Drohnenaufnahme der Bürgermeister-Smidt-Brücke in Bremen. © NDR

Wie schlimm steht es um Norddeutschlands Straßen?

Stand: 21.01.2025 11:32 Uhr

Die Infrastruktur in Deutschland bröckelt, das wurde spätestens mit dem Einsturz der Carola-Brücke in Dresden deutlich. Der NDR hat erstmals Daten zum Zustand der kommunalen Straßen im Norden erhoben - mit ernüchterndem Ergebnis.

von Nils Naber und Isabel Lerch (Grafiken)

Wie es um die kommunalen Straßen und Brücken bestellt ist, darüber gibt es keinen Gesamtüberblick. Denn jede Stadt und jede Gemeinde dokumentiert den Zustand der eigenen Brücken und Straßen nur für sich. Eine landesweite Erfassung gibt es nicht.

In der Regel beziehen sich Medien in Berichterstattung über die Verkehrsinfrastruktur daher immer nur auf die gut verfügbaren Daten zum Zustand der Brücken und Straßen, die dem Bund oder den Bundesländern gehören. Das längste Straßennetz jedoch unterhalten die Kommunen - und auch die meisten Brücken.

NDR und TU Berlin haben Daten erhoben und ausgewertet

Wulf-Holger Arndt © NDR
Gemeinsam mit Wulf-Holger Arndt von der TU Berlin hat Panorama 3 versucht, den Zustand der Straßen flächendeckend zu erheben.

Gemeinsam mit Wulf-Holger Arndt vom Zentrum Technik und Gesellschaft an der TU Berlin hat das NDR Magazin Panorama 3 nun versucht, überall im Norden den Zustand der kommunalen Brücken und Straßen zu erfassen. Angefragt wurden dafür erstmals alle Städte, Samtgemeinden, Einheitsgemeinden, Ämter und amtsfreien Gemeinden im gesamten Norden.

Von den rund 700 Kommunen haben immerhin rund ein Drittel Fragen beantwortet und Daten bereitgestellt. Mangelndes Personal war häufig ein Problem. Wenige Städte schrieben auch, der Aufwand, die Fragen zu beantworten, sei zu groß. Dabei müssten die Zahlen eigentlich vorhanden sein, sagt Arndt. "Wie weit die natürlich greifbar in Datenbanken vorliegen, ist die andere Frage. Aber grundsätzlich sind das Werte, mit denen die Kommunen auch ihren Haushalt planen müssen", sagt der Ingenieur und Verkehrsplaner.

Ungefähr jede achte Brücke in schlechtem Zustand

Brücken müssen in regelmäßigen Abständen von einem Sachverständigen geprüft und in Zustandsklassen eingeteilt werden. Die meisten kommunalen Brücken im Norden befinden sich demnach in einem mittelmäßigen Zustand. Bei fast einem Drittel der Bauwerke ist der Zustand allerdings gerade noch ausreichend. Rund zwölf Prozent der Brücken gelten als "nicht ausreichend" oder "ungenügend" und sind damit in einem schlechten Zustand.

Brücken nicht für heutige Belastungen ausgelegt

Dafür dürfte es im Wesentlichen zwei Ursachen geben. Zum einen sind viele Bauwerke in den 1960er- und 1970er-Jahren unter anderen Vorzeichen erbaut worden. Insbesondere durch den wachsenden Lkw-Verkehr sind sie immer stärkeren Belastungen ausgesetzt. "Die Spannbetonbrücken beispielsweise sind auch nicht so leistungsfähig und dauerhaft, wie wir dachten. Und durch den Einsatz von Streusalz in den 1970er- und 1980er-Jahren wurden auch die Bewehrungsstähle wesentlich stärker angegriffen", als es erwartet worden sei, erklärt Arndt. Das Salz drang dabei durch kleine Ritzen im Beton bis tief in die Bauwerke vor und ließ den Stahl korrodieren.

Kommunen klagen über zu wenig Geld

Der zweite Grund seien die engen finanziellen Möglichkeiten der Kommunen, klagen viele von ihnen gegenüber Panorama 3: Gemeinden seien "strukturell unterfinanziert", die finanzielle Situation werde sich durch "zunehmende Verlagerung von Aufgaben/Kosten von Bund und Ländern auf die Kommunen (..) kurzfristig verschlechtern", mit einer "Verbesserung der Finanzsituation" sei "nicht zu rechnen", schreiben einige.

Eine Kommune fordert, stellvertretend für viele, einen "fairen Finanzausgleich" zwischen Bund und Land. Mehr als die Hälfte der Städte, Ämter und Gemeinden gaben an, mit einer "mangelhaften" Finanzsituation kämpfen zu müssen.

Jede dritte Straße schlecht - oder sehr schlecht

Diese engen finanziellen Möglichkeiten von vielen Städten und Gemeinden wirken sich auch auf die kommunalen Straßen aus. Rund ein Drittel aller kommunaler Straßen im Norden sind demnach schlecht oder sehr schlecht. Wie bei den Brücken, so gibt es auch bei den Straßen eine Bandbreite von Kommunen mit eher guten oder weniger guten Straßen.

Laut dem KfW-Kommunalpanel von 2024 beträgt der Investitionsrückstand bei kommunalen Straßen und Brücken in ganz Deutschland aktuell 48,3 Milliarden Euro. Neben den Investitionen in Schulen wird demnach auf kommunaler Ebene für die Straßen am meisten Geld benötigt.

Wo die Mittel herkommen sollen, dürften sich viele Haushälter und Kämmerer fragen. Marco Trips, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds (NSGB), fordert: "Nach dem zu erwartenden Fallen der Schuldenbremse im März 2025 bedarf es eines kommunalen Investitionsprogrammes."

Bremen: Brücke wird nur noch am Leben erhalten

Drohnenaufnahme von der Bürgermeister-Smidt-Brücke in Bremen, die wegen Sanierungsarbeiten gesperrt ist. © NDR
An der Bremer Bürgermeister-Smidt-Brücke muss viel saniert werden - aber auch das wird das Leben der Brücke nur um 10 bis 20 Jahre verlängern.

In Bremen wird versucht, das Leben der 72 Jahre alten Bürgermeister-Smidt-Brücke zu verlängern, die über die Weser führt. "Wir müssen da jetzt was machen. Wir können uns das auch nicht mehr leisten noch weiter abzuwarten," sagt Ingenieur Thomas Sauer, der in Bremen für Brücken zuständig ist. Seit ihrer Einweihung im Jahr 1952 rollen Autos und Straßenbahnen über das Bauwerk und machen ihm immer mehr zu schaffen.

Seit Anfang November ist die große Brücke für einige Monate voll gesperrt, weil unter ihr 16 sogenannte Zuganker marode sind. Die Brücke drohe den Halt zu verlieren, sagt Sauer. Die verrosteten Teile unter der Brücke werden ersetzt.

Doch damit sind nur 10 bis 20 Jahre gewonnen. Durch die dauerhafte Belastung ist die Brücke am Ende ihres Lebens angekommen. "Man unterhält sich jetzt darüber, hier einen Ersatzneubau herzustellen. Bis zu dem Zeitpunkt müssen wir dieses Bauwerk unter Verkehr halten. Das ist anspruchsvoll genug", sagt Sauer.

Auf Bremen kommt Mammutaufgabe zu

Bauarbeiter auf der Bürgermeister-Smidt-Brücke in Bremen. © NDR
Hunderte Millionen Euro - so viel dürfte die Renovierung aller Bremer Weserbrücken kosten.

Auch alle anderen Weserbrücken in Bremen müssten in den nächsten 20 bis 30 Jahren renoviert oder neu gebaut werden, meint der Ingenieur. Eine Mammutaufgabe, die die Stadt Bremen mutmaßlich Hunderte Millionen Euro kosten wird.

Angesichts der enormen finanziellen Belastungen durch den Unterhalt und die Erneuerung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur stellt sich mehr und mehr die Frage, ob beim Thema Verkehr nicht, von Ausnahmen abgesehen, andere Prioritäten gesetzt werden sollten. "Wir brauchen keine weitere Infrastruktur, wir haben schon unsere Infrastruktur in Deutschland, was die Straßen betrifft", sagt Arndt von der TU Berlin.

Dennoch wird in Deutschland weiter an neuen Straßen gebaut. "Politik ist es immer wichtig, gerade um Wahlen zu gewinnen, etwas neu zu schaffen, etwas neu zu eröffnen, Investitionen zu tätigen. Wartung und Unterhalt sind vor Wahlen nicht so verkaufbar." Für ein Umdenken scheint die Zeit gekommen.

Zur Methodik und den Daten der Recherche

Die hier angegebenen Daten beruhen auf einer abgefragten Selbsteinschätzung der befragten Gemeinden in Norddeutschland. Die Datenerhebung erfolgte mithilfe eines Fragebogens, den der NDR in Zusammenarbeit mit der TU Berlin eigens erstellt hat. Es handelt sich daher also nicht um eine offizielle Statistik - aber um eine wissenschaftlich fundierte, repräsentative Abfrage. Insgesamt 689 Städte, Ämter, amtsfreie Gemeinden, Samtgemeinden, Einheitsgemeinden haben an der Befragung teilgenommen. Die Befragung fand im Herbst 2024 statt.

 

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 21.01.2025 | 21:15 Uhr

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