Die Grünen: Als die Protestler vor 45 Jahren zur Partei wurden
Als am 12. und 13. Januar 1980 die 1.000 Delegierten zum Gründungsparteitag der Bundesgrünen in Karlsruhe zusammenkommen, treffen Menschen unterschiedlicher Bewegungen aufeinander. Was sie eint, ist der Protest.
Doch lässt sich aus Mitgliedern von Anti-AKW-Gruppen, der Friedensbewegung, Fraueninitiativen und der Studentenbewegung der funktionierende Apparat einer Partei gründen? Der Hamburger Thomas Ebermann ist am 13. Januar 1980 beim offiziellen Gründungsbeschluss der Grünen auf Bundesebene mit dabei und blickt 2020 für den NDR zurück.
Die Abtreibungsgegner stritten mit den -befürwortern
"Ich war damals angespannt, weil nicht ganz sicher war, ob Leute wie ich dort mitmachen dürfen", erinnert sich Ebermann an die Parteigründung 1980. Denn in Karlsruhe stritten die Konservativen mit den Linken. Die Abtreibungsgegner mit den -befürwortern. 35 Stunden Woche: ja oder nein? Und: Welche Strömung sollte in der neuen Partei das Sagen haben?
Ebermann selbst gehörte damals als Kommunist zur Bunten Liste in Hamburg. "Diese Bunte Liste war eher ein Zusammenschluss von allem, was in Hamburg links, alternativ, kapitalismuskritisch war. Anti-AKW-Bewegung, Hausbesetzer, Knast-Kritiker, Frauenaktivisten, Kritiker der Verkehrspolitik." In allen norddeutschen Bundesländern habe es untereinander konkurrierende grüne Gruppen gegeben.
"Gegenmilieu zu allen existierenden Parteien"
"Wir hatten uns nicht alle lieb, sondern stritten miteinander", sagt Ebermann rückblickend. "Trotzdem hatten wir das Gefühl, wir bilden ein Gegen-Milieu, das von allen existierenden Parteien nicht repräsentiert wird." Und so kommt es in Karlsruhe tatsächlich zur Einigung. Die linken Kräfte setzen sich in allen entscheidenden Punkten gegen die konservativen Kräfte durch.
Die Grünen werden zur neuen Kraft im Parteiensystem
Mit der Gründung der Grünen kann sich erstmals seit den 1950er-Jahren eine neue Kraft im bis dahin geschlossenen Parteiensystem der Bundesrepublik etablieren. In ihrem Bundesprogramm beschreiben sich Die Grünen als "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei".
Grüne ziehen 1983 erstmals in den Bundestag ein
Der Einzug in den Bundestag scheitert 1980 mit gerade einmal 1,5 Prozent der Wähler-Stimmen. Doch nach der vorgezogenen Bundestagswahl 1983 ziehen die ersten Grünen mit 5,6 Prozent ins Parlament ein - und fallen sowohl durch ihren provokativen Politik-Stil als auch bunte Strickpullis auf.
"Sie wollten Sand im Getriebe sein"
Die Grünen wollen damals Sand im Getriebe sein, so Ebermann 2020. Ein Störfaktor. Und setzen auch bei der jeweils eigenen Rolle in der Partei strenge Prinzipien an: "Wir gehorchen der Mehrheit einer Mitgliederversammlung. Facharbeiterlohn. Keiner kann durch die Arbeit reich oder wohlhabend werden." Auch die Rotation der Ämter ist Anfang der 1980er-Jahre ein wesentliches Element in der politischen Arbeit der Grünen: "Wir wollen keine herausragenden Persönlichkeiten, die uns für immer repräsentieren und auf ihre Weise auch unersetzbar werden", sagt Ebermann über die Maximen.
Von der Anti-Parteien-Partei zur Verbürgerlichung
Über die Jahre jedoch hätten sich die Grünen stark gewandelt, sagt Michael Lühmann, Politikwissenschaftler aus Göttingen 2020 über die Partei: "Sie ist gestartet als Anti-Parteien-Partei und ist damit ja auch relativ schnell in den Bundestag gekommen." Es folgten konfliktreiche 80er-Jahre. Und während der Wende 1989/90, als sich die deutsche Einheit anbahnte, habe es innerhalb der Partei einen "Häutungsprozess" gegeben: Der radikale linke Flügel sei weggebrochen. Übrig blieb "im Prinzip eine auf Regieren und Mitmachen ausgerichtete bürgerliche Partei. Eine verbürgerlichte Partei", so Lühmann.
Spaltung von Friedensaktivisten und Kriegsunterstützern
In dieser Zeit tritt auch der Radikallinke Thomas Ebermann aus. Die Partei wird ihm wie vielen anderen zu regierungsnah. Real-Politiker wie Joschka Fischer haben nun das Sagen. Die Grünen bekommen hohe Ämter in Landesregierungen und Bundesregierung. Und stimmen Bundeswehreinsätzen in Kriegsgebieten zu.
"Lasst uns zurückkehren zu unseren friedenspolitischen Wurzeln, bündnisgrün statt olivgrün", fordern Grünen-Mitglieder auf dem Sonderparteitag zum Kosovokrieg 1999. Ein Farbbeutel trifft Joschka Fischer am Kopf. "Mit Sprechchören, mit Farbbeuteln wird diese Frage nicht gelöst werden. Ich hätte mir auch nicht träumen lassen, dass wir Grüne unter Polizeischutz einen Parteitag abhalten müssen", reagiert Fischer anschließend in einer Rede darauf.
Grüne Anfang der 2020er-Jahre erfolgreich wie nie
Thomas Ebermann schaut mit Abstand auf die Partei, die er 1980 mitgegründet hat. "Heute sind die Grünen eine durch und durch angepasste Partei", sagt er. Eine Partei, die 2020, im Jahr des Gesprächs mit dem NDR, mit Umfragewerten von zum Teil deutlich mehr als 20 Prozent so erfolgreich ist wie nie. Auch noch 2022 erzielen die Grünen bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Rekordergebnisse.
Krise in der Ampelkoalition
Davon sind die Grünen Anfang 2025 weit entfernt. Vor der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar liegt die Partei laut Infratest dimap derzeit bei nur noch rund 14 Prozent. Warum ist das so? Schon seit Langem stehen die Grünen massiv in der Kritik, die Koalition im Bund mit SPD und FDP macht die Sache nicht einfacher. Ihnen haftet inzwischen das Image der "Verbotspartei" an. Kritiker - vor allem aus den Reihen der Union und der AfD - werfen der Partei vor, ideologisch getrieben zu sein. Als Kipppunkt wird das Heizungsgesetz im März 2023 angesehen. Das Gesetzesvorhaben trifft auf eine durch Corona, Kriege und Klimakrise gestresste Gesellschaft. Die Vorschläge zum klimafreundlichen Heizungsaustausch wirken zunächst unausgegoren und unzureichend kommuniziert. Die Bürger sind überfordert und äußern ihren Unmut immer wieder öffentlich.
Immerhin: Die prognostizierten 14 Prozent entsprechen knapp dem Ergebnis der Bundestagswahl 2021, als die Grünen 14,7 Prozent der Stimmen bekamen.
* Die Urfassung dieses Beitrags wurde bereits 2020 veröffentlicht.