Durchgangslager Friedland: "Tor zur Freiheit" für Kriegsgefangene
Ende 1945 wurde in Friedland das Durchgangslager für Flüchtlinge eröffnet. Hunderttausende kamen zu Fuß und in Zügen. Am 26. September 1953 traf ein erster der letzten großen Transporte mit Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion ein.
Mai 1945: Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg verloren. Auf den Straßen der Besiegten herrscht Chaos, die Menschen leiden Hunger. Die Versorgung ist längst zusammengebrochen. Millionen Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Gebieten wandern gen Westen, riesige Flüchtlingsströme ziehen durch das zerstörte Land. Die Besatzer müssen handeln, um Herr der Lage zu werden. Der britische Militärkommandant befiehlt, ein Auffanglager zu errichten.
Ställe der Uni Göttingen werden zu Unterkünften umgebaut
Er wählt dafür Friedland aus, ein Örtchen, das er als ideal für diesen Zweck befindet: Das Dorf liegt im südlichen Niedersachsen zwischen der britischen, amerikanischen und sowjetischen Besatzungszone. Es gibt dort einen Bahnhof, eine gut ausgebaute Straße und leer stehende Schweine- und Pferdeställe der Universität Göttingen. Auf Anordnung der Briten wird das Gelände zu einer Unterkunft für Kriegsflüchtlinge, Vertriebene, entlassene Kriegsgefangene und Heimatlose umgebaut.
Heimkehrer, Vertriebene, Flüchtlinge: Schnell wird es eng
Das Lager wird innerhalb weniger Tage aus dem Boden gestampft. Am 20. September 1945 ist es einsatzbereit. Hunderttausende kommen, viele zu Fuß, die meisten mit dem Zug. Bis Ende 1945 schleusen die Briten eine halbe Million Menschen durch das Lager für die Weiterreise in verschiedene Regionen Deutschlands - vor allem entlassene Kriegsgefangene und Vertriebene. Doch der Platz reicht bald nicht mehr. Die Anlage muss vergrößert werden - mit britischen Armeezelten, Holzbauten und Wellblech-Baracken, den sogenannten Nissenhütten. Für die Ankömmlinge gibt es im Durchgangslager den wichtigen Registrierschein, der Voraussetzung für neue Papiere, Arbeit, Wohnung und Lebensmittelkarten ist.
Am 13. August 1946 trifft in Friedland der erste geschlossene Transport deutscher Kriegsgefangener aus der Sowjetunion ein. Die Verantwortung für die Einrichtung geht im Februar 1948 auf das neu eingerichtete Niedersächsische Ministerium für Flüchtlingsangelegenheiten über. Am 31. März 1952 verlässt die letzte militärische Einheit der Briten das Lager Friedland. Mittlerweile hat das Niedersächsische Innenministerium die Aufsicht.
1953 trifft erster der letzten großen Transporte ein
Nachdem die Regierung der UdSSR 1951 ohne Begründung alle Transporte von Heimkehrern gestoppt hat, heißt es zwei Jahre später für rund 10.000 weitere Gefangene und Zwangsarbeiter: "Ab in die Heimat!" Am 26. September 1953 trifft ein erster der letzten großen Transporte mit deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion ein. Die ersten 468 Heimkehrer kommen in zwölf Bussen zunächst am Kontrollpunkt Herleshausen in Hessen an. Auch einige Frauen und Kinder sind darunter. Bewegende Szenen spielen sich ab: Völlig Fremde weinen und umarmen sich. Die Menschen aus der Grenzregion schleppen Körbe belegter Brötchen und Äpfel herbei und der Dorflehrer aus Herleshausen stelle seinen Kinderchor zwischen die Busse.
Vom Grenzübergang Herleshausen bis zum Lager Friedland sind es nur rund 80 Kilometer. Dennoch brauchen die Busse sechs Stunden, so voll sind die Straßen mit Menschen, die die Heimkehrer empfangen wollen. Das Suchen und nach vielen Jahren Wiederfinden ist es, das die Menschen in das Lager Friedland treibt. Hunderte von Verwandten und Freunden, aber auch von vergeblich Hoffenden erwarten die Spätheimkehrer nach Aussagen von Zeitzeugen. Viele werden wegen Kriegverwundungen oder Entkräftung gestützt oder müssen getragen werden. Die Zwangsarbeit hat bei allen unübersehbare Spuren hinterlassen. Ein 60 Jahre alter Mann aus Peine überlebt die Reise nicht: Er ist am zweiten Tag des einwöchigen Transportes im Zug gestorben.
Bis zum Jahreswechsel 1953/54 beziehen nach Angaben des Leiters des Lagers, Heinrich Hörnchemeyer, rund 7.000 Männer und Frauen die Baracken in Friedland.
Adenauers Coup - Heuss begrüßt letzte Heimkehrer aus Russland
Am 12. September 1955 erreicht Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in Moskau überraschend die Freilassung weiterer Tausender Kriegsgefangener. Die meisten kommen zuerst nach Friedland. Nach den Transporten 1953/1954 werden auch die Ankünfte 1955/1956 als "Heimkehr der Zehntausend" zu einem bedeutenden Medienereignis in der jungen Bundesrepublik. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss reist persönlich zu den Heimkehrern, um sie zu begrüßen. Die letzten Gefangenen in der Sowjetunion werden im Januar 1956 freigelassen.
Zwischenstation für osteuropäische Spätaussiedler
In den Folgejahren ist Friedland vor allem Zwischenstation für deutschstämmige Spätaussiedler aus Osteuropa. Neben diesen finden in Friedland auch immer wieder Menschen aus unterschiedlichsten Ländern Zuflucht. 1956 zum Beispiel sind es Flüchtlinge aus Ungarn, 1973 nach dem Militärputsch in Chile Verfolgte des Pinochet-Regimes, 1978 Bootsflüchtlinge ("Boatpeople") aus Vietnam, 1984 Tamilen aus Sri Lanka und 1990 Flüchtlinge aus Albanien. In den Wendejahren 1989/90 kommen auch Übersiedler aus der DDR, dann auch Aussiedler aus den Nachfolgeländern der Sowjetunion. Allein im Jahr 1990 treffen 400.000 Aussiedler in Friedland ein.
Friedland wird zum "Symbol für Nächstenliebe"
Bis Ende der 1990er-Jahre sinken die Zahlen der Aussiedler dann kontinuierlich, und so wird 1999 bekannt, dass Friedland nur noch als "Reservelager" erhalten bleiben soll. Doch es zeigt sich, dass der Rückhalt für die Einrichtung in der Bevölkerung stark ist. Bürger, Politiker und die örtliche Presse protestieren und sammeln fast 15.000 Unterschriften gegen die Schließung. Der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) gibt nach und sagt zum 60. Jahrestag: "Friedland ist zum Symbol geworden für Hilfe aus dem Flüchtlingselend, für Nächstenliebe und tätige Hilfe."
Flüchtlingskrise 2015 wird zur Herausforderung
Heute ist das Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland die einzige Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler und deren Angehörige in Deutschland. Seit 2012 ist die Zahl der Aussiedler wieder gestiegen. 2011 wird Friedland zudem zu einer der Erstaufnahme-Stellen des Landes Niedersachsen für Asylsuchende. Vor einer besonders großen Herausforderung steht Friedland im Jahr 2015 durch die riesigen Flüchtlingsströme vor allem aus Bürgerkriegsländern wie Syrien und Irak. Im Herbst 2015 ist das Durchgangslager zwischenzeitlich völlig überfüllt. Es hat zu diesem Zeitpunkt Kapazitäten für rund 700 Asylsuchende, zeitweise leben dort aber mehr als 3.500 Geflüchtete.
Die Zahl der Neuankömmlinge bleibt in den folgenden Jahren hoch: Im Jahr 2019 finden im GDL Friedland insgesamt gut 12.800 Menschen vorübergehend eine Bleibe, darunter rund 7.200 Spätaussiedler, 4.800 Einreisende aus Humanitären Aufnahme-Programmen, zum Beispiel über das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, und rund 740 Asylbewerber. 2021 sind es insgesamt rund 11.300 Personen.
Friedland auch im Russland-Ukraine-Krieg eine erste Station
Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 wächst die Zahl derer, die ihr Heimatland verlassen, täglich stark an - was auch in Friedland zu spüren ist: In den ersten Wochen des Krieges kommen dort bis Ende März rund 550 Personen ukrainischer Herkunft an. Aktuell verfügt die Einrichtung über 820 Aufnahmeplätze. Alle acht Standorte der Landesaufnahmebehörde (LAB) nehmen bis Ende März 2022 insgesamt rund 5.500 Vertriebene aus der Ukraine auf - die Behörde macht allerdings darauf aufmerksam, dass die Geflüchteten nach ihrer Registrierung zügig in die Kommunen verteilt würden, die Zahlen also lediglich eine Momentaufnahme sein können.
Ein Museum für das "Tor zur Freiheit"
In den fast acht Jahrzehnten seines Bestehens ist das Durchgangslager Friedland bereits für rund viereinhalb Millionen Menschen die erste Anlaufstelle in Deutschland gewesen. Für sie wurde es das "Tor zur Freiheit". Welche Bedeutung der Ort für die deutsche Nachkriegsgeschichte von 1945 bis in die heutige Zeit besitzt, zeigt seit März 2016 das Museum Friedland. Dort berichten Zeitzeugen in Filmen von ihrer Flucht und ihrer Ankunft in Friedland. Fotos, persönliche Gegenstände und historische Dokumente ergänzen die Ausstellung, die im früheren Bahnhof des Ortes untergebracht ist. Bis zum Jahr 2025 soll ein Neubau fertiggestellt sein, in dem vor allem die junge Geschichte der Migration nach Deutschland über Friedland ab 2015 dokumentiert werden soll. Auch eine Akademie soll dort entstehen.