Vor 60 Jahren: Louis Armstrong beendet DDR-Tournee in Schwerin
Louis Armstrong in der DDR? Eine unglaubliche Geschichte. Doch es gab diese Tournee, die den "King of Jazz" auch nach Schwerin führte. Am 8. April 1965 trat er mit seinen All Stars in der Sport- und Kongresshalle auf.
Eine Handvoll Schaulustige und Journalisten warten am Nachmittag des 8. April 1965 vor dem Schweriner Hotel "Reichshof" - ein kleines Aufgebot, das den weltberühmten Sänger und Trompeter Louis Armstrong bei norddeutschem Nieselwetter in Schwerin empfängt. Kein Vergleich zu dem fast pompösen Empfang am 19. März in Berlin mit Willkommens-Band und zahlreichen Offiziellen. Der US-Star tourt seit vier Wochen durch die DDR und weitere Länder des Ost-Blocks, wird von Menschenmassen bejubelt und bei seinen Auftritten gefeiert.
Louis Armstrong als "Botschafter des Friedens" im Ostblock

Jazz - das war etwas Amerikanisches, Wildes, das in den osteuropäischen Ländern von offizieller Seite lange abgelehnt wurde. Doch das änderte sich in den 1960er-Jahren allmählich. Die Initiative für Armstrongs Osteuropa-Auftritte im Jahr 1965 ging von seinem Management aus, unterstützt vom US-Außenministerium, das sich davon positive Auswirkungen in Zeiten des Kalten Krieges versprach. Erste Auftritte im damaligen Ostblock werden organisiert.
Keine Devisen: Bezahlung über Schweizer Geschäftsmann
Die ostdeutsche Künstler-Agentur lädt Armstrong als "Kämpfer gegen Rassismus" in die DDR ein und stellt ihm für die Tournee den Jazz-Experten Karlheinz Drechsel zur Seite. Als problematisch erweist sich für den devisenschwachen Staat die Bezahlung des "King of Jazz". Über einen Schweizer Geschäftsmann, dem wahrscheinlich Wertobjekte von Carl Zeiss Jena und möglicherweise antike Jagdwaffen angeboten werden, gelingt schließlich die Finanzierung.
"Der weltberühmte amerikanische Jazztrompeter Louis Armstrong wird mit seiner All-Star-Band während einer Europatournee, die der Künstler gegenwärtig unternimmt, auch in der Deutschen Demokratischen Republik gastieren." Zitat aus der DDR-Zeitung "Neues Deutschland"
Großer Empfang am Flughafen Schönefeld in Berlin

17 Konzerte wird Armstrong in der DDR geben, in Berlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin. Nach sechs Konzertabenden in Prag werden der Jazztrompeter, seine Ehefrau Lucille und seine All Stars am 19. März auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld empfangen. Die Jazz-Optimisten Berlin spielen als Willkommenslied "Sleepy Time", in das Armstrong spontan mit einsteigt. Dann geht es direkt weiter zur Pressekonferenz ins Ost-Berliner Hotel Berolina. Den politischen Fragen der zahlreichen Journalisten aus der DDR und der BRD weicht Armstrong geschickt aus. Er hält sich an sein Credo zu betonen, dass er für alle Menschen spielt, egal auf welchem Kontinent und in welchem Land.
Riesiger Andrang auf Eintrittskarten für Satchmos Konzerte
Am 20. März gibt der US-Sänger die ersten beiden Konzerte im Berliner Friedrichstadt-Palast, es folgen vier weitere Konzerte in Ost-Berlin und anschließend zwei in der Leipziger Messehalle. Zu seiner All Stars Band gehören die Sängerin Jewel Brown, der Posaunist Tyree Glenn, Pianist Billy Kyle, Arvell Shaw am Bass, der begnadete Schlagzeuger Danny Barcelona und Eddie Shu an der Klarinette - allesamt musikalische Koryphäen. Die Begeisterung für Armstrong und seine Band ist riesig, die Menschen stehen stundenlang für Eintrittskarten an - oft erfolglos. An einem einzigen Tag werden in Ost-Berlin 18.000 Tickets verkauft.
Louis Armstrong absolviert meist zwei Auftritte pro Abend

Armstrong tritt meist zweimal pro Abend auf, reist zwischendurch für weitere Auftritte nach Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien und in die Bundesrepublik für einen TV-Auftritt bei "Der goldene Schuss" in Frankfurt am Main. Zurück in der DDR gastiert der auch Satchmo genannte Künstler am 5. April erneut in Berlin, anschließend in Magdeburg, Erfurt und schließlich in Schwerin - ein unglaubliches Pensum für den damals immerhin schon 64-Jährigen.
Schwerin letzte Station der DDR-Tournee
Schwerin ist die fünfte und letzte Station des Weltstars in der DDR. Hier ist von Beginn an alles anders. Erst kurzfristig hat Armstrongs Management diesen Auftritt zugesagt. Es heißt, der damalige Direktor der Konzert- und Gastspieldirektion Schwerin, Franz Tichatschke, habe Armstrong bei einem seiner Auftritte in der Garderobe dazu überredet. Schon die Anreise in die mecklenburgische Landeshauptstadt ist vergleichsweise beschwerlich. Der Weltstar landet auf dem winzigen Flughafen Barth auf dem Darß, wo er von Franz Tichatschke offiziell begrüßt wird.
Weltstar macht Kaffeepause in Barther Flughafenbaracke

Zum Ausruhen ziehen sich Armstrong und sein Team in den Klubraum des Flughafengebäudes zurück. Bei Kaffee und Kuchen gibt Satchmo dem Radio-Journalisten Franz Hartwig Hüpeden ein Interview. Darin zeigt er sich begeistert vom Publikum in der DDR und vom Eisbein. Zudem gibt er preis, dass er bei seinen schweißtreibenden Auftritten pro Abend zwei weiße Hemden und 20 Taschentücher benötigt. Anschließend geht die beschwerliche Reise weiter. Der von Franz Tichatschke als stadtnah beschriebene Flughafen liegt über zwei Fahrstunden von Schwerin entfernt. Eine lange, unbequeme Fahrt, über die Armstrong angeblich ziemlich ungehalten war.
Schweriner Konzert nicht ausverkauft
Aufgrund der kurzfristigen Planung - und vielleicht auch wegen einer falschen Einschätzung der Schweriner Musikorientierung - läuft es beim Ticketverkauf nicht rund. Erst acht Tage vor den geplanten zwei Konzerten erfahren die Mecklenburger über die Medien von dem Ereignis. Anders als in Berlin oder Leipzig läuft der Kartenverkauf schleppend, sodass schließlich am 8. April statt der geplanten zwei nur ein Konzert in der Sport- und Kongresshalle stattfindet. Manche mutmaßen, dass damals in Schwerin die Beatles-Begeisterung groß gewesen ist und deswegen Jazz nicht so hoch im Kurs steht.
Unvergessliches Ereignis für Schweriner Publikum
Nach vier Wochen mit nahezu täglich zwei Konzerten ist der "King of Jazz" erschöpft, gibt für die Schwerinerinnen und Schweriner aber noch einmal alles. 4.000 begeisterte Zuschauer feiern Armstrong. Der soll nicht sehen, dass die Halle nicht ausverkauft ist, weswegen der hintere Teil abgedunkelt wird, berichtet Stephan Schulz in seinem Buch "What a Wonderful World".

"Einmal ging er beim Spielen in die Knie wie die Musiker auf den alten Mississippidampfern und kam dann nicht wieder hoch", erinnert sich Franz Hartwig Hüpeden in der "Schweriner Volkszeitung" vom 8. April 2010. "Aber als Vollprofi hat er sich einfach auf den Hosenboden fallen lassen und mit von sich gestreckten Beinen weiter gespielt. Das Publikum tobte natürlich vor Begeisterung." Für diejenigen, die dabei waren, bleibt der Auftritt ein unvergessliches Ereignis.
"Keinen Eisernen Vorhang gesehen"
Noch am gleichen Abend fliegt Armstrong vom Flughafen Barth weiter nach West-Berlin. Von dort geht es am 9. April 1965 zurück in die USA. Es bleibt die einzige DDR-Tournee von Louis Armstrong. Zurück in der Heimat auf den Eisernen Vorhang angesprochen, erklärt er, er habe keinen gesehen. Stattdessen lobt er in den wärmsten Tönen die Musikbegeisterung der Menschen in Osteuropa.
Armstrong stirbt am 6. Juli 1971 in New York an einem Herzinfarkt. Er wird 69 Jahre alt.
