Landtag debattiert über Lehren aus dem Fall Brokstedt
Vier Wochen nach der Messerattacke in einem Regionalexpress in Brokstedt (Kreis Steinburg) mit zwei Toten und fünf zum Teil lebensgefährlich Verletzten hat der Landtag in einer Aktuellen Stunde über die Tat und die Folgen debattiert. Dabei ging es auch um Fehler und die Lehren daraus.
Die FDP hatte eine Aktuelle Stunde beantragt. Hintergrund sind Äußerungen der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese hatte öffentlich erklärt: "Wir wussten nicht, dass der Mann in U-Haft sitzt, sonst hätten wir ihn anhören und leichter abschieben können". Mit Blick auf möglicherweise unterlassene Pflichtmeldungen ergänzte Faeser: "Wir wissen inzwischen, dass es eine Fehlinformation gab."
Aussagen von Faeser sorgen für Kopfschütteln bei Parlamentariern
Von harten Vorwürfen und einer steilen These sprach Christopher Vogt, der Fraktionsvorsitzende der FDP, mit Blick auf Faesers Aussage. Die zuständigen Behörden würden das Gegenteil behaupten. Er hält es angesichts der Eckdaten für sehr unwahrscheinlich, dass es möglich gewesen wäre, Ibrahim A. abzuschieben. "Die Bundesinnenministerin unterstreicht mit solchen Äußerungen noch einmal sehr, dass die linke Hand oftmals nicht weiß, was die rechte tut. Frau Faeser soll nicht herum reden, sondern handeln." Sein Fraktionskollege Bernd Buchholz kommt zu dem klaren Schluss: "Auf Grundlage des geltenden Rechts war Ibrahim A. weder ausreisepflichtig, noch war er zu Unrecht auf freiem Fuß."
CDU nennt Verhalten Faesers "eigentlich unentschuldbar"
Irritierend, befremdlich und unverantwortlich nannte Tobias Koch, der Fraktionsvorsitzende der CDU, Faesers öffentliche Äußerungen. "Eine Bundesinnenministerin sollte in so einer Krisensituation eher zur Aufklärung beitragen und nicht zur Verwirrung." Er sagte, eine derart hypothetische Aussage in den Raum zu stellen, verbiete sich, weil es bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gibt, dass eine Abschiebung von Ibrahim A. zu einem früheren Zeitpunkt hätte durchgeführt werden können.
Laut Koch war es unverantwortlich von Faeser, durch ihre Aussagen zu suggerieren, dass die Tat hätte verhindert werden können. Das mache das "Leid der Betroffenen fast noch größer, wenn man ihnen sagt: Eure Kinder, Eure Tochter, Euer Sohn könnten noch leben, wenn nicht dieser oder jener Behördenfehler passiert wäre". Insofern sei es eigentlich unentschuldbar, wie sich die Bundesinnenministerin da verhalten hat, so Koch.
Auch SSW und Grüne äußern Kritik, SPD verteidigt
Lars Harms, Fraktionschef des SSW, sagte, wichtig sei es, die Tat aufzuklären, Fehler zu identifizieren und nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen. Er machte aber sehr deutlich: "Für uns ist ganz wichtig, [...] dass mit dem Ausländerrecht es nicht möglich gewesen wäre, diese Tat zu verhindern." So schlimm diese Tat auch sei, es wäre nicht möglich gewesen, diesen Menschen auszuweisen, so Harms weiter. "Es hätte sehr lange gedauert auch mit den ganzen gerichtlichen Verfahren."
Auch der Fraktionschef der Grünen, Lasse Petersdotter, kritisiert die Aussagen Faesers. Er sagte, es sei keine gute Idee mit einfachen Antworten auf komplexe Fragen zu reagieren. "Sich hinzustellen als Bundesinnenministerin und zu sagen, den hätten wir abgeschoben, wenn wir eher davon gewusst hätten, das finde ich echt zu einfach, für so ein komplexes Thema." Thomas Losse-Müller (SPD) sagte: "Es ist schon so, dass in dem Moment, in dem die Meldungen angekommen wären, anders hätte gehandelt werden können." Ob das in dieser schwierigen Situation zu einer Abschiebung geführt hätte, bei einem palästinensischen Staatsbürger, ist laut dem SPD-Fraktionschef nochmal eine ganz andere Frage.
Lehren aus dem Fall Brokstedt: Kein "Behördenwirrwarr" mehr
Vier Wochen nach der Messerattacke hatten die Politiker im Landtag auch über Lehren aus dem Fall Brokstedt diskutiert. Losse-Müller sagte, man müsse nun eine ganze Aufklärung machen. "Es ist mittlerweile schon klar, dass die Informationsflüsse nicht gut funktioniert haben. Ich glaube es bringt jetzt nichts, auf den einen oder die andere zu zeigen." Für Lars Harms ist klar, dass sich ein Behördenwirrwarr wie im Fall Brokstedt nicht wiederholen darf. "Wir brauchen eine zentrale Datei, wo alle Daten dieser Menschen gespeichert sind, damit nicht acht verschiedene Behörden in drei Bundesländern und der Bund irgendwie unterschiedliche Datensätze haben."
SSW fordert Rückführungsabkommen
Zugleich sei Harms fest davon überzeugt, dass man mit vielen Staaten jetzt Rückführungsabkommen machen müsse, "damit es dann, wenn es eine Ausreiseverfügung gibt, dann auch leicht möglich ist, diese Menschen in ihre Heimatländer zurückzuführen". Verbesserungsbedarf sieht Harms auch bei der Frage, wie man künftig mit Menschen umgeht, die aus der Haft entlassen werden. Das sei im Fall Ibrahim A. offensichtlich nicht gut gelaufen: "Dieser Mensch hat keinerlei richtige Begleitung gehabt als er aus der Haft entlassen wurde."
Seines Erachtens nach ist es sinnvoll, die Menschen sowohl bei der Wohnungssuche zu unterstützen als auch psychologisch zu betreuen. "Jemanden ohne Geld und ohne Ticket in Hamburg zu entlassen und zu sagen, fahr mal nach Kiel und regele da deinen Kram, ist glaube ich zu einfach. Und das ist nicht nur auf diesen Fall bezogen, sondern auch auf andere Fälle." Ein Punkt, der auch aus Sicht von Lasse Petersdotter von den Grünen verbessert werden muss. "Das Problem ist ein schlechtes Übergangsmanagement, wenn Menschen aus der Haft entlassen werden. Das müsse sowohl bei Haft als auch bei U-Haft verbessert werden."
FDP: Arbeit der Behörden muss besser koordiniert werden
Für die FDP im Schleswig-Holsteinischen Landtag steht fest, dass die Zuständigkeit der Behörden klarer strukturiert sowie verlässlicher und besser dokumentiert werden muss. Innenpolitiker Bernd Buchholz verwies auf die Gemeinsame Ermittlungs- und Rückführungsgruppe für ausländische Straftäter in Hamburg. Diese sei eine sehr gute Idee. "Dort sitzen vier Leute aus der Ausländerbehörde und vier Leute aus dem Landeskriminalamt zusammen in einer Ermittlungsgruppe. Warum haben wir das nicht in Schleswig-Holstein?" Das wäre konsequent und richtig, so Buchholz, der entsprechende Initiativen der Landesregierung dazu vermisst.
Fraktionschef Vogt forderte ein konsequentes Rückführungsmanagement: Wenn die Abschiebung des Täters bisher nicht möglich gewesen sei, dann müsse man darüber sprechen, wie das Land das zukünftig hinbekommen wolle. "Es kann ja nicht sein, dass viele Staaten ihre eigenen Staatsbürger oft nicht zurücknehmen, wenn sie bei uns straffällig geworden sind. Da muss man über Abkommen sprechen und auch Druck machen."
Ministerpräsident sollte Kompetenzen stärker bündeln
Die FDP sieht dabei nicht nur die Bundesregierung am Zug. Auch die schwarz-grüne Landesregierung müsse sich fragen, ob sie beim Thema Rückführungen und Abschiebungen richtig aufgestellt sei. Christopher Vogt kritisierte, in Schleswig-Holstein seien allein für den Themenkomplex Polizei, Abschiebehafteinrichtung und Ausländerbehörde mittlerweile drei Ministerien zuständig - nämlich das Innen-, das Justiz- und das Sozialministerium. "Und da drohen aus unserer Sicht enorme Reibungs- und Zuständigkeitsverluste. Deswegen sind wir der Meinung, dass der Ministerpräsident in Betracht ziehen muss, die Kompetenzen innerhalb der Landesregierung wieder stärker zu bündeln."
Grüne und CDU für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen in Zügen und auf Bahnhöfen
Die Koalitionsfraktionen fordern von der Landesregierung, eine "Konferenz zur Erhöhung der Sicherheit im ÖPNV". Aus den Ergebnissen solle dann ein Konzept erarbeitet werden. Außerdem fordern sie als Konsequenz aus der Bluttat, dass das Sicherheitspersonal bei der Deutschen Bahn und der Bundespolizei aufgestockt wird. Außerdem sei es denkbar, die Videoüberwachung in Zügen auszuweiten. Polizisten in Zivil, die eine Dienstwaffe tragen, sollen die Bahn kostenlos nutzen können so wie es bei uniformierten Beamten bereits der Fall ist.
Zudem soll ein Waffenverbot im Bahnhofsbereich und eine bessere Beleuchtung von Bahnhöfen und Unterführungen zur Vermeidung von Angsträumen geprüft werden. Damit ließen sich Straftaten zwar nicht grundsätzlich verhindern, so Petersdotter, er verwies aber auf eine gewisse Präventivwirkung. Petersdotter betonte erneut, es gebe keine absolute Sicherheit.