Die Internistin Mechthild Bach mit ihrem Anwalt Matthias Waldraff zu Verhandlungsbeginn am 18. Januar 2011 in einem Gerichtssaal im Landgericht Hannover. © picture alliance / dpa Foto: Peter Steffen

Mechthild Bach: Wie ein Medizinprozess in den Tod führte

Stand: 25.01.2021 00:00 Uhr

Der Fall Mechthild Bach gehört zu den spektakulärsten Medizinprozessen der jüngeren Geschichte. Zermürbt von Akten, Gutachten und Mordvorwürfen nimmt sich die Krebsärztin am 24. Januar 2011 das Leben.

von Stefanie Grossmann

Die öffentliche Geschichte der Ärztin Mechthild Bach beginnt in Langenhagen bei Hannover. Dort führt die promovierte Internistin seit 1989 eine Praxis mit dem Schwerpunkt Krebsmedizin. In der nahegelegenen Paracelsus-Klinik unterhält sie Belegbetten. Als Oberärztin in dem Krankenhaus hat sie ihre Kenntnisse unter anderem beim Onkologen Hans Nieper erworben, dem Leiter der Klinik "Am Silbersee". Er gilt zu dieser Zeit als führend in der alternativen Krebsmedizin. In Langenhagen lassen sich damals sogar so prominente Patienten wie Yul Brynner und Ronald Reagan behandeln.

Krebstod der Mutter prägt Mechthild Bach nachhaltig

Ursprünglich will die Tochter aus einem christlich geprägten Elternhaus in Wuppertal gar nicht Ärztin werden, Mechthild Bach studiert zunächst Architektur und Mathematik. Als ihre Mutter an Krebs erkrankt, wechselt sie ins Studienfach Medizin - getragen von dem Gedanken zu helfen. Nach dem Krebstod der Mutter setzt sich Bach intensiv mit dem Thema Tod und Sterben auseinander - zu einer Zeit, in der Patienten in Kliniken häufig noch alleingelassen sterben, in die sprichwörtliche Besenkammer abgeschoben werden. Bachs Ziel ist es, einen menschenwürdigen Umgang mit dem Tod zu finden. Für sie gehört das Sterben zum Leben dazu: Wichtig sei, dass es in Würde passiere, angst- und schmerzfrei, sagte sie selbst. so die Ärztin in der NDR Dokumentation "Der Fall Mechthild Bach" von Anfang November 2011.

Hannover ist "weißer Fleck" in Sachen Palliativmedizin

Die Paracelsus Klinik in Langenhagen bei Hannover © picture-alliance / dpa Foto: Peter Steffen Holger Hollemann
Für viele unheilbar Krebskranke war die Paracelsus-Klinik die letzte Station.

Deutschland ist im Bereich der Palliativmedizin in den 90er-Jahren noch Entwicklungsland. Andere europäische Länder wie etwa Großbritannien sind da schon viel weiter und haben sogar gesetzliche Grundlagen geschaffen haben. Erst 2003 gibt es an der Uni Aachen den ersten Lehrstuhl für Palliativmedizin. In Hannover und Umgebung gibt es keine Angebote. So wird Mechthild Bach in Langenhagen die inoffizielle Anlaufstelle für unheilbar Kranke. Kollegen schätzen die Ärztin wegen ihres Einfühlungsvermögens. Zu ihnen gehört auch Prof. Wolfhard Winkelmüller. Der Neurochirurg und Pionier in der Schmerztherapie überlässt Bach seine Patienten gerne, denn Unheilbare und austherapierte Krebskranke würden nicht selten von Klinik zu Klinik abgeschoben worden. "Wir waren dankbar, dass es diese Klinik gab, dass uns Frau Doktor Bach diese Patienten abnahm", sagt der Mediziner in der Dokumentation "Der Fall Mechthild Bach", für die der NDR kurz nach Bachs Tod mit zahlreichen Wegbegleitern und Prozessbeteiligten gesprochen hat.

Weggefährten bescheinigen Bach großes Engagement

Mechthild Bach ist beliebt bei ihren Patienten und Mitarbeitern. Sie habe sich um jeden gekümmert, nicht nur um sich selbst, sagt etwa ihre ehemalige Sprechstundenhilfe Petra Schoebel in der Dokumentation. Bachs Engagement habe sie bewundert. 14 bis 16 Stunden am Tag habe sich die Ärztin ihren Patienten gewidmet, auch den Sterbenskranken. Bach versucht das Leiden ihrer Patienten damals mit einem ganzheitlichen Ansatz zu lindern. Eine Patientin habe noch 17 Jahre gelebt, nachdem Bach sie auch mit Misteltherapie, Vitaminen und Spurenelementen behandelt habe, so Schoebel. 

Mechthild Bach gerät ins Visier der AOK Niedersachsen

Die Internistin Mechthild Bach in ihrer Praxis (2003). © picture-alliance / dpa Foto: Peter Steffen Holger Hollemann
Eine Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, wird Mechthild Bach lange verwehrt.

Doch Mechthild Bach streitet sich oft mit den Kassen über die Übernahme der Kosten. Und so gerät das Leben der Ärztin ab Mai 2003 aus den Fugen, als die AOK Niedersachsen die Klinik genauer unter die Lupe nimmt. Grund sind die hohen Todeszahlen in Verbindung mit dem Einsatz von Morphium. Die Krankenkasse setzt einen verdeckten Ermittler ein. Im September erstattet der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) Strafanzeige wegen Verdachts auf aktive Sterbehilfe in 78 Fällen. Die Staatsanwaltschaft Hannover beschlagnahmt daraufhin alle Patientenakten. Die Vorwürfe treffen Mechthild Bach wie aus dem Nichts. Eine Chance, Stellung zu nehmen, bekommt sie nicht - sie wendet sich stattdessen an die Medien. Bei der Bezirksregierung sei ihr kein Anhörungsrecht gewährt worden, erklärt sie. Auch das Verwaltungsgericht habe ein Gespräch abgelehnt. Die Klinik steht unterdessen hinter ihr und bittet beim MDK mehrfach und auch bei der Staatsanwaltschaft um ein klärendes Gespräch - vergeblich.

Verteidiger Waldraff kritisiert Menschenrechts-Verstöße

"So wie dieses Verfahren gegen Mechthild Bach begann, hat es sich dann auch mit massiven Verstößen gegen europäisches Menschenrecht und die Verfassung fortgesetzt", sagt ihr Verteidiger Matthias Waldraff vor einigen Jahren rückblickend über den Fall. "Sie konnte sich gegen die massiven Vorwürfe, die sie überrollten, gar nicht zur Wehr setzen", so der Strafverteidiger weiter. Bach verliert ihre Approbation. Trotzdem hofft sie, schnell wieder arbeiten zu können. Doch es kommt anders.

Sachverständiger Schwartau bringt "Intoxikation" ins Spiel

Der MDK setzt den Sachverständigen Manfred Schwartau auf den Fall. Der ehemalige Kardiologe, der sich dafür rühmt, betrügerischen Ärzten auf die Spur zu kommen, liefert ein Motiv: Habgier. Mechthild Bach soll Patienten länger als nötig in der Klinik gehalten haben, um Krankenkassenbeiträge zu kassieren. "Fehlbelegung" heißt das im Fachjargon. Um einer Fehlbelegungs-Prüfung zu entgehen, habe Bach Patienten durch "Intoxikation" sterben lassen.

Justiz und Medien stürzen sich auf Mechthild Bach

Staatsanwaltschaft und auch die Medien stürzen sich auf den Fall Mechthild Bach. Bald bekommt die unscheinbar wirkende Ärztin von der Boulevardpresse, aber auch von seriösen Blättern den Stempel des "Todesengels" oder der "Skandalärztin" aufgedrückt. "Ich habe Sterbebegleitung gemacht und sonst gar nichts", kontert Bach die Vorwürfe in der "Neuen Presse". Sie habe niemanden getötet. Doch ihre Erklärungsversuche helfen ihr nicht: Ihr Name ist mit Tod verbunden - und der Angst vor eigenmächtiger Sterbehilfe.

Ärztin Bach erlebt im Gefängnis Mobbing

Rund 500 Bürger und Patienten nehmen am 27.2.2004 in Langenhagen bei Hannover an einem Protestmarsch gegen die Verhaftung der unter Totschlagsverdacht stehenden Ärztin Mechthild B. teil. © picture-alliance / dpa Foto: Peter Steffen Holger Hollemann
Bei Patienten stieß die Verhaftung Bachs auf Unverständnis: Sie demonstrierten vor der JVA Hannover und nahmen wie hier an Protestmärschen teil.

An einem Februarmorgen 2004 stehen Polizeibeamte vor Bachs Tür und verhaften sie. Wegen des Verdachts auf Totschlag kommt die Ärztin in Untersuchungshaft in die Strafvollzugsanstalt Hannover. "Sie landet in einer Vier-Bett-Zelle, mit Kleinkriminellen und Prostituierten, die Kette rauchen und hämische Bemerkungen machten, wenn 'Frau Doktor' versuchte, Akten zu lesen und ihrem Anwalt zu schreiben", schreiben die ehemaligen HAZ-Journalisten Gabi Stief und Hans-Peter Wiechers im Buch "Der Mordverdacht". Im Gefängnis erlebt sie "die schlimmste Zeit ihres Lebens", so Mechthild Bach später. Nach 22 Tagen kommt sie gegen eine Kaution von 40.000 Euro frei, der Haftbefehl bleibt bestehen, einmal in der Woche muss sie sich auf dem Polizeirevier melden.

Justiz-Skandale flankieren erstes Verfahren gegen Bach

Die Erlebnisse verändern den Menschen Mechthild Bach. Die ehemals toughe Ärztin zerbricht innerlich langsam, wie Kollegen und Freunde feststellen. Sie darf nicht arbeiten, hat kein Einkommen, muss deshalb ihre Praxis verkaufen. Erst vier Jahre nach Ende der U-Haft wird im Februar 2008 das Verfahren wegen achtfachen Totschlags eröffnet. Auch weil der Sachverständige der Staatsanwaltschaft, Prof. Michael Zenz, mehr als fünf Jahre für sein Gutachten braucht - von Oktober 2003 bis Mai 2008, als er schließlich seine letzte Expertise vorlegt. Dafür sind Zeugen mittlerweile verstorben. Doch noch immer hegt Mechthild Bach die Hoffnung, sich endlich erklären zu können. Nach nur sechs Monaten platzt der Prozess allerdings, weil ein Richter erkrankt ist und das Gericht es versäumt hat, einen Ersatz zu benennen.

Doch das ist nicht der einzige Punkt, an dem sich die Justiz nicht mit Ruhm bekleckert. Ein weiterer Richter gilt als befangen: "Wie im Verlauf der Verhandlung bekannt wurde, hatte einer der drei Richter bereits vor Prozessbeginn seiner Ex-Ehefrau am Telefon anvertraut, dass er die Angeklagte für hundertprozentig schuldig halte, Patienten vorsätzlich totgespritzt zu haben. Er hatte Mechthild Bach zwar noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen; aber er kannte die ersten Gutachten", schreiben Stief und Wiechers.

Zweites Verfahren "wird mit großer Aggressivität geführt"

Anderthalb Jahre später, im Oktober 2009, beginnt das Verfahren am Landgericht Hannover von Neuem. Mittlerweile werden der Angeklagten 13 Fälle wegen Totschlags vorgeworfen. Der Prozess unter Richter Wolfgang Rosenbusch "wird mit großer Aggressivität geführt", sagt Hans-Ludwig Schreiber später. Der ehemalige Richter und Referent im niedersächsischen Justizministerium ist Medizinethiker in Sachen Sterbehilfe und beobachtet den Prozess aufmerksam. Ihm scheint es, als sollte das Grundthema Sterbehilfe anhand dieses Falls gründlich aufgearbeitet werden, so Schreiber in der NDR Dokumentation.

Lukas Radbruch von der Uni Aachen bescheinigt Mechthild Bach fachliche Kompetenz - und, dass sie keine zu hohen Dosen verabreicht hat. Allerdings weise ihre Dokumentation Lücken auf: Es fehlen Einverständniserklärungen oder Schmerz-Aufzeichnungen von Patienten.

Die Schlacht der Sachverständigen vor Gericht

Die Internistin Mechthild Bach sitzt am Dienstag (18.01.2011) mit ihrem Anwalt Matthias Waldraff zu Verhandlungsbeginn in einem Gerichtssaal im Landgericht in Hannover. © picture-alliance / dpa Foto: Peter Steffen Holger Hollemann
Mechthild Bach und ihr Verteidiger Matthias Waldraff mussten zusehen, wie die Gutachter den Prozess dominierten.

Die Fehler in der Dokumentation werden Mechthild Bach zum Verhängnis: Sachverständiger Schwartau geht in seinem Gutachten davon aus, sie habe heimlich gehandelt, gar perfide und grausam. Das Gericht verlässt sich auf dieses Gutachten - dabei ist Manfred Schwartau als Sachverständiger nicht unumstritten. Mehrfach hatten Ärzte nach seinen Begutachtungen ihre Existenzgrundlage verloren. Der Winsener Methadon-Arztes Hans-Jürgen Quathamer beging nach Anklage, Approbationsentzug und Honorar-Rückforderungen von 660.000 Euro Ende 2009 Suizid.

Bachs Anwälte stellen Befangenheitsanträge - doch die Richter lehnen ab. Stattdessen nehmen die Sachverständigen Schwartau und Zenz immer mehr Raum ein, Beobachter sehen den Prozess von ihnen dominiert. Auf den Verteidiger Waldraff wirkt die Staatsanwaltschaft in dem Verfahren nur noch wie Beiwerk der Gutachter: "Sie haben im Gerichtssaal faktisch die Rolle des Chefanklägers übernommen." Als Gegengutachter tritt der prominente Schmerzmediziner Rafael Dudziak auf. Er soll untersuchen, ob die von Mechthild Bach verabreichten Morphin-Dosen tödlich waren. Sein Ergebnis: negativ. Die Ärztin habe niemanden töten wollen. Doch der zurückhaltende, wenig wortgewandte Dudziak kann gegen den eloquenten Zenz nicht punkten. Das Gericht würdigt keines seiner Argumente.

Die Gutachter im Fall Mechthild Bach

Drei Gutachter bestimmen das Verfahren im Fall Mechthild Bach. Aber auch weitere Sachverständige treten vor Gericht auf.

Zwischenbilanz des Gerichts: Verurteilung wegen Mordes?

Der Prozess gegen Mechthild Bach zieht sich in die Länge. Freunde, Bekannte und selbst Politiker erheben deshalb schwere Vorwürfe gegen die Justiz. Die Dauer des Verfahrens sei menschenunwürdig gewesen, so der damalige Präsident des Niedersächsischen Landtags, Jürgen Gansäuer. "Hier ist so ziemlich alles schief gegangen, was hätte schief gehen können", resümiert Deutschlands führender Medizinjurist Professor Dr. Hans-Ludwig Schreiber 2011 in der NDR Dokumentation. Am 18. Januar 2011 zieht die Strafkammer eine sogenannte Zwischenbilanz und sieht die Vorwürfe gegen die Ärztin in allen verhandelten Fällen für bestätigt. Und: In zwei Fällen hält das Gericht sogar eine Verurteilung wegen Mordes aus Heimtücke für möglich. Diese beiden Patienten hätten nicht gewusst, dass sie sterben sollten, so Richter Wolfgang Rosenbusch. Eine Verurteilung wegen Mordes würde für Bach eine lebenslange Freiheitsstrafe bedeuten.

Mechthild Bach verliert die Hoffnung und ihren Lebensmut

Porträt der Ärztin Mechthild Bach steht am Freitag (04.02.2011) während der Trauerfeier neben ihrem Sarg in der Elisabethkirche in Langenhagen (Region Hannover). © picture-alliance / dpa Foto: Peter Steffen Holger Hollemann
Die Aussicht, nie mehr als Ärztin arbeiten zu dürfen, hat Mechthild Bach jeden Lebensmut genommen.

"Öffentlich seziert" zu werden, wie es ihr Anwalt Waldraff es später nennt, hält Mechthild Bach nicht mehr aus. Die Krebsärztin habe ihren Patienten immer nur die Schmerzen nehmen wollen, hatte sie im Verfahrens immer wieder beteuert. Und fragt, warum für sie nicht der rechtliche Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" gelte. Die Ärztin ist gegen Ende des Verfahrens physisch und psychisch ruiniert, ihr Leben zerrieben von Akten, Gutachten und dem Mammutprozess. "Es ist so kalt geworden aus dieser Welt", schreibt sie in einer E-Mail. In Abschiedsbriefen an ihre Freunde resümiert sie: "Ich gehe mit reinem Gewissen." Wenige Tage nach der gerichtlichen Zwischenbilanz nimmt sich die 61-Jährige in ihrem Haus in Bad Salzdetfurth das Leben. Mehr als 500 Weggefährten, Freunde und Patienten nehmen in Langenhagen Abschied von ihr. Sie sei an einer Überdosis Justiz gestorben, so ihre Freunde. Mehr als 70 Prozesstage und acht Jahre Anklage lagen da hinter ihr. Das Verfahren "Bach" hat sie so auf ihre Weise abgeschlossen.

Fall Bach forciert Diskussion um Sterbehilfe

Nach dem Tod von Mechthild Bach werden die Akten geschlossen, viele Fragen bleiben offen. Auch den Angehörigen der verstorbenen Patienten fehlt die Gewissheit, warum ihre Familienmitglieder gestorben sind, wie die Anwältin Martina Zerling-Andersen gegenüber dem epd nach Bachs Suizid berichtet. Sie hatte zwei Nebenklägerinnen in dem Verfahren vertreten.

Doch der Fall hat die Diskussion über Sterbebegleitung und auch Sterbehilfe vorangebracht. Palliativmedizin steckt nicht mehr in den Kinderschuhen, heute gibt es spezielle Stationen in Kliniken, ambulante Palliativ-Versorgung durch Hausärzte und Hospize. Noch zu Bachs Zeiten wurden Schmerzmittel sehr zurückhaltend verabreicht. Die gezielte Gabe von Opioiden wie Morphium gehört inzwischen zur Routine in der Schmerztherapie, auch weil es Patienten im Sterbeprozess die Luftnot nimmt. Allerdings wird offen darüber gesprochen und im Team entschieden, auch um sich rechtlich abzusichern. Es hat sich viel bewegt.

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