Stand: 09.03.2019 09:30 Uhr

Wie Hamburger NS-Richter den Tod brachten

Die NS-Richter wurden freigesprochen

Im Naturschutzgebiet Höltigbaum weist eine Tafel auf den ehemaligen Schießplatz Höltigbaum hin, auf dem im Zweiten Weltkrieg Hunderte Menschen hingerichtet wurden.
Seit 2003 erinnert diese Gedenktafel der Stadt Hamburg an diejenigen, die im Dritten Reich auf dem Schießplatz Höltigbaum hingerichtet wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die früheren NS-Militärrichter glimpflich davon. Sie gaben zu ihrer Verteidigung stets an, sie hätten im Dritten Reich nur ihre Pflicht getan und die Urteile auf Grundlage von damals geltendem Recht gesprochen. Damit kamen sie in den meisten Fällen vor Gericht durch. Eine Ausnahme aus dem Norden: Im Sommer 1949 sprach das Hamburger Landgericht einige frühere NS-Richter des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig und verhängte bis zu fünf Jahre Gefängnis. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil später aber auf. Den Kriegsrichtern sei nicht nachzuweisen, dass sie bewusst das Recht gebeugt hätten, hieß es zur Begründung. Ansonsten sei ein Richter "für eine etwaige Fehlentscheidung unter keinen Umständen strafrechtlich verantwortlich", befand der BGH Anfang der 50er-Jahre. Und so wurde in der Bundesrepublik kein einziger früherer NS-Militärrichter rechtskräftig verurteilt. Die meisten setzten ihre Karriere in der Nachkriegszeit fort. Das gilt auch für Hamburg.

Verfahren eines Unrechtstaates

Historikern Bade sieht ein großes Versäumnis darin, dass nicht mehr Todesurteile der Kriegsgerichte überprüft worden sind. Sie spricht von einer "verbrecherischen Spruchpraxis" im Dritten Reich. "Man hätte in der Nachkriegszeit hinterfragen müssen, ob die Urteile Unrecht in sich bargen", meint Bade. "Die NS-Richter haben nicht sehen wollen, dass es eine explizit nationalsozialistische Rechtsetzung war." Man dürfe zudem nicht außer Acht lassen, dass die Verfahren vor den NS-Militärgerichten im Zweiten Weltkrieg Verfahren eines Unrechtstaates waren, sagt Bade. Die Angeklagten seien weitgehend rechtlos gewesen. "Sie hatten keine Möglichkeit, in Berufung zu gehen. Und einen Verteidiger erhielten sie nur, wenn es um ein mögliches Todesurteil ging." Zudem sei das Strafmaß häufig "völlig unverhältnismäßig" gewesen, so Bade. "Zum Beispiel, wenn ein Wachposten im Dienst kurz eingeschlafen war und dafür zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde."

Der Fall Hagemann und Stoldt

Ein Todesurteil der Hamburger NS-Militärjustiz sorgte in der Nachkriegszeit für Diskussionen - und hatte Konsequenzen: Zwei junge Offiziere waren am 3. April 1945 zum Tode verurteilt worden - wegen unerlaubter Entfernung von der Wehrmacht. Bereits am folgenden Tag wurden sie in Hamburg-Höltigbaum hingerichtet. Das Urteil war unter Beteiligung zweier Juristen ergangen, die sich nach Kriegsende in der Hansestadt um Posten als Richter beziehungsweise als Staatsanwalt bewarben. Der Hamburger Jurist Gottfried Hagemann, der das Todesurteil unterzeichnet hatte, rechtfertigte sich 1947 mit den Worten: "Wir mussten bei unseren Erwägungen von dem Standpunkt des einfachen Mannes an der Front ausgehen, für den ein Offizier Vorbild sein soll. Die Männer an der Front hätten kein Verständnis für ein milderes Urteil gehabt." Aber: Hagemann wurde nicht wieder als Richter in den Hamburger Justizdienst übernommen.

Auch der zweite beteiligte Hamburger Jurist - mit Namen Richard Stoldt - wurde nicht wiedereingestellt. "Solch ein konsequentes Vorgehen gegen belastete Juristen aus der NS-Zeit hätte es viel häufiger geben müssen", meint Bade.

Weitere Informationen
Das Deserteurdenkmal am Stephansplatz © NDR.de Foto: Kristina Festring-Hashem Zadeh

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Langer Streit über Deserteurs-Denkmal

Die Opfer der NS-Wehrmachtjustiz, die den Krieg überlebten, mussten jahrzehntelang dafür kämpfen, dass ihr erlittenes Unrecht anerkannt wird. Die Deserteure galten als "Verräter" und "Feiglinge", sie erfuhren Ablehnung und Hass. Jahrzehntelang wurde in Hamburg über ein Denkmal für die Opfer der NS-Kriegsgerichte gestritten. Die Äußerung eines CDU-Politikers aus den späten 80er-Jahren steht sinnbildlich für die Haltung der Denkmal-Gegner: Desertation sei schon immer strafbar gewesen, von daher würden "nachträgliche Gedenkstätten" wohl in aller Welt als "absurde Zumutung" empfunden werden.

Dabei sind die Beweggründe, warum sich ein Soldat von der Wehrmacht entfernte, vielfältig. Manche handelten aus Angst um ihr Leben oder aus Sehnsucht nach ihrer Familie, andere aus einer politischen Einsicht heraus.

Bürgermeister Scholz: Das Umdenken kam beschämend spät

Im November 2015 war es dann so weit: Am Stephansplatz nahe des Bahnhofs Dammtor wurde ein Deserteurs-Denkmals eingeweiht. Der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bezeichnete den Gedenkort als überfällig: "Das Umdenken kam spät. Nicht zu spät, aber doch beschämend spät." Erst 2002 waren die Urteile der Militärgerichte gegen Deserteure der Wehrmacht aufgehoben worden.

VIDEO: Hamburg damals: Umstrittene Wehrmachtsausstellung (4 Min)

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 24.11.2015 | 17:00 Uhr

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