"Telemichel": Hamburger erobern 1968 den neuen Fernsehturm
Von 0 auf 124 Meter in nur 25 Sekunden: Ab dem 12. April 1968 durften Besucher auf Hamburgs Fernsehturm. Besonderes Erlebnis war neben der spektakulären Aussicht die rasante Fahrstuhlfahrt.
Der ältere Herr strahlt vor Freude: Er hat die Eintrittskarte Nummer 498 ergattert. Damit ist er am 12. April 1968 unter den ersten 500 Besuchern, die die Aussichtsplattform des neuen Hamburger Fernsehturms besuchen dürfen - und erhält freie Fahrt mit dem Fahrstuhl nach oben. Das frühe Aufstehen am Karfreitag hat sich für ihn gelohnt.
Zwei D-Mark Eintritt für 25 Sekunden Fahrstuhlfahrt
Alle, die nach den ersten 500 Gästen kommen, müssen Eintritt bezahlen. Zwei Mark kostet die Fahrstuhlfahrt nach oben, Kinder zahlen die Hälfte. Allein am Eröffnungswochenende, dem Osterwochenende 1968, besichtigen 28.500 Menschen Hamburgs neues Wahrzeichen - deutlich mehr als erwartet. Unten heißt es deshalb erst einmal Schlange stehen vor den beiden Fahrstühlen. Ist man erst einmal im Aufzug, geht es ganz schnell: Sechs Meter pro Sekunde legen die Fahrstühle zurück, nur etwa 25 Sekunden dauert es bis zur Aussichtsplattform. Manch einer kann gar nicht glauben, bereits am Ziel zu sein und weigert sich zunächst auszusteigen. Unangenehm ist für einige Gäste die Fahrt nach unten: Die Geschwindigkeit sorgt bei ihnen für Ohrendruck und ein flaues Gefühl im Magen.
Rundblick über Hamburg aus 125 Metern Höhe
Oben genießen die Besucher die Aussicht aus rund 124 Metern Höhe auf die Hansestadt. Eifrig diskutiert wird die Frage, wo genau die eigene Wohnung liegt. Weder der Michel noch die Petrikirche bieten in Hamburg höher gelegene Aussichtsplätze als der Turm, den der Architekt Fritz Trautwein im Auftrag der Bundespost entworfen hat.
Bier für 50 Pfennig, Bockwurst für eine Mark
Auf eine Bewirtung müssen die ersten Besucher des Turms noch verzichten. Das Selbstbedienungsrestaurant öffnet erst acht Tage später am 20. April. Die Preise sind moderat: Bier, Kaffee und Limonade kosten 50 Pfennig, Bockwurst eine Mark. Bereits geöffnet hat ein Kiosk, an dem sich Besucher mit Souvenirs wie Eierwärmern mit Hamburg-Wappen oder Schneekugeln mit dem Motiv der Landungsbrücken eindecken können.
"Kaffee und Kuchen satt" im Dreh-Restaurant
Über der Aussichtsplattform liegt ein weiterer Bereich mit Bar und Restaurant, der am 11. Mai, dem Tag der offiziellen Einweihung des Fernsehturms, eröffnet wird. Hier ist der Besuch mit Preisen von 11 Mark für ein T-Bone-Steak oder 9,75 Mark für ein Filetgulasch Stroganoff deutlich kostspieliger.
Besonderer Clou ist die Drehscheibe, auf der sich Besucher an ihrem Tisch innerhalb einer Stunde um die Achse des Turms drehen und so beim Essen das gesamte Hamburg-Panorama genießen können. Für eine gedämpfte Beleuchtung, die sich nicht in den Panoramascheiben spiegelt, sorgen 21.500 Taschenlampenbirnen, die in der Decke eingelassen sind. Gekocht wird unten im Turm, per Aufzug wird das Essen nach oben transportiert. Dort wird nur noch angebraten oder aufgewärmt.
Ein spezielles Angebot, an das sich viele Hamburger bis heute erinnern, gilt nachmittags zwischen 15 Uhr und 17.30 Uhr: Unter dem Motto "Kaffee und Kuchen satt" dürfen die Gäste so viel Torte verputzen, wie sie schaffen.
Hamburger Fernsehturm soll wieder öffnen
Über Jahrzehnte ist der Turm Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen. Doch in den 1990er-Jahren ist das Konzept nicht mehr zeitgemäß, die Besucherzahlen gehen zurück. 2001 müssen sowohl Restaurant als auch Aussichtsplattform schließen. Das Gebäude ist asbestbelastet, muss saniert werden.
Zwischenzeitlich scheitern mehrere Pläne, einen Betreiber zu finden und den "Telemichel", wie ihn das "Hamburger Abendblatt" bereits bei der Eröffnung 1968 nennt, wieder der Besuchern zugänglich zu machen. Anfang 2024 wird die Wiedereröffnung auf unbestimmte Zeit verschoben. Inzwischen plant die Deutsche Funkturm GmbH, die Eigentümerin des Fernsehturms, den Bauantrag 2025 einzureichen. Wann genau der Turm mit der Aussichtsplattform in 120 Metern Höhe wieder geöffnet sein wird, ist unklar.