Kommentar: "Northvolt wollte zu viel zu schnell"
Der Batteriehersteller Northvolt ist zahlungsunfähig und hat in Schweden Insolvenz beantragt. Die Zukunft des geplanten Werkes bei Heide ist ungewiss. Doch wie konnte es dazu kommen?
Ein Kommentar von Kristina Heinicke, Leiterin NDR Studio Heide
Northvolt - die grünste Batterie der Welt. Das war das nicht gerade niedrig gesteckte Ziel des damaligen CEO und ehemaligen Tesla-Managers Peter Carlsson. Alle waren begeistert, wollten diesen Traum mitträumen und dabei gesehen werden: Der Boßelwurf zum Baustart der Batteriefabrik bei Heide mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wird gerne als Symbolbild für den Aufbruch Europas in die Batteriezukunft genutzt. Rückblickend ein teures Bild, für das allein der Steuerzahler 600 Millionen Euro bezahlt. Denn die Gelder aus der Wandelanleihe sind sehr wahrscheinlich weg. Hätte die Politik schon damals vorsichtiger sein und genauer hinschauen müssen? Vielleicht. Fakt ist: Nicht erst beim Baustart, sondern schon viel früher waren Politiker aller Parteien im Landtag begeistert von Northvolts Idee und alle wollten ihren Anteil haben daran. Ein bisschen Goldgräberstimmung lag über Schleswig-Holstein.
Dass sich dieser Traum nicht erfüllt hat, liegt auch an den zu ambitionierten Zielen des Start-ups: Sie wollten zu schnell zu viel. An der Insolvenz haben aber auch andere ihren Anteil. Die Ausgangslage vor rund drei Jahren, als die Region rund um Heide in den Fokus von Northvolt rückte, war ausnehmend gut. Klimaschutz war eines der präsentesten Themen in Deutschland und zunehmend auch in Europa, sogar in den USA. Grüne Technologie erlebte einen richtigen Aufwind. Die Europäer wollten sich auf machen, den Chinesen Paroli zu bieten und schnell nachholen, was sie zehn Jahre lang verschlafen hatten: Die Batteriezellenentwicklung.
Das Hochfahren läuft nicht
Vor 14 Monaten wurde es dann konkret: EU, Bund und Land stellten sich hinter das Projekt einer weiteren Batteriezellenproduktion bei Heide. VW und Goldman Sachs als größte Anteilseigner des Start-Ups galten als Garanten für Vertrauen und Verlässlichkeit. Der Boßelwurf war dann der erste Höhepunkt der Euphorie. Alle wollten dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wird im Kreis Dithmarschen. Bereits zur gleichen Zeit zeigte sich aber im Werk in Schweden: Die Entwicklung von neuen Batterien ist ein sehr komplexer Prozess. Und die Massenproduktion sowieso. Da kann viel schiefgehen. Das kostet viel Zeit und Geld. Das hat auch Northvolt zu spüren bekommen. Es lief nicht gut bei der Entwicklung und beim Hochfahren.
Gleichzeitig bricht der Markt ein: Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil im November 2023 streicht Wirtschaftsminister Robert Habeck kurzfristig die E-Auto-Prämie. Der E-Auto-Markt bricht deutlicher ein als gedacht und länger. Die Nachfrage für E-Autos sinkt drastisch. Sogar Experten sind überrascht. Gleichzeitig überfluten die Chinesen Europa mit günstigeren E-Autos, vom Staat subventioniert. Das erste Unternehmen, das Konsequenzen zieht, ist BMW. Die Autobauer aus Bayern stornieren einen Zwei-Milliarden-Euro-Auftrag bei den Schweden: Zwei Milliarden bei vollen Auftragsbüchern im Wert von mehr als 50 Milliarden? Das ist kein großes Problem, so Northvolt.
VW lässt Northvolt fallen
Northvolt wollte breit expandieren: Das Werk in Schweden, das Werk in Heide, eine Produktion in Polen, eine geplante in Kanada, dazu Labore und Forschungsinstitute. Für all das braucht das Unternehmen Geld. Gleichzeitig gibt es im Sommer 2024 nach wie vor Probleme bei der Hochskalierung, also der Massenproduktion einer Batteriezelle für einen Anbieter. Northvolt muss sparen, schiebt einen schmerzhaften Umstrukturierungsprozess an: Im September werden in Schweden 1.600 Mitarbeitende entlassen. Northvolt hofft auf frisches Geld der Investoren, vor allem von VW. Aber der Wolfsburger Konzern steckt selbst in einer Krise und das öffentlich. Wochenlang wird verhandelt. Am Ende lässt VW als Hauptinvestor Northvolt fallen und schießt kein Geld mehr nach. Was folgt, ist die verzweifelte Suche nach Investoren und Vertrauen. Das Chapter-11-Sanierungsverfahren in den USA gibt Northvolt mehr Zeit. Am Ende hat das nicht mehr gereicht.
Zu spät ging es bergauf
Das fast Tragische daran: Northvolt hatte es nach eigenen Angaben erst vor Kurzem geschafft, den ersten Kunden - die VW-Tochter Scania - vertragsgerecht zu beliefern. Es ging bergauf. Probleme lösten sich, weitere Auslieferungen für andere Auftragspartner waren für dieses Jahr geplant. Aber zu spät. Das Geld reichte einfach nicht mehr, bis sich die möglichen interessierten Investoren auf einen Plan zur Rettung Northvolts einigen konnten.
Was heißt das für Heide? Hier steht nun ein gut erschlossenes 110 Hektar großes, für Industrie ausgewiesenes Gelände bereit, mit grünem Strom drumherum und einer guten Verkehrsanbindung - zumindest, was die Straßen angeht. Noch baut Northvolt hier weiter, aber wie lange noch? Wenn die Mutter insolvent ist, wie lange kann eine hundertprozentige Tochter überleben?
Einig sind sich Land, Kreis und die Beteiligten der Region darin, dass hier eine Batterieproduktion an der Westküste entstehen muss, die Bedingungen seien ideal. Sie versuchen auch unmittelbar nach Northvolts Insolvenz Optimismus und Tatendrang zu versprühen. Aber das allein wird nicht reichen, um hier wirklich noch den Traum der grünsten Batterie der Welt Wirklichkeit werden zu lassen - mit oder ohne Northvolt.
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