Stand: 06.08.2020 17:25 Uhr

Ausstellung zeigt wechselnde Perspektiven auf Hiroshima

Vor 75 Jahren wurde auf Befehl der US-amerikanischen Regierung die erste Atombombe abgeworfen. Zehntausende Menschen starben bei der Explosion in Hiroshima oder später an ihren Folgen. Die Ausstellung "Nachbilder. Wechselnde Perspektiven auf Hiroshima" in Hamburg erinnert an dieses dunkle Kapitel in der Geschichte Japans und der Welt. Kurator ist der freie Redakteur, Historiker und Fotograf David Rojkowski.

Herr Rojkowski, wenn man an Hiroshima denkt, entstehen reflexartig bestimmte Bilder im Kopf. Ikonische Fotografien sind damals entstanden, die aber in Ihrer Ausstellung keine beziehungsweise eine nur sehr untergeordnete Rolle spielen. Was sehen wir stattdessen?

David Rojkowski: Unser Anspruch bei dieser Ausstellung war, auf die ikonischen Bilder, auf Bilder, die wir mit Hiroshima verbinden, zu verzichten. Wir wollten auf diese Propagandabilder von damals nicht zurückgreifen, sondern die Geschichte über das historische Ereignis mit neuen Bildern und Geschichten erzählen, die zum Teil in Vergessenheit geraten sind.

Geschichte
Atombombenabwurf auf Hiroshima 1945 (c) HIROSHIMA PEACE MEMORIAL MUSEUM © picture-alliance/ dpa Foto: epa

Atombombe auf Hiroshima: Zehntausende Japaner sterben 1945

Am 6. August 1945 werfen US-Streitkräfte eine Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima ab, Zehntausende Menschen sterben. mehr

Was sind das für Bilder?

Rojkowski: Wir haben die Ausstellung in drei Teile unterteilt. Zum einen sind es Fotos und Bilder aus Zeitschriften und Zeitungen, die in den ersten Jahren nach 1945 erschienen sind. Wir wollten diese Bilder hinterfragen: Wo kommen sie her, wo wurden sie zum ersten Mal veröffentlicht, wer hat sie zur Veröffentlichung freigegeben? Denn damals standen alle Informationen über Hiroshima noch unter amerikanischer Zensur.

Wir haben in der Ausstellung aber auch persönliche Geschichten von Menschen, die mit Hiroshima etwas zu tun haben. Das sind zum größten Teil Überlebende, die in den Jahren danach eine gewisse Bekanntheit errungen haben. Zum Beispiel Personen, die im Zusammenhang mit Hiroshima in den US-Medien porträtiert wurden.

Zum Dritten sind es Zeichnungen von Überlebenden, die im Museum in Hiroshima seit den 70er-Jahren gesammelt werden. Diese Zeichnungen zeigen wir zusammen mit kurzen Ausschnitten aus den Erlebnisberichten von Überlebenden. Diese Zeichnungen haben auch den Titel für diese Ausstellung gegeben: Wir nennen sie "Nachbilder", weil sie Jahre nach dem Ereignis für die Überlebenden immer noch zu sehen sind. Sie haben sich als Erinnerung in ihre Köpfe eingebrannt, und man kann sagen, dass sie sie bis bis heute verfolgen.

Fangen wir bei Teil eins an: Das sind Bilder aus europäischen, aus amerikanischen und aus japanischen Medien. Wie unterscheiden sich die Darstellungen, die wechselnden Perspektiven?

Informationen zur Ausstellung

Die Sonderausstellung "Nachbilder. Wechselnde Perspektiven auf Hiroshima" im Mahnmal St. Nikolai läuft noch bis zum 23. August.
Der Eintritt ist frei.

Rojkowski: Man muss zunächst sagen, dass Japan bis 1952 von den amerikanischen Streitkräften besetzt war. In diesen sieben Jahren waren alle Fotos und Informationen über die Atombombenabwürfe und über die Überlebenden zensiert. Es gab in Japan keine offiziellen Informationen und Berichte darüber, geschweige denn Fotos. In den USA und in den restlichen Teilen der Welt wurde schon recht früh mit amerikanischen Fotos darüber berichtet. Die einzigen fünf japanischen Fotos von dem Tag des Abwurfes, die wir auch in der Ausstellung zeigen, wurden in den USA und in Japan erst nach diesen sieben Jahren bekannt. Die Bilder, die in den westlichen Ländern gezeigt wurden, zeigen vor allem das Ausmaß der Zerstörung und was die Bombe anrichten kann. Bilder von Verletzten, von Überlebenden sah man selten, in Japan erst nach 1952 - dann aber in sehr großem Maße. Auch in dem Museum, das 1955 in Hiroshima eröffnet wurde, gab es sehr viele drastische Fotos von Verletzten, die wir in der Ausstellung nicht zeigen wollten.

Was macht den besonderen Wert der Zeichnungen aus, die Sie für Ihre Ausstellung gewählt haben?

Atompilz beim Abwurf der Atombombe über Hiroshima 1945
Zerstörte Kirche in Hiroshima - ein Mahnmal für den Abwurf der ersten Atombombe 1945 © picture-alliance/Hiroshima Peace Memorial Museum
AUDIO: Hiroshima - wie die Bombe bis heute nachwirkt (25 Min)

Rojkowski: Es gibt keine Fotos und Filme von dem Moment der Explosion. Selbst wenn, könnten sie das niemals in dieser Vielfalt zeigen, die durch diese Zeichnungen gegeben ist. Es sind sehr persönliche Augenblicke, die sich in die Erinnerung der Überlebenden eingebrannt haben. Das geht von naiven, banalen Zeichnungen von jemandem, der nicht wirklich zeichnen kann, der aber seine Erinnerung damit ausdrücken möchte, bis hin zu künstlerischen Serien, die den Tag der Explosion oder die Tage danach aus einer persönlichen Sicht zeigen. Es sind zum Beispiel Momente, wo sich jemand daran erinnert, wie er an einem kleinen Mädchen vorbeiging, das ihn ansprach, das aber kurze Zeit später verstorben ist. Es sind sehr bewegende Situationen, die uns diese Perspektive der Überlebenden am besten nachvollziehbar machen können.

75 Jahre sind aus der Sicht junger Menschen eine halbe Ewigkeit. Japan scheint weit weg - Sie holen aber diese Tragödie in greifbare Nähe. Hamburg spielt in der Ausstellung sogar auch eine Rolle, oder?

Rojkowski: Ja, wir haben tatsächlich einen direkten Verweis auf Hamburg gefunden. Unser Anspruch bei der Ausstellung war nicht, das historische Ereignis in seiner ganzen Komplexität zeigen zu wollen. Das können wir gar nicht in einer kleinen Ausstellung tun, dafür braucht man schon ein Museum wie das in Hiroshima. Wir wollten uns dem Thema anders nähern: durch kleine Geschichten, anhand derer man die wichtigsten Themen vermitteln kann. Wir arbeiten auch mit Mangas, mit Comics, mit Zeitschriften - das sind Perspektiven, die bei dem Thema sonst vernachlässigt werden. Wir wollten diese anderen Wege gehen, um das historische Wissen um dieses Ereignis auch an Jugendliche zu vermitteln.

Das Gespräch führte Alexandra Friedrich.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 06.08.2020 | 19:00 Uhr

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