Gustloff-Untergang: "Da denk' ich heute noch mit Grausen dran"
Vor 76 Jahren starben beim Untergang der "Wilhelm Gustloff" mehr als 9.000 Menschen in der eiskalten Ostsee. Der Rostocker Horst Schön, heute 95 Jahre alt, überlebte die Tragödie.
Der Rostocker Horst Schön hat die Katastrophe überlebt. Vor 76 Jahren sterben mehr als 9.000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, in der eiskalten Ostsee. Ein sowjetisches U-Boot torpedierte die "Wilhelm Gustloff" auf dem Weg von Gotenhafen nach Kiel. Schön ist einer der wenigen Überlebenden, die heutzutage noch Auskunft geben können.
Aufbruch aus Gotenhafen im Januar 1945
Schön ist Funker der Kriegsmarine, stationiert in Gotenhafen/Oxhöft bei der 2. U-Boot-Lehrdivision. Er arbeitet auf der Funkstelle an Land und tastet Längswellensender ab. Alle Funksprüche, die an die Flotte gingen, wurden wiederholt. Horst Schön war der Wiederholer. Als die Rote Armee immer näher rückt, erhält er Befehl, die Technik der Funkstation in Sicherheit zu bringen, an Bord der "Wilhelm Gustloff".
Mit Staunen erkundet der junge Mann das Schiff
"Ich habe mich gewundert, was die aus so einem Urlauberschiff gemacht haben", sagt Schön. "Da waren ja echte Gemälde auf dem Schiff, goldene Anstriche. Und wie man daraus ein Lazarettschiff machte, hat man die teuren Sachen verkleidet mit Sperrholz. Dann habe ich auch schon mal was weggenommen und geguckt, was ist denn darunter? Man ist neugierig."
Sein Geburtstag wird zum Unglückstag
Es ist der 30. Januar: Die "Wilhelm Gustloff" legt ab mit über 10.000 Menschen an Bord. Marinesoldaten, Verwundeten, Marinehelferinnen und viele Flüchtlinge, etwa 8.000 Frauen und Kinder. Schön sitzt auf dem Bett in seiner Kabine und kommt zur Ruhe. Er will jetzt endlich den Kuchen seiner Großmutter probieren. Er hat Geburtstag. Er wird 19.
"... das ist keine Mine ... das sind Torpedos"
"Es knallte einmal, dann war Ruhe. Und dann: Bum, Bum hinterher." Spätestens jetzt gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren. Schön weiß, das waren die Treffer eines U-Bootes. Bei den vielen Menschen an Bord - jetzt wird es eng, jetzt muss er raus. Am Ladedeck steht schon das Wasser.
Er erinnert sich an seine Erkundungstour wenige Tage zuvor
Schön ist schiffskundig. Er hatte eine Wendeltreppe entdeckt, die die Maschinisten nutzen, um kurz mal frische Luft zu schnappen oder eine Zigarette zu rauchen. Diese Treppe führt vom Maschinenraum hoch zum Schornstein direkt aufs Deck. "Die kannte kein Flüchtling."
"Das geht mir so auf die Greten, da denke ich heute noch mit Grausen dran …"
Die "Gustloff" sinkt, das Wasser flutet mehr und mehr das Schiff. Etwa zehn Meter von Schön entfernt, geschieht das Unfassbare. Er sieht einen Offizier der Wehrmacht mit Frau und zwei Kindern, in der Hand eine Pistole. Er wird schießen. Der Offizier tötet erst seine beiden Kinder, dann seine Frau und dann sich selbst.
"Da schwimmt ja einiges auf dem Wasser …"
Die "Gustloff" neigt sich, liegt schon schräge im Wasser. Schön rutscht an der Außenwand des Schiffes hinunter ins Wasser hinein. Keine fünf Minuten in der eiskalten Ostsee, wird er in ein Rettungsboot gezogen. Rings um ihn herum: Türen und Balken im Wasser, umgekippte Boote, Koffer und auch kleine Kinder. Mehrere hat er gesehen, auch Säuglinge, kopfüber im Wasser.
Die "Gustloff" sinkt voll beleuchtet
Aus sicherer Entfernung sieht Schön die "Gustloff" untergehen. Ein letztes Mal bäumt sie sich auf, voll erleuchtet mit lautem Typhon. Ein entsetzlicher Schrei hallt über die nächtliche Ostsee. Ein Schrei der Menschen an Bord, die mit in die Tiefe gerissen werden.
"Du lebst ja weiter, Du musst ja klarkommen"
Schön hat Glück, auch die letzten Kriegsmonate übersteht er ohne größere Blessuren, zumindest äußerlich. "Ich bin froh, dass ich da rausgekommen bin. Es war ja nicht jedem vergönnt. Es kommt, wie es kommt." Schön ist heute 95 Jahre alt.