Verkehrswende - und wer fährt?
Experten sind von den Startschwierigkeiten beim Betreiber Erixx auf der Strecke Kiel-Lübeck nicht überrascht. Mit Personalmangel kämpfen viele Verkehrsunternehmen im Land. Wie soll vor diesem Hintergrund die Verkehrswende gelingen?
Ein Dienstplan ist wie Tetris. Nachdem Dirk Sporleder, Disponent bei Aktiv Bus Flensburg, Spätdienst und Mitteldienst besetzt hat, wird es langsam kniffelig. "Wir planen immer den nächsten Tag und wir planen immer gerne noch drei, vier, fünf Tage im Voraus. Was aber nicht bedeutet, dass das, was wir heute planen, auch noch morgen funktioniert", sagt Sporleder.
Löcher im Dienstplan immer möglich
Denn es kann passieren, dass Kollegen sich krank melden. Und dann muss schnell Ersatz her. Anders als bei Tetris muss der Betrieb nämlich laufen. Jeder Bus muss fahren, jeder muss besetzt werden. "Toi, toi, toi", sagt Dirk Sporleder und klopft sich auf den Kopf: "Bisher haben wir es immer hingekriegt." Seit ein paar Jahren wird das allerdings immer schwieriger, weiß der Chef: Paul Hemkentokrax ist Geschäftsführer von Aktiv Bus Flensburg. Der Fachkräftemangel geht gerade erst los, die geburtenstarken Jahrgänge gehen bald in den Ruhestand. Bis zu 25 Stellen müssen in seinem Unternehmen in den kommenden Jahren nachbesetzt werden: "Das kann man nicht aus dem Ärmel schütteln", sagt Hemkentokrax.
Der Personalmangel macht große Sorgen
Insgesamt fehlen in den Unternehmen in Schleswig-Holstein schon jetzt rund 120 Busfahrer, sagt Hemkentokrax, der auch stellvertretender Vorsitzender des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen VDV Nord ist. Der Personalmangel macht ihnen allen Sorgen. Die Auswirkungen sind schon heute zu spüren: "Es gibt kaum noch ein Bundesland, wo in allen Bereichen der volle Fahrplan gefahren wird. Wir haben bundesweit mit Ausfällen zu kämpfen aufgrund von Personalengpässen", sagt Paul Hemkentokrax. In Schleswig-Holstein betrifft das momentan vor allem den Betreiber Erixx auf der Bahnstrecke Kiel-Lübeck - und dessen Kunden. Es fehlen Züge und es fehlt Personal. An diesem Mittwoch beschäftigt sich der Wirtschaftsausschuss des Landtags mit dem Thema: Die SPD hat einen Bericht der Landesregierung zum Thema auf die Tagesordnung gesetzt.
Erixx-Start eine "Katastrophe"
Für den Verkehrswissenschaftler Professor Heiner Monheim ist das, was im Fall Erixx passiert, eine Katastrophe - und ein Symptom verfehlter Verkehrspolitik. Das fängt aus seiner Sicht an bei falschen Schwerpunktsetzungen im Bundesverkehrswegeplan - der sich zu sehr auf den Straßenausbau konzentriere - bis hin zu Sparzwängen im öffentlichen Nahverkehr.
Was, wenn die Reserven nicht reichen?
Auch dass es bei Anbieterwechseln - wie im Fall Erixx - hakelt, liegt aus Monheims Sicht an wirtschaftlichen Zwängen: "Weil das alles rationalisierungsgetrieben ist und es einen Preiswettbewerb bei den Anbietern gibt, arbeiten die alle auf Kante genäht." Bei den Ausschreibungen, fordert Monheim, sollten "robuste Reserven" Bedingung sein, sowohl beim Personal, als auch bei den Zügen. Das sei bereits gängige Praxis, sagt Dennis Fiedel von NAH.SH. Es sei natürlich grundsätzlich zu prüfen, ob man in Vergabeverfahren noch mehr fordern - und damit natürlich auch finanzieren - sollte. Allerdings nütze auch die geforderte Personalreserve wenig, wenn es nicht gelinge, Personal zu finden, so Fiedel.
Auch der Verkehrsminister hält nichts davon, größere Reserven zu verlangen: "Ich glaube nicht, dass es zukünftig möglich ist, dass man Horden an Zügen irgendwo hinstellt, das müsste man ja auf jeder Strecke überall in Deutschland machen", sagt Claus Ruhe Madsen (parteilos). Man könne aber von Unternehmen erwarten, dass sie auch liefern.
Mehr Geld für Verkehrswende gefordert
Doch wie soll vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme überhaupt die Verkehrswende gelingen? Möglich sei das nur mit mehr Geld, meint VDV-Nord-Vorstandsvize Hemkentokrax: "Mit den derzeitigen finanziellen Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, ist das nicht machbar." Bei der zweiten Baustelle - dem Personalmangel - sieht Hemkentokrax die Unternehmen selbst in der Pflicht, die Jobs attraktiver zu machen. Möglicherweise mit kürzeren Schichten - um potentiellen Mitarbeitern entgegen zu kommen.
Schweiz hat andere Bahnkultur
Aus Sicht des Verkehrswissenschaftlers Monheim hat der Personalmangel auch mit "fehlender Bahnkultur" in Deutschland zu tun: Anders als etwa in der Schweiz sei der Beruf "politisch abgewirtschaftet" worden. "Und dafür zahlen wir jetzt einen hohen Preis", sagt Heiner Monheim. Er fordert flächendeckende Investitionen. Eine "riesige Herausforderung" sieht Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen. Als Maßnahmen den Fachkräftemangel nennt er das "graue Gold", also pensionierte Lokführer, die zum Einsatz kommen könnten - ein Vorschlag, den die GDL bereits kritisiert hatte - oder Fachkräfte aus anderen Ländern. "Und zu guter Letzt kann man natürlich auch anfangen, darüber zu diskutieren, ob eines Tages ein Zug auch von alleine fahren kann." Doch soweit ist es noch nicht. Und so hofft Disponent Dirk Sporleder fürs Erste, dass er auch in Zukunft noch den Dienstplan füllen kann und keine Busse ausfallen. Für den Fall, dass es richtig eng wird, haben er und seine Kollegen auch selbst den Bus-Führerschein: "Wenn wirklich alles brennt, können wir auch selber noch fahren."