VIDEO: Die Geschichte der Nordsee (4 Min)

Die Grote Mandränke: Schicksalhafte Fluten 1362 und 1634

Stand: 11.10.2024 00:00 Uhr

Sturmfluten begleiten die Geschichte Schleswig-Holsteins seit jeher. 1362 und 1634 verwüsten zwei verheerende Sturmfluten die Nordseeküste, bekannt als Grote Mandränke - das große Ertrinken. Sie formen den Küstenverlauf neu.

von Susanne Abolins-Aufderheide

"Wer nicht deichen will, muss weichen". Diese Erkenntnis besitzt an der Nordsee seit Jahrhunderten Gültigkeit. Sturmfluten, hervorgerufen durch ausgeprägte Sturmtiefs und starke Nordweststürme, bedrohen nach wie vor die Küste.

Vor mehreren Hundert Jahren existiert die zerrissene Landschaft der nordfriesischen Inseln noch nicht. Husum ist eine noch unbedeutende Siedlung im Landesinnern. Von Sylt bis zur Höhe der Eidermündung zieht sich ein natürlicher Sanddünenwall, angeschwemmt nach der letzten Eiszeit, der das tief liegende Marschland von der Nordsee abgrenzt. Seit der ersten Jahrtausendwende schützen sich Menschen, die hier siedeln, zusätzlich mit Deichen.

Nordfrieslands Küstenlinie erhält ihr heutiges Gesicht

Nordseeküste Schleswig-Holsteins © Föhr Tourismus GmbH Foto: Föhr Tourismus GmbH
So sieht die Nordseeküste erst seit dem Mittelalter aus, als zwei Sturmfluten die Küstenlinie verändern.

Doch seit dem späten Mittelalter steigt der Meeresspiegel kontinuierlich an. Es vergeht kein Jahrhundert ohne katastrophale Überschwemmungen. Besonders verheerend sind die Sturmfluten der Jahre 1362 und 1634, die die Nordseeküste Schleswig-Holsteins verwüsten. Sie verändern den Küstenverlauf grundlegend - die heutige Küstenlinie wird geformt.

Januar 1362: Zweite Marcellusflut vernichtet Land und Leben

Die erste Grote Mandränke, auch Zweite Marcellusflut genannt, ereignet sich am 16. Januar 1362. Die Wellen schlagen mehr als zwei Meter über die Deichkronen. Laut dem Chronisten Anton Heimreich brechen an der nordfriesischen Küste 21 Deiche. 100.000 Menschen sollen ums Leben gekommen sein - eine Zahl, die wahrscheinlich übertrieben ist.

Stürmische Nordsee © dpa
AUDIO: Was geschah am 16. Januar 1362? (2 Min)
Fundstücke im NordseeMuseum © dpa Foto: Horst Pfeiffer
Die Siedlung Rungholt geht bei der Flut 1362 unter. Das NordseeMuseum Husum zeigt Fundstücke von dort.

Zerstörerisch nagen die Fluten vor allem an Alt-Nordstrand. Die Siedlung Rungholt geht zusammen mit sieben anderen Gemeinden im nordfriesischen Wattenmeer unter. Rungholt wird mit der Zeit zum mythischen Ort, bis das Meer Anfang des 20. Jahrhunderts im Watt Überreste von Warften, Gebäuden und Zisternen freispült.

Die Marcellusflut spaltet Südfall als erste Hallig von Alt-Nordstrand ab. Husum liegt nun an der Küste und hat Zugang zur weiten Welt. Ein Markt wird errichtet und ein Hafen angelegt. Innerhalb von Jahrzehnten erblüht Husum zur geschäftigen Handelsstadt.

Die tosende Nordsee brandet gegen den Fähranleger in Dagebüll. © dpa Foto: Carsten Rehder
AUDIO: 1362: Marcellusflut wütet an der Nordseeküste (6 Min)
Weitere Informationen
Exponat aus der Sonderausstellung "Rungholt.rätselhaft und widersprüchlich" in Husum © Boris Roessler/dpa Foto: Boris Roessler

Rungholt und der Mythos über Nordfrieslands "Atlantis der Nordsee"

Der Untergang des Ortes soll eine Strafe Gottes gewesen sein. Erst vor Kurzem fanden Forscher heraus, wo das nordfriesische Rungholt lag. mehr

Deichbau wird neu organisiert

Probleme aber haben die Marschbauern: In der Flut gehen große Flächen Kulturland verloren. Die Menschen versuchen nun, durch organisierten Deichbau dem Meer das verlorene Land wieder abzuringen. Bislang hatte man nur niedrige, sogenannte Sommerdeiche gebaut, die für die zumeist weniger starken Sturmfluten im Sommer ausreichten. Vor den Gewalten des Meeres schützen in erster Linie Warften - künstlich aus Erde aufgeschüttete, meist kreisrunde Besiedlungshügel.

Oktober 1634: Burchardiflut zerstört die Insel Strand

Die Wirkung der Marcellusflut bleibt als so verheerend in Erinnerung, dass die Sturmflut am 11. und 12. Oktober 1634 zweite Grote Mandränke genannt wird. Die Sturmflut, auch als Burchardiflut bezeichnet, verwüstet die Küste bis hinunter zur Elbmündung. Laut den damaligen Chronisten erreicht das Meer einen Stand von etwa vier Metern über dem mittleren Tidehochwasser - zum Vergleich: Bei der großen Januarflut im Januar 1976, die als eine der höchsten Sturmflut an nahezu allen Pegeln der deutschen Nordseeküste in die Geschichte eingeht, werden in Husum 4,11 Meter gemessen.

Obwohl die Deiche schon erheblich verbessert worden sind, brechen sie diesmal an mehreren Hundert Stellen. In Nordfriesland kommen nach historischen Belegen 8.000 Menschen um, vermutlich gibt es sogar doppelt so viele Opfer. Zigtausende Stück Vieh verenden in den Wassermassen. Die Insel Strand (Alt-Nordstrand) wird in Pellworm, die Halbinsel Nordstrand und die Hallig Nordstrandischmoor zerrissen. Der Norderhever entsteht, ein großer Priel - ein im Watt bis zu 30 Meter tief eingegrabener Fluss. Die Halligen Nübbel und Nieland versinken im Meer.

Niederländer helfen bei der Eindeichung

Herzog Friedrich III. befiehlt den Inselbewohnern, die Deiche möglichst umgehend wieder aufzubauen. Auf Pellworm gelingt das 1637. Auf Nordstrand leben viele Bauern weiter auf Warften, zahlreiche Überlebende verlassen aber nach der zweiten Groten Mandränke ihre Heimat und ziehen auf das Festland. Der Herzog holt zur Eindeichung Hilfe aus den Niederlanden. Bald ist ein Drittel der Fläche von Alt-Nordstrand wiedergewonnen.

Weitere Informationen
Kupferstich eines Deichbruchs mit Ertrinkenden aus dem 17. Jahrhundert. © Wikimedia Commons

Als die erste Marcellusflut an der Nordseeküste wütete

Die Marcellusflut kostet 1219 Tausende Menschen das Leben. Es ist die erste Sturmflut, von der ein Augenzeugenbericht existiert. mehr

Fundstücke im NordseeMuseum © dpa Foto: Horst Pfeiffer

Rungholt und der Mythos über Nordfrieslands "Atlantis der Nordsee"

Der Untergang des Ortes soll eine Strafe Gottes gewesen sein. Erst vor Kurzem fanden Forscher heraus, wo das nordfriesische Rungholt lag. mehr

Zeitgenössischer Stich der Weihnachtsflut von 1717. © Wikimedia Commons

Weihnachtsflut 1717: Die Katastrophe kam an Heiligabend

In der Heiligen Nacht kam der Tod: Eine schwere Sturmflut kostet Weihnachten 1717 Tausende Menschen das Leben. mehr

Historisches Dokument mit Szene von der Sturmflut auf Wangerooge an Neujahr 1855 © Sammlung Erik Kohl

1855: Die Nacht, in der die Flut Wangerooge zerriss

In der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 1855 überschwemmt und zerstört eine Sturmflut große Teile der Insel Wangerooge. Auch in Hamburg brechen die Deiche, vier Menschen sterben. mehr

Blick auf ein Rettungsfahrzeug und Schlauchboote in der überfluteten Veringstraße in Hamburg-Wilhelmsburg nach der Sturmflut 1962. © NDR Foto: Karl-Heinz Pump

Die Sturmflut 1962 - Land unter in Hamburg

Vom 16. auf den 17. Februar 1962 wütet in Hamburg eine schwere Sturmflut. Deiche brechen, 315 Menschen sterben. Ein Dossier. mehr

Deichschau nach der Sturmflut 1962 © NDR Foto: Wohlenberg, Erich

Sturmflut 1962: Deiche brechen in Schleswig-Holstein

Überschwemmte Halligen, gebrochene Deiche: Die schwere Flut vom 16. und 17. Februar 1962 hat massive Schäden an Nordseeküste und Elbe hinterlassen. mehr

Feuerwehrleute gehen über einen Schutzdamm aus Sandsäcken. © NDR Foto: Lars Gröning

Land unter: Die Jahrhundertflut an der Elbe

Starkregen lässt Elbe und Nebenflüsse im Sommer 2002 extrem anschwellen. Am 21. August erreicht die Flutwelle Norddeutschland. mehr

Luftaufnahme vom Hamburger Umland nach der Sturmflut 1962 © dpa/ picture alliance Foto: UPI

Die schwersten Stürme und Fluten in Norddeutschland

Tote, Verletzte, Milliardenschäden: Immer wieder ziehen heftige Orkane über den Norden hinweg - diese werden den Menschen in Erinnerung bleiben. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Hellwach | 16.01.2019 | 05:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Mittelalter

Mehr Geschichte

Für fünf Tage, bis zum 30. Dezember 1974, hatte die Hamburger Baubehörde zwei der drei neuen Elbtunnelröhren zur Besichtigung frei gegeben. © picture-alliance / dpa Foto: Lothar Heidtmann

Vor 50 Jahren: Tausende Hamburger besichtigen Neuen Elbtunnel

Vom 26. bis 30. Dezember 1974 feiern 600.000 Hamburger ein Tunnelfest unter der Elbe. Die Bauarbeiten hatten 1968 begonnen. mehr

Norddeutsche Geschichte