Loren und Klinkerwerk auf dem Gelände des KZ Neuengamme (1944). © dpa Foto: KZ-Gedenkstätte_Neuengamme

KZ Neuengamme: Briten finden 1945 leeres Lager vor

Stand: 04.05.2024 00:00 Uhr

Als britische Soldaten am 4. Mai 1945 Neuengamme erreichen, finden sie ein riesiges Lager mit leeren Baracken vor. Zwei Tage zuvor hatten SS-Männer mit den letzten KZ-Häftlingen das Lager verlassen.

19. April 1945: Die SS beginnt mit der Räumung des Konzentrationslagers Hamburg-Neuengamme. Tausende Häftlinge werden in Güterzügen nach Lübeck transportiert. Von dort schafft man sie auf die vor Neustadt auf Reede liegenden Schiffe "Cap Arcona", "Thielbek", "Athen" und "Deutschland". Rund 4.200 Häftlinge aus dem sogenannten Skandinavierblock werden innerhalb von drei Tagen mit den "Weißen Bussen" nach Dänemark und Schweden gebracht.

Am 20. April werden am Bullenhuser Damm 20 jüdische Kinder ermordet. Die ehemalige Schule in der Straße ist eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme, auch hier sollen alle Spuren der Verbrechen vernichtet werden. Die Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren, an denen man grauenhafte medizinische Versuche durchgeführt hatte, werden im Keller erhängt.

SS verwischt ihre Spuren

Bei der Auflösung des Lagers muss ein in Neuengamme verbliebenes Restkommando auf Befehl der SS die Spuren der Verbrechen verwischen: Die Baracken von Stroh und Unrat reinigen, teilweise sogar frisch kalken und verräterische Gegenstände wie Prügelbock und Galgen, aber auch alle Kommandantur-Akten beseitigen. Die letzten Häftlinge und SS-Leute verlassen das Lager am 2. Mai 1945.

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Die Sorge, dass die heranrückenden britischen Truppen zu viel über das Lager und die Brutalität der Bewacher erfahren könnten, ist bestimmend für die Evakuierungsaktionen in den letzten Tagen des NS-Regimes. Denn am 15. April hatten britische Truppen das Lager Bergen-Belsen befreit und dort Tausende Opfer vorgefunden. Zudem hätte das SS-Wachkommando von Neuengamme ein Hindernis bei der kampflosen Übergabe Hamburgs sein können.

Tausende KZ-Häftlinge sterben im Zuge der Räumung

Das Passagierschiff "Cap Arcona" bei einer Probefahrt 1927. © picture-alliance Foto: akg-images
Tausende KZ-Häftlinge starben beim Bombardement des Passagierschiffs "Cap Arcona".

Für die Häftlinge, die aus Neuengamme umverteilt werden sollen, kommt es am 3. Mai 1945 zur Katastrophe: Britische Flugzeuge versenken versehentlich die "Cap Arcona". Mehr als 7.000 Häftlinge sterben - genau an jenem Tag, an dem die Briten Hamburg besetzen.

Das Kalkül der SS hingegen geht auf: Als die britischen Soldaten am 4. Mai das KZ-Gelände Neuengamme betreten, stehen sie in einem riesigen Lager aus leeren Baracken vor. Was sich dort zugetragen hat, offenbart der Ort zunächst jedoch nicht. Erst als Angehörige der britischen Armee in den folgenden Tagen das Gelände auf geeignete Massenunterkünfte hin untersuchen, stoßen sie auf einzelne ehemalige Häftlinge, die sich dort noch versteckt halten - und den Soldaten vom Konzentrationslager erzählen.

Das KZ und das Klinkerwerk: Deal zwischen Nazis und SS

Ende 1938 wird das Lager errichtet. Wirtschaftliches Profitdenken spielt dabei eine wichtige Rolle: Der Gründung liegt ein Vertrag zwischen SS und der Stadt Hamburg zugrunde. Die Stadt stellt das Areal und einen Millionenkredit für den Aufbau zur Verfügung und erhält im Gegenzug günstig Klinkersteine für die beabsichtigte Neugestaltung Hamburgs mit monumentalen "Führerbauten" am Elbufer.

Insgesamt 106.000 Häftlinge aus vielen Ländern Europas müssen in Neuengamme Sklavenarbeit leisten: Schwerstarbeit bei der Klinkerproduktion, bei der Regulierung der Dove-Elbe, in der Rüstungsindustrie in unmittelbarer Nähe des Lagers und bei der Trümmerräumung. Zum Stammlager Neuengamme zählen bis 1945 mehr als 80 Außenlager überall in Nordwestdeutschland - zumeist bei privaten Rüstungsbetrieben. Etwa 50.000 Neuengamme-Häftlinge sterben an Unterernährung, Entkräftung und durch die Brutalität und Willkür der SS. Vernichtung durch Arbeit - das ist hier das Prinzip der SS.

Der schwierige Weg zur Gedenkstätte

Nach Kriegsende internieren die Briten NS-Funktionsträger in dem intakt vorgefundenen Lager. Ab 1948 nutzt die Hamburger Justizbehörde die Gebäude des ehemaligen KZ als Gefängnis. Für die Überlebenden ist der Lagerbereich nicht mehr zugänglich. In Justizkreisen heißt es damals: "Das Schandmal der Vergangenheit möge ausgelöscht werden" - Menschlichkeit eines modernen Strafvollzugs als Vergangenheitsbewältigung.

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Als Anfang 1951 ehemalige französische Häftlinge beim Senat um Zutritt zum Bereich des KZ-Krematoriums bitten, lehnt Hamburgs Erster Bürgermeister Max Brauer ab, weil die "Schaffung einer Wallfahrtsstätte" den Gefängnisbetrieb beeinträchtigen würde. Er fordert die Überlebenden vielmehr dazu auf, nicht mehr "an alten Wunden" zu rühren, vielmehr "die furchtbaren Entsetzlichkeiten der vergangenen Epoche [...] allmählich aus der lebendigen Erinnerung auszulöschen". Erst auf internationalen Druck wird am 18. Oktober 1953 eine schlichte Muschelkalk-Säule errichtet - jedoch ohne einen direkten Hinweis auf die KZ-Vergangenheit. Es dauert bis November 1965, der 20. Jahrestag des Kriegsendes ist längst verstrichen, bis ein würdigeres Ehrenmal am Rande des Geländes eingeweiht werden kann.

Erst Proteste führen zur Gefängnis-Verlegung

1970 nimmt die Stadt eine zweite Justizvollzugsanstalt auf dem Areal der einstigen Tongruben des KZ in Betrieb. Sie war in den Jahren zuvor errichtet worden, ohne die Häftlingsvertreter darüber zu informieren. Weiterhin gibt es vor Ort keinerlei Informationsmöglichkeiten über das KZ. Erst 1981 wird in unmittelbarer Nähe des Mahnmals ein kleines Dokumentenhaus eingeweiht.

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Den Forderungen der Überlebenden nach einem Ende des Strafvollzugs auf dem historischen Lagergelände und nach einer würdigen Gestaltung als Gedenkstätte entsprechend, beschließt die Hamburger Bürgerschaft im September 2001 einstimmig die Verlegung des 1948 eingerichteten Gefängnisses. Doch im Oktober 2001 kommt es erneut zu Irritationen. Der neu gewählte Hamburger Senat stoppt die geplante Verlegung. Erst internationale Proteste und die Überlebenden selbst können Bürgermeister Ole von Beust (CDU) davon überzeugen, an den ursprünglichen Plänen festzuhalten.

Die Verlegung des Gefängnisses erfolgt schließlich im Juni 2003. Am 4. Mai 2005 wird die neu gestaltete Gedenkstätte des KZ Neuengamme feierlich eingeweiht als Ort der Erinnerung und des Lernens. Im Februar 2006 schließt das zweite Gefängnis und wird im Mai 2007 Teil der Gedenkstätte Neuengamme.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 30.04.2021 | 19:30 Uhr

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