Deserteurs-Denkmal in Hamburg eingeweiht
Hamburg hat ein neues, wichtiges Denkmal. Am Stephansplatz erinnert seit dem 24. November 2015 ein Mahnmal an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs und die anderen Opfer der NS-Militärjustiz. Nach viereinhalbmonatiger Bauzeit wurde der Gedenkort von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz und selbst Deserteur, eröffnet.
Scholz: Das Umdenken kommt beschämend spät
Er sei erleichtert, dass es endlich soweit sei, sagte Scholz: "Das Umdenken kam spät. Nicht zu spät, aber doch beschämend spät. Erst 2002 wurden die Urteile der Militärgerichte gegen Deserteure der Wehrmacht aufgehoben", erinnerte er. Ludwig Baumann bedankte sich bei der Stadt Hamburg, dass sie diesen Gedenkort geschaffen hat. "Das ist für mich eine bewegende Stunde und mir geht heute ein später Traum in Erfüllung", sagte er. Der gebürtige Hamburger ist einer der Männer, die noch Jahrzehnte nach dem Krieg dafür gedemütigt wurden, weil sie nicht mehr an Hitlers Krieg teilnehmen wollten. "Wir sind auch später noch als Feiglinge, Dreckschweine und Vaterlandsverräter behandelt worden", erzählt Baumann, der sich lange für die Rehabilitierung der Deserteure von damals eingesetzt hat.
Mehr als 200 Menschen in Hamburg hingerichtet
"Das war schon lange fällig", sagt auch Uwe Storjohann. Er hat als junger Mann in der Graf-Golz-Kaserne in Rahlstedt die Maschinengewehr-Salven gehört, mit denen am Schießstand Höltigbaum die Deserteure hingerichtet wurden. "Dabei wollten die Männer doch nichts anderes als leben." Allein in Hamburg wurden mehr als 200 Menschen hingerichtet. Storjohann, der als Jugendlicher zu den Hamburger "Swingkids" gehörte, hat in den letzten Kriegstagen auch selbst die Waffe niedergelegt - unter Lebensgefahr.
'Kriegsklotz' als Neonazi-Magnet
Am Stephansplatz standen bereits zwei Denkmäler. Da ist zunächst einmal der sogenannte Kriegsklotz aus der Nazizeit. Der massive Block erinnert an das Reserve-Infanterie Regiment-Nummer 76. Die Nationalsozialisten hatten ihn 1936 als Gegendenkmal zur großen Gedenk-Stele am Rathaus von Ernst Barlach errichtet, die die Nazis als zu wenig heroisch ablehnten. Sie schrieben auf den Kriegsklotz: "Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen." Darunter marschieren in einem Relief Soldaten im Gleichschritt. Die Briten wollten das Kriegerdenkmal nach dem Krieg sprengen, doch dazu ist es nie gekommen. "Es war jahrzehntelang der Ort in Hamburg, an dem die Geschichte des Krieges verhandelt wurde", erklärt der Hamburger Historiker Magnus Koch. "Dort gab es immer wieder Aufmärsche von Rechtsextremen, die Bundeswehr hat dort Kränze niedergelegt." Oft wurde der martialische Klotz mitten in der Stadt von Kritikern verhängt oder beschmiert.
Zahnloses Hrdlicka-Mahnmal
Anfang der 80er-Jahre wollte Hamburg diesem Klotz endlich etwas entgegenstellen. Der Wiener Künstler Alfred Hrdlicka sollte eine vierteilige Skulptur erschaffen - doch man zerstritt sich. Das Werk blieb unvollendet. Zwei Teile stehen jetzt da - rätselhaft und kaum in der Lage, dem wuchtigen Klotz etwas entgegenzusetzen. Lange gab es keine politische Mehrheit für ein Deserteurdenkmal. Im Kalten Krieg befürchtete man eine Schwächung der Bundeswehr. Die Diskussionen und Kunst-Aktionen der 80er-Jahre waren ideologisch dominiert. Jetzt hat die Bürgerschaft das Projekt einstimmig beschlossen. Das Denkmal erinnert nicht an alle Deserteure der Geschichte, sondern an Opfer der Nazi-Militärjustiz und in diesem Zusammenhang dann auch an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs.
Der Kriegsklotz wird gestört
Einige Ideen sahen vor, den "Kriegsklotz" umzuwandeln. Das "Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal" dachte beispielsweise daran, vor die im Gleichschritt marschierenden Soldaten einen weiteren, weißen Soldaten zu setzen, der aber in die entgegengesetzte Richtung läuft. Ein anderer Einfall sah vor, das Kriegerdenkmal in der Mitte durchzuschneiden, um zu zeigen, was es wirklich ist: innen hohl. Die Jury hat sich dann aber für den Entwurf des Hamburger Künstlers Volker Lang entschieden. Lang hat ein begehbares Dreieck entworfen. Zwei Wände bestehen aus Bronzegittern mit Buchstaben, die das Gedicht "Deutschland 44" von Helmut Heißenbüttel ergeben. Im Denkmal kann man per Knopfdruck die Stimme des Dichters den Text lesen hören. Volker Langs Deserteursdenkmal rückt dem rechteckigen Klotz dicht auf die Pelle. Der Gedenkort am Stephansplatz werde damit für Nazis an Attraktivität verlieren, hofft Pastor Ulrich Hentzschel, der die Pläne seit Jahrzehnten begleitet. "Die Umgestaltung wird es rechten Gruppen schwer machen, wie in früheren Jahren ihre Kundgebungen abzuhalten. Denn wer den Kriegsklotz sieht, sieht auch die Würdigung der Deserteure."