ich fand eine Projektionsfläche. Und dass ihr Haar lang und goldig und ihre Füße zum Zehenspitzengang eingefroren waren, nahm ich als Fiktion wahr - ohne mir selbst eine Plastikmähne oder steife Füße zu wünschen.
Das ihr so oft vorgeworfene ungesunde Körperbild spielte für mich keine Rolle. Klar: Barbies Lächeln ist aufgemalt. Zu keiner anderen Emotion als Freundlichkeit scheint sie verdammt. Eine Welt ohne Schmerz war es dennoch unter meiner Herrschaft nicht. Sie musste Dreck und anschließende Badewannengänge ertragen, kreative, irreparable Haarschnitte und sie trug mit Fassung, dass ich ihr aus Opas Stofftaschentüchern potthässliche, karierte Kleider nähte. Barbie konnte auch wütend werden, schmollen, keine Lust auf irgendetwas haben - so wie ich.
Klischee-Feuerwerk trifft Diversität
Dass Barbies pinke Welt angelegt ist auf ein Klischee-Feuerwerk aus Glitzer, Kleidern und Beauty, das sehe ich ja kritisch ein. Ich befürworte die vielen neuen Modelle, die dank ein paar Kilos mehr auf den Rippen eine gesündere Anatomie haben, die im Rollstuhl sitzen oder Trisonomie 21 haben oder die coole Berufe ausüben: die Astrophysikerin, die Naturfotografin, die Rettungssanitäterin.
Die Recherche hat übrigens ergeben: Meine erste Barbie war doch keine Stewardess. Es war die Day-to-Night-Barbie, die zwischen Business- und Party-Outfit wechseln konnte, indem sie völlig keck den Rock von innen nach außen drehte: vom Büro-Dress zum Tutu. Schon praktisch.
Bis auf die klitzekleine Liebe zur Farbe Barbie-Pink hat das Spielen mit der Puppe keine nennenswerten Schäden bei mir hinterlassen. Im Gegenteil: Ich würde sagen mit Barbie habe ich mir einen Beruf erträumt und Emanzipation gespielt. Sie hat mich - ein Stück weit - zum Menschen, ja zur Frau gemacht.