Die "Wilhelm Gustloff": Das "Traumschiff" der Nazis
Mit der "Wilhelm Gustloff" taufen die Nationalsozialisten am 5. Mai 1937 ein Kreuzfahrtschiff für die Massen. Acht Jahre später versenkt ein U-Boot das NS-Schiff mit Tausenden Flüchtlingen an Bord.
Strahlend weiß, mehr als 208 Meter lang und luxuriös ausgestattet mit Schwimmbad und Sonnendeck: Als die "Wilhelm Gustloff" am 5. Mai 1937 in Hamburg vom Stapel läuft, soll eins der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt gewesen sein. Der Riesendampfer ist ein nationalsozialistisches Prestigeobjekt: Bewusst halten die Veranstalter der NS-Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" (KdF) die Preise für die Urlaubsreisen niedrig, damit sie auch für Arbeiter erschwinglich bleiben. Nur 50 Reichsmark, nach heutiger Kaufkraft etwa 200 Euro, kostet eine fünftägige Kreuzfahrt nach Norwegen auf dem NS-"Traumschiff". So zumindest die Idee dahinter.
Autor Sascha Howind nennt das Schiff ein "Propagandainstrument für das NS-Regime", das "auch international den Eindruck von ökonomischer Leistungsfähigkeit und Friedfertigkeit zu vermitteln" versuchte. Für das 2011 erschienene Buch "Die Wilhelm Gustloff. Geschichte und Erinnerung eines Untergangs" (Hrsg.: Bill Niven) hat Howind das Kapitel "Das 'Traumschiff' für die 'Volksgemeinschaft'? Die Gustloff und die soziale Propaganda des Dritten Reiches" beigesteuert.
"Gustloff" lockt mit Schwimmbad, Theater, Bars und Salons
Auf Komfort müssen die Reisenden bei den Kreuzfahrten nicht verzichten. Neben Schwimmbad und Sonnendeck gibt es einen Theater- und Musiksaal, einen Rauchsalon, sieben Bars, ein Kino und zwei Promenadendecks, von denen das eine rundum verglast ist. Alle Kabinen liegen an den Außenseiten und sind gleich eingerichtet. Unterschiedliche Klassen gibt es nicht. Einzig die Adolf Hitler vorbehaltene "Führerkabine", die dieser allerdings nie nutzt, ist größer. Insgesamt können 1.463 Urlauber gleichzeitig an einem der begehrten Törns nach Skandinavien oder auch ins Mittelmeer teilnehmen, 417 Besatzungsmitglieder sind mit an Bord.
Benennung nach Schweizer Landesgruppenleiter Wilhelm Gustloff
Am 4. August 1936 gibt die Deutsche Arbeitsfront, der nationalsozialistische Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, das Schiff bei der Hamburger Werft Blohm + Voss in Auftrag. Eigentlich soll es den Namen "Adolf Hitler" tragen, doch der will nicht riskieren, dass ein Schiff mit seinem Namen untergeht. Er lässt den Urlaubsdampfer stattdessen nach dem Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff benennen. Der Leiter der NSDAP-Landesgruppe in der Schweiz war am 4. Februar 1936 von einem jüdischen Studenten erschossen worden. Seither ehren ihn die Nationalsozialisten als "Märtyrer der Bewegung".
"Damit der deutsche Arbeiter seine Nerven behält"
Beim Stapellauf am 5. Mai 1937 tauft die Witwe Hedwig Gustloff das Schiff auf den Namen ihres Mannes. Robert Ley, der Chef der Deutschen Arbeitsfront, erklärt in seiner Rede, was Hitler angeordnet habe: "Sorgen Sie dafür, so lautete sein Befehl, dass der deutsche Arbeiter seinen Urlaub bekommt, damit er seine Nerven behält. Es kommt darauf an, dass das deutsche Volk stark genug ist, um meine Gedanken zu begreifen."
Laut Howind spielt auch die propagierte Ideologie der "Volksgenossenschaft" eine große Rolle. Dahinter verberge "sich eine vordergründige Gemeinschaftsideologie, mit der gesellschaftliche Ungleichheiten kaschiert wurden". Die politischen Maßnahmen sollten demnach nicht die "objektiven Realitäten", sondern "das subjektive Bewusstsein" verändern. Heißt: Es wurden den Menschen soziale Verbesserungen suggeriert, die "real nicht feststelltbar waren", so der Autor.
"Utopie von einem besseren Leben erzeugt"
Auch auf der "Wilhelm Gustloff" sollten die "Reisenden das Erlebnis und den Sinn wahrer Volksgemeinschaft" vermittelt bekommen, so etwa schon bei der Inneneinrichtung. "Die einheitliche Konstruktion wurde von der Propaganda als Beweis für die Wirklichkeit des nationalsozialistischen Gedankens in der deutschen Gesellschaft bezeichnet und für das Bestreben nach Einebnung sozialer Unterschiede", schreibt Howind. Ihm zufolge hat die NS-Propaganda mit der "Wilhelm Gustloff" "Wünsche angesprochen und scheinbar erfüllt". Sie habe die Utopie von einem besseren Leben erzeugt und am Leben gehalten.
"Reportagen von der Werft, die über den weiteren Fortgang der Bauarbeiten berichteten, erweckten den Eindruck, als bauten die Arbeiter ihr eigenes Schiff; ein 'Traumschiff', das die Wünsche und Träume der 'Volksgenossen' unmittelbar anspricht." Buchautor Sascha Howind
Auch wenn die soziale Zusammensetzung der KdF-Reisenden nicht mehr eindeutig rekonstruierbar sei, wirke es plausibel, "dass für die internationalen Reisen ein eher bürgerliches Publikum angesprochen wurde", betont Howind.
Kreuzfahrt und Propaganda
Knapp ein Jahr nach dem Stapellauf ist die "Wilhelm Gustloff" fertig und legt am 23. März 1938 zur Jungfernfahrt ab. Die erste reguläre Fahrt führt das Schiff Anfang April für eine Propagandaaktion nach London. Dort können die in England lebenden Deutschen und Österreicher an Bord der "Gustloff" über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich abstimmen - der ist zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits erfolgt. Das Ergebnis ist wenig überraschend: 99 Prozent derjenigen, die zur Stimmabgabe auf das Schiff kommen, votieren laut den offiziellen Angaben für den Anschluss. Im Mai 1939 reist das Kreuzfahrtschiff erneut außerhalb des normalen KdF-Ferienprogramms: Es holt deutsche Soldaten der Legion "Condor", die auf Seiten Francos im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft haben, zurück nach Hamburg.
Kriegsbeginn: "Gustloff" wird zum schwimmenden Lazarett
Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs hat die "Gustloff" ihre Karriere als Vergnügungsdampfer nach insgesamt 44 Kreuzfahrten beendet. Die Kriegsmarine übernimmt das Schiff im September 1939 und nutzt es als schwimmendes Lazarett. Gemäß den internationalen Vorgaben erhält das KdF-Schiff einen horizontalen grünen Streifen am Rumpf und rote Kreuze am Schornstein, um als Lazarettschiff gut erkennbar zu sein. Ab November 1940 dient die "Wilhelm Gustloff" als Wohnschiff für angehende U-Boot-Matrosen. Ein marinegrauer Tarnanstrich ersetzt das Weiß mit dem grünen Streifen - damit ist der ehemalige Urlaubsdampfer fortan ein legitimes militärisches Ziel. Bis Anfang 1945 liegt das Schiff in Gotenhafen in der Danziger Bucht vor Anker.
Mehr als 9.000 Menschen sterben beim Untergang der "Gustloff"
Am 30. Januar 1945 legt die "Wilhelm Gustloff" von Gotenhafen in Richtung Kiel ab, um sich an der Evakuierung Ostpreußens zu beteiligen. An Bord des völlig überfüllten Schiffes befinden sich 10.582 Menschen. Etwa 8.800 davon sind Flüchtlinge, überwiegend Frauen und Kinder, die vor der vorrückenden Roten Armee fliehen.
Es ist die letzte Fahrt der "Wilhelm Gustloff". Um 21.16 Uhr treffen drei Torpedos eines sowjetischen U-Boots das Flüchtlingsschiff. Die "Wilhelm Gustloff" versinkt in der eisigen Ostsee. 9.343 Menschen finden den Tod - die Hälfte davon sind Kinder. Der Untergang der "Wilhelm Gustloff" gilt als größte Schiffskatastrophe der Welt.
Hinweis:
Die Versenkung der "Wilhelm Gustloff" ist nach Einschätzung von Experten nicht als Kriegsverbrechen anzusehen. Grund: Das Schiff hatte Soldaten an Bord, war mit Flak ausgestattet und fuhr abgeblendet unter Geleitschutz. Die Bombardierung war eine Folge des vom Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkriegs, wie der 2019 verstorbene Hamburger Historiker Axel Schildt im Gespräch mit dem NDR betonte.