Flüchtlingstreck nach dem Zweiten Weltkrieg. © picture-alliance / dpa Foto: dpa

Flucht und Vertreibung überschatten 1945 das Kriegsende

Stand: 08.05.2022 05:00 Uhr

Am 8. Mai 1945 ist Nazi-Deutschland besiegt. Aus den deutschen Ostgebieten werden Millionen von Menschen vertrieben oder müssen flüchten. In einigen Gebieten hatte die Massenflucht aus Angst vor Vergeltung durch die Rote Armee bereits zuvor begonnen.

von Jürgen Brühns

Als Folge des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs wurden Millionen von Menschen vertrieben, zwangsumgesiedelt oder mussten flüchten. 1941 vertrieben die Nationalsozialisten rund 900.000 Polen aus dem seit 1939 besetzten ehemaligen westlichen Westpreußen in das sogenannte Generalgouvernement. Den Platz in der als "Warthegau" bezeichneten Provinz sollten deutsche "Umsiedler" einnehmen. Diese kamen aus Gebieten, die nach dem Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt und der Niederlage Polens unter sowjetische Herrschaft gelangt waren, insbesondere aus dem Baltikum. Es sollte ein rein deutsches Siedlungsgebiet entstehen. Erst nach der Befreiung Anfang 1945 konnten die Polen wieder in ihre Heimat zurückkehren.

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Ausschnitt der Europa-Karte vom 1. Mai 1945 aus dem "Atlas of the World Battle Fronts in Semimonthly Phases" des United States War Department, 1945, der die Gebietslage in zweiwöchigen Abständen dokumentiert. © This image is a work of a U.S. Army soldier or employee, taken or made as part of that person's official duties. As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain. Foto: United States War Department, General Staff 1945

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Späte Massenflucht aus den Ostgebieten

Als die Rote Armee im Herbst 1944 an der Reichsgrenze stand, begann aus Angst vor Vergeltung die Massenflucht der Deutschen aus Ostpreußen und Schlesien, später auch aus Pommern. Dreieinhalb Jahre waren seit dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 vergangen, viele Millionen Menschen dort in diesen Jahren getötet worden. Tausende Städte und Dörfer hatte die Wehrmacht zerstört. Hinter der Front hatten NS-Einsatzgruppen hunderttausende Zivilisten ermordet, vor allem Juden.

Flüchtende geraten zwischen die Fronten und in Kämpfe

Flüchtlinge ziehen am Ende des Zweiten Weltkriegs über das zugefrorene Frische Haff, im Vordergrund liegt ein totes Pferd. © dpa - Bildarchiv
Tausende Menschen überlebten die Strapazen der Flucht nach Westen nicht.

Lange hatten die NS-Machthaber Durchhalteparolen ausgegeben und rücksichtslos jede Flucht verboten. Die Gauleiter hofften auf eine bessere Kampfmoral und einen härteren Widerstand der Wehrmacht, wenn es um die Verteidigung deutschen Bodens und deutscher Zivilisten ging. Hunderttausende Deutsche strömten in den letzten Kriegswochen nach Westen.

Die Flüchtenden gerieten oft zwischen die Fronten und in die Kampfhandlungen. Vielfach überrollte die rasch vorrückende Rote Armee die Trecks. Millionen Flüchtende starben an Kälte und Hunger oder wurden von sowjetischen Truppen misshandelt, vergewaltigt oder ermordet. Als die Landwege nach Westen versperrt waren, gelang mindestens 1,5 Millionen Zivilisten und 500.000 Wehrmachtsangehörigen die Flucht per Schiff über die Ostsee nach Westen. Tausende Flüchtlinge starben, als ihre Schiffe von der sowjetischen Marine torpediert wurden - etwa auf den Schiffen "Wilhelm Gustloff", "Steuben" oder "Goya".

Systematische Vertreibung nach Kriegsende

Flüchtende Frauen im Mai 1945. © picture-alliance / akg Foto: / RIA Nowosti
Auf ihrer Flucht konnten viele Menschen nur das Nötigste mitnehmen.

Nach dem Krieg begann die systematische Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Von April 1945 an vertrieben die neuen polnischen Behörden die ansässige deutsche Bevölkerung, noch bevor die Potsdamer Konferenz im August die "wilden Vertreibungen" als "geordnete Überführung deutscher Bevölkerungsteile" aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn sanktionierte. Dennoch kam es auch danach noch zu zahlreichen Verbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung. Unter sowjetischer Verwaltung stand nun das nördliche Ostpreußen um Königsberg. Hierher kamen Russen, Weißrussen und Ukrainer. Auch einige ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter siedelten sich hier an.

Vertreibung nach Prinzip des "ethnisch reinen Nationalstaates"

Unter polnische Verwaltung gelangten das südliche Ostpreußen, Pommern, Neumark-Brandenburg und Schlesien. Die Vertreibung begründeten die Polen mit dem Verhalten der Deutschen während der Besatzung und mit dem Prinzip des "ethnisch reinen Nationalstaates". So forderte neben den polnischen Kommunisten auch die bürgerlich-polnische Exilregierung in London, die Gebiete ohne die deutsche Bevölkerung zu erhalten. Zudem sollte Polen für die Gebietsverluste an der ukrainischen und weißrussischen Grenze auf Kosten deutschen Territoriums entschädigt werden, um die von dort zwangsumgesiedelten Polen unterbringen zu können.

Bereits auf der Kriegskonferenz von Teheran im Herbst 1943 war die Westverschiebung des polnischen Staates von den Alliierten beschlossen worden. Sie war Folge der Weigerung Stalins, die 1939 im Hitler-Stalin-Pakt festgelegte Verschiebung der polnischen Grenzen rückgängig zu machen und den Staat Polen in den Grenzen von 1939 wiedererstehen zu lassen.

Sudetendeutsche müssen Tschechoslowakei verlassen

Deutschstämmige Flüchtlinge aus der Region Sokolov in Böhmen am 20. November 1945 auf dem Weg nach Deutschland. © picture-alliance / dpa Foto: CTK
Nach Kriegsende müssen viele Deutschstämmige Böhmen verlassen.

Auch aus der Tschechoslowakei wurden die Deutschen vertrieben, vorwiegend aus dem Sudetenland, also den nördlichen, südlichen und westlichen Randgebieten der böhmischen Länder. Im Sudetenland wurden vor allem Tschechen sowie Sinti und Roma angesiedelt. Hinzu kamen als "Repatrianten" bezeichnete Tschechen, die aus Familien stammten, die vor dem deutschen Einmarsch nach Frankreich, in die USA oder in andere Länder ausgewandert waren.

Integration und Entschädigung im Nachkriegsdeutschland

Mehr 17 Millionen Deutsche lebten vor dem Krieg in den Ostprovinzen sowie in Polen, den baltischen Staaten, Danzig, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien. Als der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 offiziell beendet wurde, befanden sich etwa die Hälfte der damals rund 15 Millionen Menschen umfassenden deutschen Bevölkerung der Ostprovinzen westlich von Oder und Neiße. Zwischen 1944/45 und 1950 waren zwölf bis 18 Millionen Deutsche von Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten betroffen - die Schätzungen von Historikern gehen hier auseinander. Bis zu 600.000 Menschen von ihnen starben dabei. Etwa zweieinhalb Millionen Deutsche blieben in ihrer Heimat und waren zum Teil heftigen Repressionen ausgesetzt. Mehrere Hunderttausend wurden in Lagern inhaftiert oder mussten Zwangsarbeit leisten. Ohne Entschädigung wurde das private Eigentum der Ost- und Sudetendeutschen konfisziert, ebenso das öffentliche und kirchliche deutsche Eigentum. Eine der großen Aufgaben in der Nachkriegszeit war die Integration und Entschädigung der Vertriebenen beziehungsweise in der DDR als "Umsiedler" bezeichnete Personen in das geteilte Nachkriegsdeutschland.

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Deutschstämmige Flüchtlinge aus der Region Sokolov in Böhmen am 20. November 1945 auf dem Weg nach Deutschland. © picture-alliance / dpa Foto: CTK

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NDR Info | Deine Geschichte – unsere Geschichte | 06.06.2021 | 14:33 Uhr

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