Als Hamburg eine Universität bekam
"Als ich 1909 nach Hamburg kam, musste man in den meisten Kreisen sehr vorsichtig von einer Universität sprechen; sehr einflussreiche Leute sahen in ihr nicht nur etwas Überflüssiges, sondern ein Bleigewicht für die wirtschaftliche Stoßkraft Hamburgs, das alle seine Mittel dem Hafen zuwenden sollte", schreibt der Stadtplaner Fritz Schumacher in seinen Memoiren. Die Einrichtung einer Universität polarisiert im frühen 20. Jahrhundert die Hansestadt. Doch schließlich können sich die Befürworter durchsetzen: Vor 100 Jahren, am 10. Mai 1919, wird die "Hamburgische Universität" feierlich eröffnet.
Widerstand gegen Universitätsgründung ist anfangs groß
Bereits im 19. Jahrhundert hatten einzelne Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft die Gründung einer Universität gefordert. Zu den hartnäckigsten Befürwortern gehört Werner von Melle, der ab 1900 dem Hamburger Senat angehört und ab 1915 Erster Bürgermeister der Stadt ist. Doch er scheitert zunächst am Widerstand der Bürgerschaft. Nicht nur die Kaufmannschaft will Hamburg auf seine Rolle als Handelsmetropole beschränkt wissen. Auch einige Professoren der bereits bestehenden wissenschaftlichen Einrichtungen - etwa des Botanischen Gartens, der Sternwarte oder des Chemischen Staatslaboratoriums - lehnen die Gründungspläne ab. Skeptisch sind auch die Sozialdemokraten: Sie wollen nur zustimmen, wenn die Universität einer breiteren Schicht zugänglich wird und dort auch Volksschullehrer ausgebildet werden.
28. März 1919: Bürgerschaft stimmt für Uni
Mit der ersten frei gewählten Hamburger Bürgerschaft kommt Bewegung in das Thema. Bereits in ihrer dritten Sitzung am 28. März 1919 beschließen die Abgeordneten die Gründung einer "Hamburgischen Universität". Wenig später, am 10. Mai 1919, findet in der Laeiszhalle die Eröffnung statt. Zum Sommersemester 1919 nimmt die Universität ihren Betrieb auf. Anfangs sind 1.729 Studierende immatrikuliert. Sie haben die Wahl zwischen vier Fakultäten: Medizin, Naturwissenschaften, Philosophie sowie Rechts- und Staatswissenschaften. Von Anfang an zählen auch Frauen zu den Studierenden. Bis 1932 machen sie rund ein Viertel aus. Zum Vergleich: Im Durchschnitt sind es im Deutschen Reich nur 18,5 Prozent, heute sind es 56 Prozent.
Bekannte Wissenschaftler lehren in Hamburg
In der Weimarer Republik erlangt die Hamburgische Universität schnell Anerkennung, international renommierte Gelehrte wie der Jurist Albrecht Mendelssohn Bartholdy, der Kunsthistoriker Erwin Panofsky, der Physikochemiker und spätere Nobelpreisträger Otto Stern, der Philosoph Ernst Cassirer sowie der Psychologe William Stern sind hier tätig. 1926 wird die Volksschullehrerausbildung in die Universität integriert - hier nimmt die Hamburgische Universität eine Pionierrolle ein.
Gleischschaltung und Entlassungen in der NS-Zeit
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendet die kurze Blütezeit. 1934 wird die Universität gleichgeschaltet. Der neue Rektor Adolf Rein preist sie stolz als "erste nationalsozialistische Hochschule in Deutschland" an. Etwa 50 Lehrkräfte werden zwangsweise entlassen, unter ihnen Star-Professoren wie Ernst Cassirer und William Stern. 1935 wird die Hochschule in "Hansische Universität" umbenannt. Nur wenige Studenten und Professoren setzen sich zur Wehr oder gehen in den Widerstand. Zu ihnen zählen unter anderen die Medizinstudentin Margaretha Rothe und der Chemiestudent Hans Leipelt.
Die Uni nach 1945: Neustart mit neuem Namen
Im November 1945 wird die Hochschule von der britischen Besatzungsmacht als "Universität Hamburg" wiedereröffnet - und erhält ihren dritten Namen innerhalb eines Vierteljahrhunderts. Die "phrasenhaft hohle, aus nationalsozialistischer Gespreiztheit geborene Benennung 'Hansische Universität'", wird, so Senator Heinrich Landahl, ersetzt durch den "sauberen, sachlichen Namen 'Universität Hamburg'."
Eine kritische Aufarbeitung der NS-Zeit bleibt allerdings aus, auch viele belastete Professoren dürfen schon bald wieder unterrichten. Hochschullehrern, die vor den Nazis fliehen mussten, wird dagegen teilweise die Rückkehr erschwert.
Ein neuer Campus entsteht
In den 50er-Jahren nimmt die Zahl der Studenten stark zu, schon bald platzen die alten Gebäude aus allen Nähten. Der Campus im Stadtteil Rotherbaum wird ausgebaut. Zunächst entsteht bis 1959 mit dem Audimax der größte Hörsaal, 1963 eröffnet der 52 Meter hohe Philosophenturm für die Geisteswissenschaften. Doch in den modernen Neubauten herrscht vielfach noch der alte Geist. Die universitären Strukturen sind undemokratisch, die Macht liegt fast vollständig bei den Professoren, der kritische Blick auf die NS-Zeit bleibt weiterhin aus.
Die 68er verändern die Uni
Viele Studenten wollen das nicht mehr hinnehmen. Im November 1967, am Tag der feierlichen Amtsübergabe an den neuen Rektor, entrollen die Studenten Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer im Audimax ein Protestbanner, darauf ein Spruch, der wenig später zur Kampfparole der 68er-Bewegung wird: "Unter den Talaren Muff von 1.000 Jahren". Die Studentenbewegung hat die Universität Hamburg erreicht. Sie setzt einen Demokratisierungsprozess in Gang. Im April 1969 verabschiedet die Bürgerschaft ein neues Universitätsgesetz, das allen Universitätsmitgliedern mehr Mitbestimmungsrechte einräumt.
Knappe Finanzen und Sanierungsstau
Währenddessen wächst die Universität weiter. 1975 eröffnet mit dem Geomatikum an der Bundesstraße der Neubau für die Fachbereiche Mathematik und Geowissenschaften - mit 22 Stockwerken das höchste Gebäude des Stadtteils. Doch bereits bei ihrer Eröffnung können die neuen Bauten die Massen der Studierenden kaum bewältigen - und die Zahlen steigen weiter, bis Anfang der 1980er-Jahre sind es mehr als 40.000. Dennoch bleiben dringend notwendige Investitionen aus. Raumnot und Sparzwänge werden in den nächsten Jahrzehnten zum Dauerzustand.
"Ruinen, die sich Universität nennen"
Obwohl das Studiensystem ab der Jahrtausendwende reformiert wird, um die Abschlüsse europaweit zu vereinheitlichen, bleibt die finanzielle Ausstattung der Universität mangelhaft. Einzige Neubauten sind zunächst die von dem Stifterehepaar Hannelore und Helmut Greve finanzierten Flügelbauten des Uni-Hauptgebäudes, der erste wird 1998 bezogen.
Viele andere Gebäude werden unterdessen zu Sanierungsfällen - auch, weil das wenige vorhandene Geld teils lieber in die Wissenschaft investiert wird. In einigen Gebäuden müssen Eimer aufgestellt werden, weil es durchregnet, andernorts müssen Netze gespannt werden, um Passanten vor herabstürzenden Bauteilen zu schützen. Im Sommer 2014 spricht Uni-Präsident Dieter Lenzen gar von "Ruinen, die sich Universität nennen" und mahnt Investitionen an.
Komplette Sanierung kostet bis zu 500 Millionen Euro
Tatsächlich beginnt in der Politik langsam ein Umdenken und die Einsicht setzt sich durch, dass Forschung und Lehre für Hamburg in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Investitionen steigen, Gebäude werden saniert, sogar Neubauten geplant. Mittlerweile ist ein großes Bauprogramm angelaufen: An der Bundesstraße entstehen Neubauten für die Fakultäten Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften, das "Haus der Erde" für die Geowissenschaften und die Klimaforschung ist demnächst bezugsfertig.
Allerdings ist der Sanierungsstau gigantisch. Einem Gutachten von 2018 zufolge müssten bis zu 500 Millionen Euro investiert werden, um alle Gebäude zu modernisieren, allein für die nötigsten Arbeiten seien mindestens 150 Millionen Euro nötig.
Auf dem Weg zur Exzellenz-Uni?
Trotz ihrer vielen baulichen Problemfälle ist die Universität Hamburg heute mit mehr als 170 Studiengängen an acht Fakultäten und gut 43.000 Studierenden eine der größten Deutschlands. Neben Traditionsfächern wie Jura oder Medizin bietet sie unter anderem "Internationale Kriminologie", "Tibetan Studies" oder "Integrated Climate System Sciences". Mittlerweile kann sich die Hochschule sogar Hoffnung darauf machen, als Exzellenz-Universität anerkannt zu werden und damit Fördergelder des Bundes zu erhalten. Die Entscheidung darüber fällt im Juli 2019.
Feierlichkeiten zum Jubiläum
Ihr 100-jähriges Bestehen will die Universität unter anderem dafür nutzen, in der Stadt sichtbarer zu werden. Dazu bietet sie eine Reihe von Vorlesungen an, die für alle Interessierten offen sind. Viele finden an ungewöhnlichen Orten statt, etwa auf Barkassen im Hafen, in der Fischauktionshalle oder in der Handelskammer. Für einige Veranstaltungen ist eine Anmeldung notwendig, die meisten sind kostenfrei.