Glücksspiel: Wenn der Schulbus nicht kommt
Kinder, die auf ihren Schulbus warten. Pendlerinnen und Pendler, die zu spät zur Arbeit kommen. Die Probleme im Süden von Schleswig-Holstein haben sich weiter verschärft. Der Landrat reagiert genervt.
"Elterntaxis" - Ein Begriff, der seit Jahren abfällig die Situation vor manchen Schulen beschreibt, wenn Eltern ihre Kinder mit dem Auto bringen. Auch im Kreis Herzogtum Lauenburg passiert das täglich, zum Beispiel vor der Grund- und Gemeinschaftsschule Stecknitz in Berkenthin. Doch für die Schülerinnen und Schüler aus den umliegenden Dörfern sind die "Elterntaxis" oft die einzige Möglichkeit zur Schule zu kommen. Denn häufig werden sie aktuell an den Haltestellen stehen gelassen, kommen deshalb nicht oder zu spät in den Unterricht.
Eltern bilden Fahrgemeinschaften
Auch Susanne M. aus Kastorf fährt heute früh mit ihrem Van vor. Ihr Sohn Moritz springt raus. Ranzen auf, ab in die Schule. Auch er fährt regelmäßig mit dem Bus zur Schule, wenn er denn kommt. "Hier gibt es wirklich regelmäßig sehr große Probleme. Wir hatten es des Öfteren, dass der Bus nicht gefahren ist", berichtet die Mutter. Die Eltern aus dem Dorf haben deshalb Fahrgemeinschaften gegründet, schließen sich per WhatsApp oder Telefon zusammen, wenn die Kinder mal wieder an der Bushaltestelle stehen bleiben. Größte Sorge der Mutter: "Dass sie vielleicht in irgendein Auto steigen, in das sie lieber nicht steigen sollten."
Auch Ann-Kathrin Vahlbruch bestätigt die massiven Probleme. Sie ist Elternvertreterin für die Grundschulen im Kreis Herzogtum Lauenburg. "Die Probleme in der Schülerbeförderung werden nicht gelöst und wir Eltern werden immer wieder vertröstet", erklärt die Mutter NDR Schleswig-Holstein. Eltern würden nicht mit einbezogen, das sei frustrierend. Vahlbruch spricht von einer unzumutbaren Lage für Eltern und Kinder. "Wir haben mehrere Berichte von Kindern, die stundenlang verzweifelt an der Bushaltestelle standen und warteten und kein Bus kam." Der Kreis müsse endlich seine Verantwortung wahrnehmen, fordert die Elternvertreterin.
Lehrer: "Den Kindern geht es nicht gut, wenn sie zu spät kommen"
Christian Pintatis beobachtet die Situation seit Monaten. Er ist Grundschul-Koordinator in der Stecknitz-Schule, wohnt in der Region. Auch seine Tochter geht hier zur Schule. "Wir haben eigentlich täglich Probleme mit dem Schulbusverkehr", berichtet der Lehrer. Schülerinnen und Schüler kämen dadurch zu spät. "Den Kindern geht es dann nicht gut, wir sind ja an einer Grundschule." Auch nach Unterrichtsschluss hätten die Kinder Sorge, dass der Bus nicht kommt. Lehrerinnen und Lehrer beaufsichtigen die Kinder deshalb noch länger an den Bushaltestellen und organisieren zum Teil, wie sie nach Hause kommen, so der Grundschul-Koordinator.
Autokraft begründet Ausfälle unter anderem mit Personalmangel
Verantwortlich für etwa die Hälfte des Busverkehrs im Kreis Herzogtum Lauenburg ist die Bahntochter Autokraft. Sie kennt die Probleme und spricht vom branchenübergreifen Fachkräftemangel als Hauptgrund. Daneben habe die Autokraft aktuell mit erhöhten Krankenständen zu kämpfen, erklärte eine Bahnsprecherin. Dazu kämen auch noch kurzfristige Krankmeldungen. Ein weiterer Grund: Erst vor kurzem kündigte ein Subunternehmer der Autokraft seinen Vertrag mit der Bahntochter. Die Folge: noch mehr Fahrten fallen aus. Die Autokraft und zusätzliche Partner versuchen nach Angaben der Sprecherin, möglichst viele Fahrten selbst zu unternehmen. Das gelinge nicht immer in vollem Umfang.
40 Fahrten pro Tag gestrichen - dazu weitere Ausfälle
Die Busprobleme bei der Autokraft betreffen nicht nur den Kreis Herzogtum Lauenburg, sondern auch den Nachbarkreis Stormarn. "Zur Gewährleistung eines zuverlässigen Fahrplanangebots und Sicherstellung der Schülerbeförderung hat die Autokraft auf einigen Linien eine vorübergehende Fahrplanreduzierung (...) mit den Aufgabenträgern abgestimmt", erklärte die Sprecherin auf NDR-Nachfrage. Konkret heißt das: 40 Fahrten pro Tag, die eigentlich in den Verträgen mit den Kreisen abgestimmt sind, wurden vorerst gestrichen, damit wichtigere Linien bedient werden können. Hinzu kommen jeden Tag dutzende weitere Ausfälle, die kurzfristig kommuniziert werden.
Neue Linien-Ticker-App soll über Ausfälle informieren
Die beiden betroffenen Kreise haben dafür viel Geld in die Hand genommen und die sogenannte "Linien-Ticker-App" entwickeln lassen. 30.000 Euro hat sie gekostet, dazu kommen laut Kreis monatlich 300 Euro laufende Kosten. Mehr als 9.000 Menschen in der Region haben die App bereits heruntergeladen und lassen sich per "Push-Nachricht" über ausfallende Fahrten informieren. Hinterlegt sind alle Bus-Linien der Autokraft, RMVB und die Schulbuslinien der VHH. Die aktuellen Ausfälle betreffen aber laut Kreis Herzogtum Lauenburg fast ausnahmslos die Autokraft.
Landrat: "Probleme sind erheblich!"
Der Landrat des Kreises Herzogtum Lauenburg, Christoph Mager (CDU), ist genervt von den Entwicklungen im Busverkehr. Viele Beschwerden von Eltern, Schulen, Pendlern seien bei ihm eingegangen. "Die Probleme sind erheblich, insbesondere morgens, wenn der Schülerverkehr eine maßgebliche Rolle spielt", so Mager. Für ihn ist die "Linien-Ticker-App" nicht mehr als eine Behelfsmaßnahme. Die Probleme bestünden in diesem Ausmaß seit dem Ende der Herbstferien. "Die Fahrgäste stehen ohne Bus da und vor allem, ohne, dass sie es planen können", fasst der Landrat die Lage zusammen.
Der Kreis sei nun dabei, die Probleme mit der Autokraft in den Griff zu bekommen. Die Idee: einzelne Linien, die bisher die Bahntochter bedient, sollen ihr wieder entzogen werden. Andere Verkehrsunternehmen sollen diese übernehmen, um die Autokraft zu entlasten. Als erstes soll in Kürze eine große Linie neu vergeben werden. "Das ist schon in der Umsetzung", so der Landrat. Er macht allerdings auch deutlich, dass die Autokraft neue Subunternehmer finden müsse, wenn sie selbst nicht in der Lage sei, die vertraglich vereinbarten Fahrten selbst zu bedienen. Schon jetzt muss die Bahntochter Vertragsstrafen an den Kreis zahlen. "Das wird inzwischen für die Autokraft nicht ganz billig", so Mager.
Verbesserungen noch im ersten Quartal 2024
Zum Monatswechsel Februar hofft der Landrat auf einen besser laufenden Schulbusverkehr. Die Sprecherin von Autokraft verspricht: "Zum 1. Februar können wir alle Fahrten des ehemaligen Partners anderweitig vergeben, so dass wir wieder ein zuverlässiges Busangebot sicherstellen können." Ab April sollen dann auch die derzeit gestrichenen 40 Fahrten pro Tag wieder angeboten werden, erklärt der Landrat. Im ersten Quartal solle der Busverkehr sich insgesamt wieder normalisieren. "Herrin des Verfahrens ist allerdings in diesem Fall die Autokraft", betont Mager. "Insofern müssen wir das ein Stück weit abwarten".