Preussag: Erste Teilprivatisierung eines Staatskonzerns
Die Zeichnungsfrist hatte gerade erst begonnen, da überstieg die Nachfrage schon das Angebot an neuen Aktien: Am 24. März 1959 konnten die Bürger der Bundesrepublik erstmals Volksaktien zeichnen. Arbeiter, Hausfrauen und Studenten interessierten sich für Papiere der staatlichen Preußischen Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft, der heutigen TUI AG in Hannover. "Sieg der Volksaktie" stand in den Zeitungen. Der Börsengang der Preussag - so der offizielle Name seit 1964 - war nicht die spektakulärste, aber immerhin die erste Teilprivatisierung eines staatlichen deutschen Unternehmens, indem Volksaktien ausgegeben wurden.
"Wohlstand für alle - Eigentum für jeden"
Der Bundesrepublik waren nach dem Zweiten Weltkrieg diverse privatrechtlich organisierte Unternehmen, meist Industriebetriebe, zugefallen, die zuvor vor allem rüstungs- und kriegswirtschaftlichen Zwecken gedient hatten. Von diesen wollte sich die Bundesregierung in den 1950er-Jahren trennen. Es sollte Aufgabe des Staates sein, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu garantieren - er sollte aber nicht selbst unternehmerisch tätig sein.
Dazu kam eine sozialpolitische Komponente: Immer mehr setzte sich die Regierung zum Ziel, die Vermögensbildung bei Arbeitnehmern zu fördern. "Wohlstand für alle - Eigentum für jeden", lautete die Devise von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) 1957, im Jahr der Bundestagswahl. Er kündigte eine neue Politik der Vermögensbildung durch Beteiligung der Arbeitnehmer am industriellen Produktivkapital an. Für die Privatisierung des Bundesbesitzes richtete die Regierung ein eigenes Ressort ein: das Bundesschatzministerium unter Hermann Lindrath.
Erste "Volks-Aktiengesellschaft" in Deutschland
Eigentlich hatte die Bundesregierung beabsichtigt, als erstes das Volkswagenwerk zu privatisieren - aufgrund von Verzögerungen, unter anderem wegen der ungeklärten Eigentumsfrage bei VW, war es aber schließlich die Preussag, die zur ersten "Volks-Aktiengesellschaft" in Deutschland gemacht wurde. Dabei ging es neben den politischen Erwägungen allerdings auch darum, Kapital für einen Konzern zu beschaffen, der sich in einer schwierigen Umstrukturierungsphase befand und Geld für Investitionen benötigte.
Entstanden war das Unternehmen 1923 als Preußische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft. Es bündelte unter anderem die Montanbetriebe des preußischen Staates, darunter Stein- und Braunkohlegruben, Kalibergwerke, Salinen und Erzbergwerke. Diese wurden nun privatwirtschaftlich organisiert, befanden sich aber immer noch im Staatsbesitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen als Teil der ehemaligen NS-Kriegswirtschaft zunächst unter eine alliierte Zwangsverwaltung gestellt, ehe es zur Bundesrepublik kam und eine Neuorientierung begann.
Vorbehalte von vielen Seiten
Widerstand gegen die Bestrebungen zur Privatisierung kam damals nicht nur von der Preussag-Mutter Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks-AG (Veba) - auch die Belegschaft, der Betriebsrat und die Gewerkschaften hatten Vorbehalte gegen die Veräußerung des Staatseigentums. Unterstützt wurden sie von der SPD. Die Bundesregierung trieb die Privatisierungspolitik trotzdem voran, und schon Ende 1958 legte sie einen ausgearbeiteten Entwurf vor.
Als künftige Linie der Wirtschaftspolitik wurde festgeschrieben, dass staatliche Unternehmertätigkeit mit sozialer Marktwirtschaft nicht vereinbar sei - gerechtfertigt sei dies nur, wenn wichtige öffentliche Belange berührt würden, was bei der Preussag wie auch anderen Unternehmen nicht der Fall sei. Im Januar 1959 schließlich billigte zudem der Preussag-Aufsichtsrat die für die Privatisierung notwendige Kapitalerhöhung von 75 Millionen auf 105 Millionen D-Mark.
Strenge Vorgaben und Einschränkungen
Die zuständigen Ministerien hatten inzwischen ihre Pläne für die Herausgabe der Volksaktien erheblich modifiziert und waren von einer weitgehenden Privatisierung abgerückt. Nun sollte nicht mehr die Aktienmehrheit, sondern nur das neu geschaffene Kapital von 30 Millionen D-Mark in 300.000 Aktien zu je 100 D-Mark an die Börse gebracht werden. Dies entsprach einem Anteil von nur noch 28,6 Prozent am neuen Grundkapital der Preussag. Für das Unternehmen erhoffte sich die Politik auf diesem Weg mehr als 40 Millionen D-Mark frisches Kapital.
Für den Kreis der Aktionäre gab es strenge Vorgaben. Neben den Preussag-Beschäftigten sollten nur Personen mit einem Jahreseinkommen von maximal 8.000 D-Mark Aktien zeichnen können, für Verheiratete galt eine Grenze von 16.000 D-Mark. Außerdem wurde die Zahl der Aktien auf fünf, also einen Betrag von insgesamt 500 D-Mark, beschränkt. Der Ausgabekurs wurde auf 145 D-Mark festgelegt.
Werbekampagne in Rundfunk und Zeitungen
Was nun folgte, war eine groß angelegte Werbekampagne in Tageszeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Die Resonanz darauf übertraf schließlich alle Erwartungen, und die Schaffung der ersten "Volks-Aktiengesellschaft" wurde sowohl für die Bundesregierung als auch für das Unternehmen zu einem Erfolg, wie es die Autoren Bernhard Stier und Johannes Laufer in ihrem Buch "Von der Preussag zur TUI - Wege und Wandlungen eines Unternehmens 1923-2003" beschreiben. So reichten die zur Verfügung stehenden 300.000 Aktien nicht annähernd aus, um der Nachfrage gerecht zu werden.
Nach Ablauf der Zeichnungsfrist am 31. März 1959 lagen Anträge von mehr als 215.000 Personen für nahezu das gesamte Preussag-Kapital vor. In der Folge wurde die Zuteilung auf vier statt fünf Aktien beschränkt und dazu ein Höchststimmrecht eingeführt, das Machtkonzentrationen vermeiden sollte. 77,6 Prozent des Preussag-Kapitals lagen nach Ausgabe der Volksaktien in privater Hand, nur noch 22,4 Prozent bei der Veba und damit beim Staat. Damit war das eingetreten, was die Bundesregierung nach Modifizierung der Ursprungspläne eigentlich vermeiden wollte - eine weitgehende Privatisierung, bei der der Staat sogar seine Sperrminorität verlor.
Von der Preussag zur TUI
Vollendet wurde die Privatisierung 1970 mit dem Ausstieg der bundeseigenen Veba. Bis heute hat das Unternehmen, das sich inzwischen zum einem Touristikkonzern radikal gewandelt hat und 2002 in TUI AG umbenannt wurde, eine nicht unbeträchtliche Zahl an Privatanlegern.
Die Teilprivatisierungen der Preussag AG, zwei Jahre später der Volkswagen AG und 1965 schließlich der Preussag-Mutter Veba fanden auch im Ausland große Beachtung. Sie standen für den Verkauf von Staatseigentum an breite Bevölkerungsschichten und für die Beteiligung von Mitarbeitern an ihren Unternehmen. Immerhin 4,5 Millionen Deutsche wurden damals zu Kleinaktionären. Eine Renaissance erlebte die Idee der Volksaktie erst in den 1990er-Jahren mit dem Börsengang der Telekom.