Irmgard F. äußert sich im Stutthof-Prozess: "Es tut mir leid"
Die Angeklagte Irmgard F. hat im Stutthof-Prozess überraschend ihr Schweigen gebrochen. Ihr Verteidiger sieht keine ausreichenden Beweise für die individuelle Schuld. Er fordert einen Freispruch.
Das Setting: wie immer. Auf der einen Seite: die Nebenklagevertreter, auf der anderen: die Verteidigung neben der Angeklagten Irmgard F. - und der Arzt, der über ihre Verhandlungsfähigkeit wacht. Irmgard F. ist verhandlungsfähig. Der 40. Prozesstag im Landgericht Itzehoe (Kreis Steinburg) gehört der Verteidigung. Der Kieler Anwalt Wolf Molkentin hat das Wort und nutzt es in aller Ausführlichkeit. 33 Seiten blättert er auf und erklärt, warum aus der Sicht der Verteidigung ein Freispruch für die Mandantin geboten ist. Es gäbe zu viele Zweifel. Aus der Sicht der Verteidigung sei es keineswegs bewiesen, dass Irmgard F. im Konzentrationslager Stutthof als Stenotypistin des Lagerkommandanten Paul-Werner Hoppe mitbekommen habe, dass im Lager gemordet wurde. Es sei nicht bewiesen, dass sie etwas gesehen habe, dass sie Deportations- oder Tötungslisten geschrieben habe. Es sei kein Schriftstück als Beweismittel eingeführt worden, auf dem ihr Kürzel sei. Es hätte nicht bewiesen werden können, dass sie von den Tötungen in der Genickschussanlage oder etwas von der Gaskammer gewusst habe. Die Staatsanwaltschaft habe die Aufgabe gehabt, letzte Zweifel zu beseitigen. Das sei ihr aber nicht gelungen. Ein Freispruch müsse die konsequente Schlussfolgerung sein.
Die Anwälte der Nebenklage teilen Zweifel nicht
Zweifel an der Schuld der Angeklagten äußerten Nebenklagevertreter Christoph Rückel allerdings nicht. Für ihn und seinen Kollegen Stefan Lode war es "vollkommen klar", dass die Verteidigung diese Zweifel herausstellen würde. Es sei jetzt die Frage, wie das Gericht das bewerten werde. Dem könne man schlecht vorgreifen, so Stefan Lode. "Dass wir als Vertreter der Opfer davon ausgehen, dass diejenigen, die im Lager gearbeitet haben auch wussten was da passiert," sei klar, "weil Leichen rumlagen, weil es nach Tod gerochen hat." Wer, so wie Irmgard F. "eineinhalb Jahre dort war, in verantwortlicher Position", wer "die Verwalterin des Todes war", muss von den Morden gewusst haben." Christoph Rückel zeigte sich überzeugt, dass es trotz der Ausführungen des Verteidigers zu einer Verurteilung kommen werde.
Gericht nimmt sich zwei Wochen Zeit für Urteilsfindung
Nun muss das Gericht prüfen, ob es die Schuld der 97 Jahre alten Irmgard F. zweifelsfrei feststellen kann. Stefan Lode: "Für unsere Mandanten wäre ein Urteilsspruch schon wichtig, weil die eben davon ausgehen, dass jeder, der im Lager gearbeitet hat, wusste, was passiert."
Unerwartete Schlussworte der Angeklagten: "Es tut mir leid."
Dann geschah im Landgericht Itzehoe noch etwas, womit niemand gerechnet hatte. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters, ob Irmgard F. das letzte Wort haben wolle, bejahte das die Verteidigung. Einer ihrer Anwälte schaltete daraufhin ihr Mikrophon ein. Dann sagte sie leise, aber deutlich hörbar: "Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen." Es sei erfreulich, dass sie sich geäußert hat, sagt Stefan Lode, aber "dass sie gesagt hat, dass es ihr leid tut, dass sie zu der Zeit im Lager war, heißt ja nicht, dass es ihr generell leid tat." Ein echtes Bedauern sei das nicht gewesen, findet auch Christoph Rückel. "Aber man merkte schon," so Stefan Lode, "dass die Appelle der Nebenklage und die Begegnung mit den Opfern in ihr gearbeitet haben."
Das Urteil wird der Vorsitzende Richter voraussichtlich am 20. Dezember sprechen.